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Botanische Kunst

Die Harburger Künstlerin Antje Gerdts liebt und respektiert die Natur. Und so entsteht im Einvernehmen Kunst, die ein beidseitiges Einvernehmen darstellen. Wir sprachen mit ihr …

Ein Besuch bei Künstlerin Antje Gerdts, die eine Vorliebe für natürliche Malgründe hat.

Beispielsweise bemalte sie weitgereiste Kaffeesäcke, die sie in der Speicherstadt entdeckte. Die Künstlerin, selbst viel herumgekommen in der Welt, nahm sich des Stoffes an, der voller Geschichten steckt, und hauchte ihm mit dem Pinsel neues Leben ein.

Gerade widmet sie sich wieder intensiv ihrem Faible für Pflanzen und der ihnen innewohnenden Kraft, die sie auf Leinwand bringt. Das zentrale Motiv ist dabei die Kommunikation mit der Pflanzenwelt. Zum Entstehungsprozess gehört das Sammeln handverlesener Zutaten, eine aufwendige Trocknung und Lagerung des pflanzlichen Materials wie Löwenzahn, Holunder (wilder Flieder) oder Brennnesseln und schließlich eine vielschichtige Verarbeitung in mehreren Arbeitsgängen.

Antje Gerdts hatte schon als Kind „Pilzaugen“ und fand ihr Glück in der Natur. Ein Glückskind, denn ihrem aufmerksamen Auge entgeht kein vierblättriges Kleeblatt. Manchmal sieht sie sogar welche, wenn sie mit dem Fahrrad vorbeiradelt!

Doch einmal hatte sie Pech: Ein Bild, das sie mit einer Vielzahl dieser Glückssymbole gestaltet hatte, wurde bei einer Ausstellung in der TUHH gestohlen. ´Tiefgang` [1] berichtete über den Kunstraub.

Wir sprachen mit ihr über Glück, Pflanzen und das künstlerische Dasein.

TIEFGANG (TG): Wie hast du reagiert, als dir klar wurde, dass ausgerechnet dieses Bild geklaut worden ist?

Antje Gerdts: mit Fassungslosigkeit……….. ich konnte das überhaupt nicht begreifen. Ich hatte voller Vertrauen die Bilder in die TU gehängt, damit viele Menschen meine Freude teilen können, und dann fehlte eins, ausgerechnet das Glücks-Mandala. Als der Anruf aus der TU kam, war ich völlig perplex. Diese Fassungslosigkeit und die daraus resultierende Mischung aus Wut und Verzweiflung kommen im Video gut rüber (siehe Link).

TG: Natürlich war das Bild ein Unikat, aber hast du noch mehr davon oder vor, weitere Kleeblattbilder zu machen? Würdest du das gleiche Risiko dann nochmal eingehen?     

Antje Gerdts: Du meinst, dass ich nochmal eins ausstellen würde? Ich achte auf jeden Fall jetzt noch genauer darauf, ob die Werke in einer Ausstellung versichert sind und/oder aber beaufsichtigt werden. Dieses Jahr haben mich die Kleeblätter direkt angeflogen und ich habe einfach nochmal eins gemacht. Es ist natürlich ganz anders geworden. Die Pflanzen haben schließlich ihr Eigenleben und entscheiden selbst, was sie herschenken wollen und was nicht.

TG: Man fragt sich logischerweise, was wohl in dem Dieb vorging. Offensichtlich war er so vernarrt in das Werk, dass er es mitgehen ließ: Unverschämt, aber auch ein Kompliment, oder?

Antje Gerdts: Ich weiß, was du meinst… Das war auch der meistgehörte Kommentar: „Deine Kunst ist begehrt“ und so weiter. Jetzt kann ich das so stehen lassen, vor zwei Jahren war ich einfach nur verletzt. Nur weil etwas besonders toll ist, hat niemand das Recht, es einfach mitzunehmen. Ich gehe doch auch nicht in eine Boutique und lasse das schönste und teuerste Stück mitgehen. Diebstahl bleibt Diebstahl. Und der Künstler soll es auch noch als Kompliment verstehen ???

TG: Nein, du hast recht. Das ist eine Zumutung. Ich möchte gerne mit dir über deinen Ansatz der botanischen Kunst sprechen. Welches war dein erstes Werk und was hat dich dazu inspiriert?

In ihrem Atelier: Antje C. Gerdts (Foto: PR)

Antje Gerdts: Tatsächlich habe ich die Technik für eine Auftragsarbeit entwickelt. Da hatte ich allerdings die Pflanzenteile aus Papier ausgeschnitten. Und dann hab ich es später einfach mit getrockneten echten Pflanzen ausprobiert …

TG: Wie hast du deine Methode entwickelt? Musstest du viel experimentieren bis du mit den Ergebnissen zufrieden warst?

Antje Gerdts: Ich bin ständig am Experimentieren und ich kann mittlerweile auf Erfahrungswerte zurückgreifen, aber jede Pflanze reagiert anders. Nie gibt es ein zweites gleiches Resultat. Das ist auch das Spannende und eine große Herausforderung für mich.

Dieses Jahr zum Beispiel ist es mir zum ersten Mal gelungen, Holunderblüten zu trocken. Die letzten Jahre waren sie mir immer verfault, weil ich sie vielleicht an einem Tag nicht gewendet und zwischen frisches Papier gelegt hatte… Also hatte ich wahre Schätze, weil ich immerhin schon seit drei Jahren Holunder machen möchte. Aus den getrockneten Blüten ist nun genau ein Werk entstanden … Falls es zwei Interessenten geben sollte, müsste ich den einen auf nächstes Jahr vertrösten, denn die Blütezeit ist ja schon längst vorbei. Und auch das ohne Gewähr…

TG: Hast du von Anfang an eine konkrete Vorstellung oder wächst sich das während des Schaffensprozesses zurecht?

Antje Gerdts: Eigentlich fängt es mit einem Wunsch an. Ich sehe die Pflanze in ihrer Schönheit in der Natur, spricht mich an und beglückt mich. Das möchte ich teilen und frage mich, wie ich dieses Gefühl einfangen könnte. Natürlich habe ich meist auch gleich eigene innere Bilder und Vorstellungen, aber letztendlich sagt mir die Pflanze, wo es lang geht. Sei es, dass sie sich schwer trocknen lässt oder aber nicht auf die Leinwand bringen lässt oder oder oder

TG: Welche Phasen durchlaufen deine Bilder bei der Entstehung?

Antje Gerdts: Ich bin sehr viel draußen, auf dem Fahrrad und zu Fuß. Ich sehe, wo was wächst und blüht. Oft begegnet mir eine Pflanze schon im Frühling und ich nehme Kontakt zu ihr auf, besuche sie öfter und habe schon eine Idee im Kopf… Irgendwann nehme ich dann ein paar Blätter/Blüten zum Trocknen mit. Da kennen wir uns meistens schon ziemlich lange.

TG: Worauf achtest du besonders bei der Auswahl der Pflanzen?

Antje Gerdts: Dass ich keine Pflanze zerstöre. Entweder ich sammle nur hier und da ein wenig, oder aber die Pflanze ist schon rausgerissen oder der Baum gefällt oder so. Dann kann ich mehr nehmen.

TG: Spielt das Wetter eine Rolle beim Suchen und Sammeln?

Antje Gerdts: Trockenes Wetter ist natürlich besser, weil die Pflanzenteile dann leichter zu trocknen sind. Und ich suche nicht wirklich. Es ist eher eine Begegnung und ein Einverständnis.

TG: Entstehen manchmal mehrere Werke parallel oder befasst du dich immer ausschließlich mit einem, bis es fertig ist?

Antje Gerdts: Da viele Pflanzen auch parallel blühen, bin ich im Frühling meistens total überfordert… Dann sammle ich viel und habe entsprechend viel zu tun mit dem Trocknen. Später kann ich dann entscheiden, ob ich an einem Bild arbeite oder aber an dreien gleichzeitig. Ich habe aber schon die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, sich auf wenige zu konzentrieren.

TG: Gibt es auch Bilder, die zusammengehören, weil sie sich aufeinander beziehen?

Antje Gerdts: Manchmal versuche ich mich an Serien, also zum Beispiel die Brennnesseln im Frühling, dann im Sommer und später im Herbst, wenn schon die Samenfäden zu sehen sind.

TG: Viele deiner Bilder haben eine kreisrunde Mitte. Wählst du diese Form bewusst oder intuitiv?

Antje Gerdts: Das ist eher intuitiv. Ich will zumindest nichts Eigenes damit ausdrücken.

TG: Was machst du, wenn du das Gefühl hast, bei einem Werk stockt etwas? Gibt es aus deiner Sicht etwas, das Blockaden lösen kann?

Antje Gerdts: Das kommt schon vor. Manche Pflanzen geben ihre Schönheit nicht einfach so preis. Manche Bilder hängen länger bei mir im Atelier und plötzlich nach einigen Monaten geht es dann weiter. Nichts-wollen ist die Strategie, loslassen und erstmal etwas anderes machen.

TG: Wo und wie tankst du deine Energie?

Antje Gerdts: Natürlich am liebsten in der Natur.

TG: Du beschäftigst dich auch mit Energieflüssen im Körper.

Antje Gerdts: Ich bin Shiatsu-Praktikerin. Die Ausbildung habe ich von 2003-2006 gemacht und arbeite seit 2005 in eigener Praxis. Eine wundervolle Arbeit, die mich immer ins Hier und Jetzt und in die Absichtslosigkeit bringt und einfach nur gut tut. Dafür bin ich sehr dankbar.

TG: Denkst du, es liegt am Bild oder am Betrachter, wenn Werke unterschiedlich wirken? Ich meine, haben Bilder deiner Meinung nach eine eigene Ausstrahlung, die sich wandeln  kann? Reagieren sie auf Lichtverhältnisse und ihre Umgebung, oder hängt die subjektive Wahrnehmung einzig von der Tagesform des Menschen ab?

Antje Gerdts: Eine spannende Frage. Gerade im Entstehungsprozess wandelt sich das Bild natürlich sehr. Ich lebe dann mit der Pflanze und hänge sie natürlich auch um, ins Licht, in den Schatten, ins künstliche Licht. Abends nehme ich sie sogar mit in mein Schlafzimmer und hänge sie genau an die gegenüberliegende Wand von meinem Bett. Wenn dann morgens dort die Sonne drauf scheint, passiert oft etwas Neues, gibt es neue Impulse und neue Ein-Sichten. Ich glaube, die Ausstrahlung kann sich wandeln, und natürlich spielt die subjektive Wahrnehmung auch eine große Rolle. Gerade lag ich auf dem Sofa und schaute von schräg unten seitlich auf eines meiner Bilder und verlor mich darin. Eine völlig neue Perspektive und eine neue Begegnung. Super. Genau wie wir hat die Pflanze unterschiedliche Botschaften. Und wir sehen nie alles auf einmal. Genau das ist ja das tolle an lebendiger Kunst. Immer wieder neu. Genial.

TG: Was oder wen würdest du gerne noch mit deiner Kunst erreichen?

Antje Gerdts: Manchmal denke ich, dass es vielleicht nicht mehr lange dauert und die Pflanzen, die mir jetzt lieb sind, wachsen nicht mehr auf unseren Wiesen. Dann habe ich sie zumindest „verewigt“. Natürlich würde ich mich freuen, wenn noch viele meiner Pflanzenbilder ein neues Zuhause finden und die Menschen einfach nur beglücken. Am Vorabend einer Vernissage, nachdem ich alles gehängt hatte, saßen wir noch in gemütlicher Runde zusammen und ein Nachbar des Galeristen kam überraschend vorbei, setzte sich dazu. Irgendwann meinte er, es sei so anders hier heute. So ruhig, angenehm… Er hatte sich die Bilder überhaupt nicht angeschaut. Für mich war das ein tolles Kompliment und wieder mal die Bestätigung dafür, dass diese Pflanzen eine ganz besondere Ausstrahlung haben. Wie schön, wenn sie ihre Kraft und ihren Frieden in die Welt tragen.

TG: Deine Bilder sind so gesehen auch Botschafter für den Erhalt der Natur. Und ich frage mich gerade, ob der erwähnte Raub des Abbildes vom Glück nicht symbolischen Charakter hat und im übertragenen Sinn für den Verlust natürlicher Ressourcen steht, die elementar wichtig sind für unser Wohlbefinden…

Wir bedanken uns für den Einblick in deine künstlerische Arbeit und ihre Wechselwirkung!

(das Interview für ´Tiefgang` führte Sonja Alphonso)

Nächste Ausstellungstermine:

Vernissage am 26. Juli um 18 Uhr

Website: www.antjegerdts.de [3]

Zwei Werke hat Antje Gerdts auch der Kunstleihe Harburg [4] als Dauerleihgabe anhand gegeben und sind für jedermann/frau leihbar.

 

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