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Die Brückenbauerin

Der Dachverband STADTKULTUR HAMBURG feiert sein 40jähriges Bestehen. Grund genug mal nachzufragen, ob es wirklich viel zu feiern gibt …

Der Dachverband STADTKULTUR HAMBURG feiert gerade sein 40jähriges Bestehen. STADTKLTUR HAMBURG vertritt die Interessen von zur Zeit 120 Einrichtungen und Akteuren der Hamburger Stadtteilkultur aus dem sogenannten Non-Profit-Bereich. Sie schafft Öffentlichkeit, sorgt für Austausch und Qualifikation, gibt Impulse, stärkt die Arbeit vor Ort und gestaltet die Rahmenbedingungen für die Arbeit der Stadtteilkultur in unserer Stadt mit. Grund genug, dass wir mal die Geschäftsführerin fragen, was es denn so zu feinern gibt …

Tiefgang (TG): 40 Jahre Stadtkultur Hamburg, das ist eine lange Zeit. Seit wann bist Du in der Leitung?

Corinne Eichner: Ich begleite den Dachverband seit Ende 2011.

TG: Was ist in der Zeit an besonders schönen Erinnerungen hängen geblieben?

Corinne Eichner: Einige tolle Stadtteilkulturpreisverleihungen, bei denen einmal diejenigen im Mittelpunkt standen, die sich sonst immer sehr für die Teilhabe anderer an der Kultur einsetzen. Viele interessante Performances und Projekte in Stadtteilkultureinrichtungen. Und die großartige Zusammenarbeit mit den Stiftungen, die zum Fonds FREIRÄUME geführt haben, mit dem die Kulturarbeit mit Geflüchteten gefördert werden konnte.

TG: Und was war in der Zeit weniger schön oder gar „grausam“?

Corinne Eichner: (lacht) Die habe ich alle verdrängt – wenn es denn welche gab.

TG: Richtet sich die Kultur einer Metropole wie Hamburg richtet sich zunehmend nach touristischen Interessen? Zumindest kann man den Eindruck gewinnen. Zählt der Stadtbewohner also immer weniger?

Corinne Eichner: Die Elbphilharmonie überstrahlt natürlich derzeit in Hamburg in der öffentlichen Wahrnehmung alles und wir müssen aufpassen, dass die Vielfalt in der Hamburger Kultur noch gesehen und auch gefördert wird. Die Musicals und Großtheater hingegen scheinen deshalb eine große Rolle zu spielen, weil sie ganz einfach durch sehr viel Werbung auffallen. Sie befriedigen ein ganz bestimmtes Kulturbedürfnis und werden durch kommerziell orientierte Unternehmen betrieben. Aber sie stehen damit nicht in Konkurrenz um Kulturfördermittel.

Das Problem der geringeren Wahrnehmung anderer Kulturformen wie der Stadtteilkultur und der damit verbundenen geringeren Förderung im Vergleich zur hoch subventionierten sogenannten Hochkultur – schon in diesem Wort liegt ja eine deutliche Wertung – ist aber alles andere als neu. Die Stadtteilkultur erhält nur etwa zwei Prozent der Mittel der Behörde für Kultur und Medien – deren Etat mit ebenfalls zwei Prozent ohnehin der kleinste der Hamburger Behörden ist. Hier müsste unbedingt eine Veränderung passieren.

Corinne Eichner (Foto: Stadtkultur HH)

TG: Gab es besondere Persönlichkeiten oder Locations  bzw. Initiativen, die im StadtKultur-Bereich nachhaltig gewirkt haben?

Corinne Eichner: Die Stadtteilkultur arbeitet ja sehr kooperativ und kollaborativ. Die gefeierten Intendanten-Persönlichkeiten oder dergleichen sucht man bei uns vergeblich. Veränderungen werden fast immer von Gruppen angestoßen – auch wenn dahinter natürlich immer Persönlichkeiten stehen.

TG: Wie siehst Du die Entwicklung der Stadtkultur Hamburgs generell? Welche „Player“ sind heute von Relevanz? Was hat sich inhaltlich verschoben?

Corinne Eichner: So lange bin ich ja noch nicht dabei. In den letzten sechs Jahren haben sich Entwicklungen angebahnt, die heute wichtig sind, aber Umwälzungen gab es in dieser Zeit keine. Das wichtigste Thema der letzten Jahre war vor allem die Kulturarbeit mit Geflüchteten. Inzwischen ist es der Kampf um die offene Gesellschaft, die unser aller Mitwirken erfordert.

TG: Was ist heute typischer „Streitpunkt“?

Corinne Eichner: Nach Außen: Die Mittel aus der Rahmenzuweisung Stadtteilkultur sind für den aktuellen Haushalt erhöht worden. Aber leider reicht die Erhöhung nicht einmal aus, um die Defizite, die vorher in den Stadtteilkulturzentren aufgelaufen sind, auszugleichen. Hier muss es ein deutliches politisches Bekenntnis geben, wie wichtig die Kultur für Alle genommen wird, verbunden mit der entsprechenden finanziellen Förderung – sowohl für die Zentren, als auch für viele kleinere und neu aufkommende Initiativen.

Nach Innen: Die knappen Mittel führen mitunter dazu, dass es eine Konkurrenz um Gelder gibt, die die Arbeit eines Verbandes, der für alle Mitglieder da sein soll, erschwert.

TG: Ist Soziokultur als Faktor kulturgesellschaftlichen Ausdrucks denn heute noch wichtig oder ist es mehr eindeutig Kultur oder mehr eindeutig Soziales geworden?

Corinne Eichner: Es gibt immer wieder Versuche, die Soziokultur gewissermaßen in eine „soziale Ecke“ zu drängen. Damit wird man aber dem künstlerischen und kulturellen Anspruch, den sie erhebt, nicht gerecht.

Gerade in der Kultur stecken so viele Möglichkeiten, Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung zu nehmen. Dies kann man beispielhaft besonders gut ablesen an den vielen tollen Projekten, die in der Stadtteilkultur Hamburgs gemeinsam mit geflüchteten Künstlern entstanden sind. Vielleicht ist die Soziokultur mehr Kultur UND mehr Soziales geworden.

TG: In den Bezirken fällt Kultur nach wie vor in die Bereiche „Sozialraummanagement“? Ist das noch zeitgemäß oder sollten nicht auch Bezirke sich „Kulturbüros“ und „Sozialmanagements“ parallel leisten?

Corinne Eichner: Das wäre ein Traum! (lacht) Leider scheint das bis heute nicht finanzierbar und der kulturelle Sachverstand in den Bezirken ist sehr unterschiedlich. Wir würden uns wünschen, dass es zumindest gute Einweisungen und Fortbildungen für die Mitarbeiter geben würde und seltenere Wechsel des Personals, als wir dies heute mitunter erleben.

TG: Wo liegen die künftigen Hauptaufgaben der Soziokultur Deiner Meinung nach?

Corinne Eichner: Kultur für Alle wird niemals ein abgeschlossener Prozess, sondern immer eine Aufgabe sein, an der zu arbeiten sein wird. Und der Transformationsprozess der Hamburger Gesellschaft zu einer superdiversen Stadtgesellschaft mit gleichen, gerechten Chancen für Alle braucht die Soziokultur dringender als je zuvor. Denn die Soziokultur ist in der Lage, Begegnungen zu schaffen, Brücken zu bauen und kulturelle Teilhabe zu ermöglichen, die zu der Erfahrung von Selbstwirksamkeit führen, die es einem Populismus gleich welcher Richtung sehr schwer machen und arbeitet damit einem Auseinanderdriften der Gesellschaft wirksam entgegen.

TG: Welche Ziele von STADTKULTUR HAMBURG werden Deine vorrangigsten sein?

Corinne Eichner: Die Weiterentwicklung der diversen und transkulturellen Gesellschaft voranbringen durch das Einbringen von Impulsen und das Anregen von Diskursen, das Sichtbarmachen der Leistungen der Stadtteilkultur in Öffentlichkeit und Politik und die Verknüpfung der Digitalisierung mit den Bedürfnissen der Menschen mit den Mitteln der Kultur.

TG: Vielen Dank für das Interview und auf die nächsten 40 Jahre!

Corinne Eichner wurde Anfang Dezember 2017 in den Vorstand der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren gewählt. Sie wird sich dort insbesondere um die Themen Öffentlichkeitsarbeit, Politikberatung, Digitalisierung und Generationenwechsel kümmern.

Weiterführender Link: stadtkultur-hh.de [1]

Das Interview für ´Tiefgang` führte Heiko Langanke.

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