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Inszenierung mit lokalen Schwächen

Hamburg will das Tor zur Welt sein und richtet den G20-Gipfel aus. Ein theatralisches Drama, das weltweit für Aufsehen sorgte. Aber die Inszenierung hatte auch Schwächen. Wie immer …

Hamburg ist eine Theaterstadt. Warum nicht also auch mal Welttheater probieren? Doch nimmt man aus der Retrospektive die Aufführung des G20-Gipfels mal theatralisch genauer unter die Lupe, so fällt auf: im Grunde wieder die gleiche Inszenierung, nur die Bühne hat gewechselt. Dennoch: die Faszination des Publikums ist immer noch dieselbe. Das Thema „was die Welt im Inneren zusammenhält“ bleibt offenbar aktuell.

Bühne, Bilder, breites Publikum

Was braucht eigentlich ein gekonntes Drama? Eine gute Bühne, gute Bilder, eine packende Story und ein breites Publikum. Das sind die Grundpfeiler eines jeden Theatererfolges. Und ebenso ist es bei den großen Dramen der Weltpolitik. Und ohne dass man sich des Politischen annehmen muß, lässt sich so leicht das Spektakel wie in der Kulturszene erklären.

Wasserspektakel ist typisch greenpeace.

Da ist zum einen das Staatstheater. Deutschland ist ein Industriestaat mit stets höheren Ambitionen. Ob nun der stete Willen, festes Mitglied im UN-Sicherheitsrat sein zu wollen oder eben treibender Motor der Europäischen Union. Deutschland will im Weltorchester mitspielen und daher logisch, dass es auch die Bühne für das große Drama bietet. Zuvor waren es Washington (2008), London (2009), Pittsburgh, Seoul …. Im Grunde immer dasselbe Thema mit wechselnden Orten. Begonnen mit der Weltwirtschaftskrise wird öffentlich zur Schau gestellt, wie vielfältig die Probleme dieser Welt sind und wie segenreich die jeweilige Politik fürs Volk ist. Wichtig zu beachten: ganz gleich, wer mit wem über was redet – jedeR kann sich medial selbst darstellen und immer auch Erfolge nachhause bringen. Wozu sonst auch die große Bühne?

Das Paradeprogramm vorab.

Die Bühne wird letztlich auch durch die Medien geboten. Jedes Land hat die nationale mediale Aufmerksamkeit und weiß sie für sich zu nutzen. Und das weckt Begierden. Alle lieben Bilder – Medien, Politik, gesellschaftliche Gruppen, Facebook & Co und das allgemeine Publikum. Nur die Art der gewünschten Bilder unterscheidet sich eben auch je nach Zielgruppe.

So jeweils bei den Städten, die damit eine Gratis-Werbekampagne als touristischen Standort wittern. Auch im Nachhinein beschwört Oppositionsführer André Trepoll (CDU) noch, dass man sich ja mit Bürgermeister Scholz einig gewesen sei, die „internationale Reputation“ Hamburgs heben zu wollen (durch einen G20-Gipfel, wohlgemerkt). Und auch Ulrike von Albedyll, Landesgeschäftsführerin, DEHOGA Hamburg, verkündete vorab: „Dass der G20-Gipfel nun nach Hamburg kommt, ist eine einmalige Chance. Nicht für kurzfristige Gewinne bei den Hotels und Gastronomen, sondern als langfristige Werbung für die Stadt. Hamburg ist nicht Paris und auch nicht Rom. Touristen kommen nicht wegen einzelner Monumente in die Stadt, sondern wegen der besonderen Atmosphäre und weil sie sich hier wohlfühlen können. Immer mehr Menschen in Europa wissen das inzwischen. Durch den Gipfel hat die Stadt aber die Gelegenheit, sich darüber hinaus einem weltweiten Publikum von ihrer besten Seite zu zeigen. Die Welt schaut nun für ein paar Tage nach Hamburg – machen wir das Beste daraus.“ Alle Zutaten eines großen Welttheaters also da. Da bestand Einigkeit.

Bauten, Beleuchtung, Beamte – das passt!

Aber eben auch alle anderen Theatergruppen, die nicht zum Staatstheater aber auch zur Szene gehören, wollen natürlich mitmachen und Bilder haben. So die festen Theatergruppen wie die Non-Goverment-Organsiations (NGOs). Ob Greenpeace, Attac, amnesty international etc. – alle wollen die Chance nutzen, auf sich aufmerksam zu machen und so das Medienspektakel zu nutzen. 17 sollen es allein dieses Jahr gewesen sein. Funktioniert ja irgendwie auch. Denn wann sonst nimmt sich Presse schon mal den Themen detaillierter an? Dieses Jahr z.B. war thematisch alles um Afrika herum gefragt. Klima geht natürlich auch immer.

Die Kirche darf auch mal ins Bild.

Und dann gibt es so etwas wie die Freie Theater-Szene. Wie sonst auch besticht sie meist, in dem sie unkonventionell agiert und quasi aus dem Nichts Präsenz erzielt. Unter den eindrucksvollen dieses Jahr die „1000 Gestalten“ oder auch die „interventionistische Linke“. Fest gesetzt im Grunde der international besetzte ´Schwarze Block` oder auch gern ´die Autonomen` genannt. Weltweit bis dahin nicht so bekannt war der lokale Player: die Sternschanzen-Agitateure. Hat sich jetzt geändert. Ihnen muß man zugute halten: das gewählte Thema „welcome to hell“ wird wohl in Erinnerung bleiben.

Slogans, die hängen bleiben!

Nicht zu vergessen unter der Rubrik der Theatergruppen ist auch die Polizei. Nicht nur wegen der stets starken Kostüme. Wenn auch unfreiwillig geladen, ist doch immer wieder zu sehen, dass auch ihre Inszenierung nicht ohne ist. Es ist ihre Chance, auf personelle Unterbesetzungen ebenso hinzuweisen wie auf rechtsfreie Räume (in Tagen, in der eine gastgebende Stadt grundsätzlich den üblichen Rechtsstaatlichkeiten entzogen wird). Die optische Show ist dann wieder medial auf Technik-Fans ausgerichtet: neueste Wasserwerfer standen dieses Jahr im Programm. Beachtenswert: die sonst nicht so wahrgenommene „Gewerkschaft der Polizei“ hat sich dieses Jahr gut präsentiert. Sie wird wohl in Kürze einige Mitglieder mehr verzeichnen können.

Was für Technikfreaks: die Auslaufparade am Fischmarkt.

Sie alle begaben sich nun auf der gerichteten Bühne Hamburg ins Rennen um die Gunst der Medien. Adrett anzusehen der Besuch oder eben auch Nicht-Besuch der Staatsoberen beim Konzert in der Elbphilharmonie. Und wie nett – als akustisches Leckerli die Europa-Hymne noch dazu.

Als künstlerisches Bonbon machten eben die grauen „1000 Gestalten“ das weltweite Rennen. Da hatte es die gesettelte Gruppe um Greenpeace schon schwerer. Und last but not least: der Schwarze Block ist immer für ein Bild-Spektakel gut. Wie es sich für einen G20 gehört war auch er international besetzt. Das spricht auch hier für eine professionelle Einstellung. Um eben auch mal was „Neues“ zu bieten, wurde dieses Jahr dann mal der ein oder andere Straßenzug in Brand gesteckt. Sogar mit Ankündigung vorab und im Netz.

Rauchschwaden über Hamburg – das zieht immer. Und hat es ja auch. Der Begriff des „marodierenden“ Mobs dürfte fortan immer in einem Atemzug mit Hamburg genannt werden.

Gewinner in der Sparte Kulturprogramm – 1000 Gestalten

Also: Bühne, Publikum, Theaterakteure und beeindruckende Bilder – die Zutaten waren da. Aber ob nun trotz aller Zutaten ein Stück zum (Publikums-)Erfolg wird oder nicht (wobei ja jeweils auch noch verschiedene Zielgruppen bedient werden), hängt viel von der Story ab.

Dieses Jahr sollte es wohl verschiedene Publikumspreise geben. Für die internationale Politik haben Putin und Trump ihre individuelle Stärke durch Außenseiter-Rollen gefestigt und durch eine überraschende Zweisamkeit im Syrien-Konflikt ein wenig Weltfrieden gespielt.

Die EU hat in Sachen „Prima Klima“ gezeigt, „wir können auch ohne die USA“. Nun haben wir es zumindest schwarz auf weiß. Und Afrika – kam irgendwie vor und ging irgendwie unter. Ein makabres Bild, ja, ich weiß. Aber ist ja auch ein makabres Thema.

Und Freihandel können nun alle handhaben wie sie wollen. Den Protektionismus auch. Versteht ohnehin kaum jemand. Die Lobbyisten, die eher weniger das mediale Spektakel suchen, sind jedenfalls auch auf ihre Kosten gekommen. Die Show hat also gestimmt.

Ivanka und die Frauenquote

Für Angela Merkel besonders schön, ist doch Bundestagswahlkampf und kann sie so auch gleich als Weltretterin mit Attest „tolle Gastgeberin“ punkten.

Die NGOs müssen irgendwie noch mal ran. Immerhin: der Greenpeace-Spruch „wir können nicht darauf warten, dass Trump erwachsen wird“, wurde gleich mehrfach gesendet. Ein Achtungserfolg. Das Thema Gleichberechtigung sich mit dem „Ivanka-Fonds“ zur Frauenförderung aus den Händen nehmen zu lassen, kommt natürlich einem Desaster gleich.

Früher wirksam, heute wenig mediale Beachtung: Konzerte und Sternchen.

Hamburgs Medien müssen auch noch mal nachlegen. Der NDR schien gar nicht auf das Theater vorbereitet gewesen zu sein, so dass er beim üblichen Programmplan mit „Mein Nachmittag“ oder „Seehund, Puma & Co“ knapp am Publikum vorbei arbeitete. Und auch das ´Hamburger Abendblatt` schien etwas erstaunt zu sein, dass auch die Hamburger Autonomen internationale Gäste geladen hatten. Lediglich der private Lokalsender ´Hamburg1` mit Herbert Schalthoff hielt das regionale Publikum auf Trab. Klarer Achtungserfolg. Entsprechend den Hamburger Medien wirkta aber auch das loklae Publikum nicht sonderlich gut vorbereitet auf die Programminhalte und hatten etwa ihre Autos nicht rechtzeitig umparken können. Und Umparken beginnt ja bekanntlich im Kopf.

Hat wieder allen die Show gestohlen: der Schwarze Block.

Die Gesamtstory selbst aber war verbesserungswürdig. Kein Weltfrieden, keine Klimarettung, nicht einmal der Hunger der Welt gestillt. Das gab die Story wieder nicht her. Ansonsten ist ´G20` eben der Stoff für ein klassisches Drama. Der ´Schwarze Block` hatte es da einfacher. Gegen alles, geht immer. Statt Happy End die heldenhafte Geste im Strahl des Wasserwerfers.

Und die Politisierung und Spaltung der Gesellschaft hat auch wieder geklappt. Denn wie immer bei solchen Dramen: man geht gerührt aus dem Stück. Man ist dafür, dagegen oder hat irgendeine andere Haltung. Alles, aber nicht egal. Hamburg hat vermutlich lange nicht so viel gestritten.

Der Stoff saß nicht

Die richtig eindeutigen Verlierer sind Hamburgs Oberhäupter und Repräsentanten (siehe auch Albedyll oben). Hatten die überhaupt ein Happyend für das Drama anvisiert?! Zwar hatte es auch keine andere Stadt bisher geschafft, den Unmut in der Welt in den Glanz einer Metropole ummünzen zu können. Aber welche Rolle wollte man denn sonst füllen?!? Man hatte zuweilen das Gefühl, als habe man sich mit den Vorgänger-Gipfeln, also mit dem Stoff zum Drama  gar nicht richtig befasst. Alles kam so unerwartet, so spontan und selbst aus Italien und Frankreich … Theater-Aufführung ohne Probe?!? Das war schwach.

Bleibt also festzuhalten: Hamburg als Bühne kann Welttheater. Und Hamburg kann auch Provinztheater zugleich. Die Gastschauspieler beherrschten ihr Sujet besser als die regionalen Statisten und offenbar hatten die lokalen Rollen ihren Stoff nicht sonderlich gut studiert. Das gibt Abzüge in der Benotung.

Nun aber ist der Vorhang gefallen, der Tross zieht weiter und die Erde dreht sich immer noch. Bis zur nächsten Vorstellung in diesem Hause …

Nach Olympia und G20 – was dürfen wir eigentlich als nächstes auf dem Spielplan erwarten?

(10. Jul. 2017, Claus Ewitz)

 

 

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