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Die Politik der leisen Töne

Hamburg will den Anschluss an die Weltmetropolen nicht verlieren und hat sich mal wieder angestrengt. Nun kann Hamburg wieder in einem Atemzug mit Paris und London genannt werden.

Denn auch hier ist nun bald Straßenmusik verboten. Der alte Slogan wer bezahlt, bestimmt die Musik gilt hier erstaunlicherweise mal nicht. Denn es sind prompt Anwälte und Unternehmer in den Innenstadtbüros, die sich gegen den musikalischen Pöbel auf der (Spitaler) Straße durchsetzten. Vorne weg Heinrich Grüter, Vorsitzender des norddeutschen Unternehmerverbands AGA mit Sitz in bester City-Lage, der sich im NDR-Fernsehen nicht zu schade ist, den Umstand auf den Punkt zu bringen: „Man will ja auch mal das Fenster aufmachen. Und da ist es schlichtweg zu laut!“ Man stelle sich vor, jemand wird das Klingeln der Ladenkassen als störend empfinden … !  (NDR, 31.01.2017 [1])

Und siehe da: Die Straße „Kurze Mühren“, in der er seine Büros hat, wird musikalisches Sperrgebiet. Ein Schelm, wer da Zusammenhänge oder Klientelpolitik vermutet. Dem mächtigen Trommeln gegen das Getrommel gab die Bezirkspolitik Mitte nun zügig nach. 30 Minuten soll künftig ein Straßenkonzert höchstens dauern und Bläser werden ganz ausgeschlossen. Wenn das mal mit dem Antidis-kriminierungsgesetz vereinbar ist.

Der sonst jung und flott daher kommende Bezirksamtsleiter Falko Droßmann (SPD) sei bemüht, den Streit zu entschärfen, heißt es. Ihm gehe es ihm nicht um ein Verbot, sondern um klare Regeln – diese sollen die Standorte, die Anzahl der Musiker und die Lautstärke begrenzen. Und als Rückendeckung bezieht er sich auf beratende Gespräche mit der Hamburger Blueslegende Abi Wallenstein, der selbst als Straßenmusiker groß geworden ist. Nun soll bei Verstößen und Beschwerden zukünftig die Polizei eingeschaltet werden. Ob das Wallenstein wollte?!

Dieser Schnellschuss reiht sich ein in das traurige Thema gentrifizierter Städte. Wer Geld und Einfluss hat, bestimmt wie „seine“ Stadt gestaltet wird. Bitte keine Musikclubs in meiner Straße, keine Musiker vor meinem Büro und überhaupt: können die nicht mal was Schönes spielen?!

Und da reiht sich Hamburg nun in Verbote ein, die es auch in London und Paris aber auch anderen Städten seit nicht allzu langer Zeit gibt. Nur – und das ist durchaus erwähnenswert – macht man es sich in anderen Städten nicht ganz so einfach. Wenn Hamburg sich nun etwas Zeit nähme, ginge da etwas.

London – die Lizenz zum Tönen

In London etwa sind Verstärker, Blasinstrumente und Schlagzeuge seit 2013 verboten, und um neun Uhr abends muss Ruhe herrschen. Als letzter Londoner Bezirk hatte der sonst alternative Stadtteil Camden Town strenge Regeln für Straßenmusiker erlassen. Seither müssen die Künstler auch in der bei Touristen so beliebten Gegend bezahlen, damit sie überhaupt auftreten dürfen. Einige Anwohner freuen sich über die Ruhe, einige befürchten, der Stadtteil habe mit der neuen Regelung einen Teil seiner Identität preisgegeben. Bürgermeister war zu der Zeit noch Boris Johnson, jetzt Brexit-Außenminister. Der Spiegel zitierte ihn seinerzeit: „Ich fürchte, einige Teile der Hauptstadt könnten zu verbotenen Zonen für Straßenkünstler werden“, als er den jährlichen Wettbewerb für Straßenmusiker eröffnete. Der Gewinner bekommt die begehrte Erlaubnis, in der Londoner U-Bahn spielen zu dürfen. „Statt unsere Musiker mit unnötiger Bürokratie zu gängeln, sollten wir die Spontaneität schätzen, die sie in die Stadtzentren und Einkaufsstraßen bringen“, forderte Johnson. Genau 30 Minuten Zeit wird jedem Künstler auf diesem begehrten Platz bewilligt. Spontan ist keiner dieser Auftritte. Genauso wie die 280 zugelassenen Musiker der Londoner U-Bahn müssen auch die Straßenkünstler vor den Markthallen sich mit einem Vorspiel um die Lizenz bewerben.

„Straßenkünstler kommen immer noch gerne nach London. Aber es ist ziemlich schwer für sie, mit den sehr unterschiedlichen Regelungen zurechtzukommen“, sagt Munira Mirza, in der Stadtverwaltung zuständig für Kultur. „Wir haben 32 Bezirke, und jeder hat ein unterschiedliches System. Wir versuchen nun, das für Straßenkünstler zu vereinfachen.“

Das spricht zumindest für ein kulturelles Verständnis. Denn es für den Künstler zu vereinfachen zollt immerhin von Respekt. (Spiegel-Online [2], 07. Mai 2014)

Paris sucht den Metro-Star

Und auch Paris reguliert das Straßenmusik-Business mit einer gewissen kulturellen Leidenschaft. „Im 20. Arrondissement bittet die Verwaltung der Pariser U-Bahn RATP zweimal im Jahr zu einem Casting für 300 heiß begehrte Lizenzen. Sie berechtigen zum Auftritt vor Millionenpublikum – allerdings nicht in den glitzernden Konzerttempeln der Stadt, sondern in der Metro. Tatsächlich liegt die größte Musikszene der französischen Hauptstadt im Untergrund. In den rund 300 Metro-Stationen spielen talentierte Newcomer wie gestandene Künstler vor einem Publikum von täglich rund fünf Millionen U-Bahn-Nutzern: Russische Volkslieder, vorgetragen von einem Männerchor, wabern durch die Gänge an der Place de la Concorde, lateinamerikanische Rhythmen beleben den Verkehrsknotenpunkt Châtelet, ein Akkordeonspieler spielt französische Chansons am Bahnhof Saint Lazare.“ (Spiegel-Online [3] vom 26.10.2014)

Und bei uns? Im Merkblatt [4]für Straßenmusik und Straßentheater des Bezirks Mitte von 2014  heißt es: „Straßenkunst trägt zur Belebung der Innenstadt bei. Aber Sie werden sicher verstehen, dass sich nicht alle Bürgerinnen und Bürger an Ihren Darbietungen erfreuen, insbesondere dann nicht, wenn immer nur an einem Platz gespielt wird und sich die Stücke ständig wiederholen.“

Aber es läuft meist auf die gleiche Leier hinaus: für einen Verkaufsoffenen Sonntag darf´s gerne auch sülzig-geschmacklose Musik sein. Aber einfach mal Musik machen- das geht nicht! Der Wert der Kultur – er liegt hier im langweiligsten Mittemaß.

(02. Feb. 2017, hl)

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