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A Message in a Bottle

Immer weniger Menschen schreiben Briefe und viele kennen die „Flaschenpost“ gar nicht mehr. Oliver Lück fand in Lettland gleich 40 Stück …

Der Journalist und Fotograf reiste zwei Jahre lang durch die Länder der Ostsee. Ausgangspunkt war eine Frau in Lettland, die am nahegelegenen Strand zahlreiche Flaschenpostbriefe geborgen hatte. Oliver Lück wollte die angeschwemmten Nachrichten ergründen und tauchte ein in ein Meer aus Geschichten, von denen einige ihren Weg in sein Buch fanden.

 

Tiefgang (TG): Die Geschichten, die du erzählst sind aus dem Meer, aber nicht fangfrisch. Wie kamst du auf die Idee, dich auf die Spuren alter Flaschengeister zu begeben?

Oliver Lück: 2008 war ich mit meinem alten VW-Bus unterwegs, ohne Ziel und mit viel Zeit. Europa ohne Ende. Als ich von Litauen nach Lettland über die Grenze fuhr und einen Schlafplatz suchte, sah ich einen Garten, der phantasievoll mit Strandgut geschmückt war. Ich hielt an, klopfte. Eine alte Dame öffnete, und ich konnte vier Tage bleiben. Biruta Kerve zeigte mir am nächsten Morgen fast 40 Flaschenpostbriefe, die sie direkt vor ihrer Haustür am Strand gefunden hatte. Sie hatte die Briefe allerdings nie beantwortet – das habe ich dann getan. Und so fing diese unglaubliche Recherche an.

Flasche statt whatsapp – Oliver Lück hat die Stories dazu. (Foto: www.lueckundlocke.de)

TG: Statt Leergut bist du auf gehaltvolle Geschichten gestoßen. Hast du herausgefunden, was die Menschen bewogen hatte, ihren Gedanken und Wünschen freien Lauf zu lassen und ihnen etwas Freiheit zu schenken?

Lück: Auch davon erzählt mein Buch. Viele Absender haben einen eher abenteuerlich-kindlichen Ansatz: Datum, Zeit und „Bitte schreibe zurück, wo du sie gefunden hast“. Manche schildern ihre Sorgen und Probleme, und schicken sie symbolisch auf die Reise, lassen sie los. Briefe aus DDR-Zeiten waren oft Hilferufe, so etwas wie: Wir würden auch gerne wie diese Flasche auf die Reise gehen.

TG: Verstehst du dich als Medium, das diese Sehnsucht sichtbar macht?

Lück: Vielleicht. Es geht in meinem Buch ja auch nicht nur um Flaschenpost, sondern vor allem um die Menschen dahinter und die Geschichten, die sie erzählen können. Das sind zum Teil sehr bewegende Lebensgeschichten, die durch den Fund einer Flaschenpost nun aufgetaucht sind und aufgeschrieben werden konnten.

TG: Siehst du dich ausschließlich in der Rolle des Zustellers von Flaschenpost oder hast du selbst auch schon mal einen Brief auf Seereise geschickt?

Lück: Natürlich! Das sollte jeder unbedingt mal machen. Ich habe rund 30 Briefe verschickt und jedes Mal habe ich mich wie ein kleiner Junge gefühlt. So aufregend ist das. Und immerhin habe ich auch drei Antworten erhalten. Ein guter Schnitt, oder? Zwei Antworten kamen aus Lettland – eine war sogar besonders kurios. Die hatte ich aus der Sicht meines Hundes Locke geschrieben. Wer aber erfahren möchte, wer diesen Brief gefunden und beantwortet hat, sollte bei meiner Lesung am 8. April im ´Komm du` an Bord sein…

TG: Hast du Lieblingsgeschichten, und wenn ja, warum?

Lück: Alle Geschichten, die in das Buch gekommen sind, sind meine Lieblingsgeschichten. Am Ende meiner Recherche hatte ich ja eine Auswahl von über 300 Briefen. 100 Absender etwa habe ich noch erreicht. Fast 20 davon habe ich besucht. Und die für mich interessantesten und bewegenden Geschichten hinter den Briefen, habe ich dann aufgeschrieben. Besonders beeindruckt hat mich ein schwedischer Fischer, der auf einer einsamen Schäre lebt und mit seinem Netz schon über 100 Flaschenposten aus dem Wasser gezogen hat. Er war noch nie in Stockholm und aufs Festland begibt er sich nur, wenn er zum Arzt muss. Den Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit kennt er ganz genau. Trotzdem hat er seinen Platz im Leben gefunden und strahlt eine tiefe Zufriedenheit und Gelassenheit aus. Danach sehnen sich doch viele. Ich erinnere mich auch immer wieder an die Flaschenpost eines holländischen Jungen, der einen Wunschzettel an den Weihnachtsmann geschrieben hatte. Er wünschte sich die wohl beiden größten Dinge, die sich ein Zehnjähriger vorstellen kann: Star Wars und Weltfrieden. Eine gute Kombination!

TG: Gibt es einen gemeinsamen Nenner oder ist jede Flaschenpost absolut einzigartig?

Lück: Jede Flaschenpost ist ein Unikat und etwas ganz Besonderes. Da gibt es ja auch keine Regeln oder Gesetze. Jeder Absender gestaltet seine ganz persönliche Nachricht und Flasche. Das kann nur ein Wort sein. Oder ein Gedicht. Oder eine Malerei. Wichtig ist ja auch der Moment, in dem man eine Flaschenpost schreibt und verschickt: Man nimmt sich Zeit für etwas, was auf den ersten Blick nicht unbedingt einen Sinn ergibt. Und das sind Momente der Ruhe oder auch der Langeweile. Die erleben viele oft während eines Urlaubs am Meer. Zwar wollen alle immer schneller leben, um Zeit zu sparen, aber wirklich Zeit haben wir nur, wenn wir uns eine Pause gönnen. Da stellt eine ziel- und zeitlose Flaschenpost ein großes Mysterium dar.

TG: Die Lesung bei der 2. SuedLese 2017 wird im Kulturcafé „Komm du“ stattfinden. Warst du schon einmal dort? Was erwartet uns?

Lück: Ich werde zum ersten Mal dort sein. Und auch wenn ich in den letzten zwölf Monaten über 100 Lesungen aus „Flaschenpostgeschichten“ überall in Deutschland gemacht habe, bin ich auch auf diesen Nachmittag wieder sehr gespannt. Denn jede Lesung ist anders, weil andere Menschen dort sind. Zu den Geschichten werde ich viele Bilder zeigen und auch Original-Flaschenpost und Strandgut im Gepäck haben. Es wird ein sehr bunter Nachmittag. Und am Ende wird es wieder um eigentlich ganz einfache Menschen gehen, die aber ganz besondere Geschichten zu erzählen haben.

Tiefgang bedankt sich ganz herzlich für das gedankliche Treibgut!

Oliver Lück liest am Samstag, den 8. April um 15h im Kulturcafé ´Komm du` [1], Buxtehuder Str. 13, 21073 Hamburg. Der Eintritt ist frei.

Bisher erschienen:

Neues vom Nachbarn – 26 Länder, 26 Menschen

 

Rowohlt Taschenbuch [2]Mai 2012, 320 Seiten, ISBN-13: 978-3-499-62841-2
Flaschenpostgeschichten. Von Menschen, ihren Briefen und der Ostsee

Rowohlt Taschenbuch [3], März 2016, 240 Seiten, ISBN-13: 978-3-499-63085-9,

illustriert von Oliver Lück

Alle Termine der deutschlandweiten Lesereise auf www.lueckundlocke.de [4]

Wer mag, kann sich zur Einstimmung auf die Lesung am 8. April im „Komm du“ eine 60-minütige TV-Dokumentation über das Buch „Flaschenpostgeschichten“ in der Mediathek des NDR ansehen:

NDR-Beitrag [5]

(Das Gespräch führte die „Tiefgang“-Kolumnistin Philo-Sophie Selbst-Zweifel, 23. Feb. 2017)

 

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