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Ehrenamt: 337 Stunden Bürokratie!

Das Ehrenamt sei wichtig, sagt die Politik. Dabei ist es mittlerweile vor allem die Bürokratie, die es drangsaliert. 337 Stunden im Jahr! Und was kann man dagegen tun?

Über eine Entbürokratisierung bei Vereinen und dem Ehrenamt reden viele. Einen echten ersten Schritt getan hat nun das Land Baden-Württemberg was. 1900 Vereins- und Ehrenamtsvertreter wurden befragt, workshops gemacht und nun liegen die Probleme aber auch konkrete Vorschläge auf dem Tisch. Dabei wurde durch einen Normenkontrollrat festgestellt, dass Ehrenamtliche im Verein durchschnittlich  337 Stunden im Jahr mit Bürokratie verbringen müssen. Und bei aller Sinnhaftigkeit von Regeln, die oft aus der EU oder auf Bundesebene geschaffen wurden – sei es doch eine Sache der Umsetzung dieser Regelungen vor Ort, die man eben wohl so oder so handhaben könne. Und klar sei auch: die Umsetzung der Ideen und Vorschläge verursache weitere Arbeit und Kosten vor allem bei der Verwaltung. Aber: es sei eine gute Investition in den Zusammenhalt der Gesellschaft!

Wenn nicht auch Hamburg davon lernen kann …

Im Vorwort der Vorsitzenden des Normenkontrollrats Baden-Württemberg, Dr. Gisela Meister-Scheufelen, heißt es:

„Die baden-württembergische Landesregierung hat das ehrenamtliche Engagement der Bürgerinnen und Bürger eine zentrale Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land. Sowohl temporäres als auch langjähriges Engagement soll dauerhaft gestärkt und gefördert werden. Vielen Vereinen fällt es allerdings zunehmend schwerer, ehrenamtliche Positionen im Verein zu besetzen. In erster Linie wird dies als ein generelles Nachwuchsproblem gesehen. Bereits aber an zweiter Stelle werden die immensen bürokratischen Belastungen genannt, die von der eigentlichen Vereinsarbeit abhalten. So verpflichte z. B. die EU Lebensmittelunternehmen mit der Allergen-Verordnung, die für Allergiker relevanten Zutaten zu kennzeichnen. Dies werde kurzerhand auf Vereine ausgeweitet, mit der Folge, dass immer weniger Ehrenamtliche bereit seien, für Vereinsfeste, Schulfeste oder Kirchenfeste einen Kuchen zu backen oder andere selbst hergestellten Lebensmittel anzubieten. Zudem sei die Angst vor persönlicher Haftung verbreitet und schrecke vor einem Ehrenamt zurück.

Vor diesem Hintergrund hat es sich der Normenkontrollrat Baden-Württemberg vorgenommen zu untersuchen, worin bürokratische Belastungen für Vereine und Ehrenamt konkret bestehen, wie sie zu quantifizieren sind und in welchen Bereichen eine Entlastung möglich wäre. Insgesamt konnten 49 konkrete Vorschläge erarbeitet werden, die der Landesregierung Baden-Württemberg zur Umsetzung empfohlen werden.“

Die wesentlichen Schlussfolgerungen:

  1. 42 Tage im Jahr nur für Bürokratie

42 Tage im Jahr bzw. 6,5 Stunden pro Woche muss sich ein typischer, mittelgroßer Verein mit einem aktiven Vereinsleben nur um die Erfüllung bürokratischer Vorgaben kümmern (337 Stunden). Die wenigsten Vereine haben hauptamtliche Beschäftigte. Die Bürokratie

wird deshalb in der Regel von ehrenamtlichen Vereinsvertretern geleistet – und das am Abend oder am Wochenende! Die bürokratischen Lasten werden immer mehr, vieles wird als unnötig empfunden, die Akzeptanz wird geringer.

  1. Belastungen entstehen durch die Vielzahl und Komplexität der Regelungen

Die Belastungen entstehen vor allem aus der Vielzahl und Komplexität der Regelungen, auch wenn viele Einzelregelungen durchaus als nachvollziehbar und sinnvoll erachtet werden. Will ein Verein beispielsweise ein Straßenfest organisieren, gilt es eine Vielzahl von Regelungen vom steuerlichen Gemeinnützigkeitsrecht über Vorschriften zur Lebensmittelsicherheit bis hin zu Vorgaben zur Sicherheit zu beachten. Die Einarbeitung sowie die Umsetzung erfordern hier einen großen Aufwand.

  1. Belastungen hängen wesentlich auch vom Verwaltungsvollzug vor Ort ab

Die weit überwiegende Mehrheit der als belastend wahrgenommenen Regelungen beruht auf Bundesrecht oder europäischer Rechtsgrundlage. Hier gilt es für die Landesregierung im Bundesrat und auf europäischer Ebene auf Verbesserungen hinzuarbeiten. Für die Wahrnehmung von Belastungen hat aber der Vollzug im Verantwortungsbereich von Land und Kommunen eine besondere Bedeutung. Der Grad der Belastung hängt häufig von der Art und Weise der konkreten Umsetzung der Regelungen vor Ort ab.

  1. Besondere Belastung durch Datenschutz, Steuerrecht und Auflagen bei Veranstaltungen

Als größte Bürokratiebelastung werden die Regelungen zum Datenschutz genannt. Vor allem seit Inkrafttreten der EU-Datenschutz-Grundverordnung sehen sich viele der Befragten unverhältnismäßig hoch mit bürokratischen Pflichten belastet. Auch das komplizierte und für juristische Laien schwer zu durchblickende Steuerrecht sowie die in den letzten Jahren stark gestiegenen Auflagen bei Veranstaltungen belasten die befragten Vereinsvertreterinnen und -vertreter besonders stark.

  1. Vereine und Ehrenamt bei der Gesetzgebung systematisch berücksichtigen

Viele für die Vereinsarbeit relevante Rechtsbereiche unterscheiden nicht zwischen gemeinnützigen Vereinen und gewinnorientierten Unternehmen als Regelungsadressaten. Die Belange der Vereine und des Ehrenamts sollten deshalb bereits bei der Entstehung von Regelungen systematisch berücksichtigt werden. Von Anfang an sollten Vertreter von Vereinen und Ehrenamt nicht nur in die politischen Entscheidungsprozesse, sondern auch in die Überlegung, wie der Verwaltungsvollzug erfolgen soll, einbezogen werden. Ziel sollte es sein, gemeinnützige Vereine nicht in den Normadressatenkreis einzubeziehen, wenn nicht unbedingt nötig oder zumindest vereinfachte Regeln für sie aufzunehmen.

  1. Die Landesregierung sollte einen Ehrenamtsbeauftragten ernennen

Ein Mitglied der Landesregierung sollte zum Ehrenamtsbeauftragten ernannt und mit einer Geschäftsstelle ausgestattet werden. Um mit der Komplexität der rechtlichen Vorgaben zurechtzukommen und rechtskonformes Verhalten zu erleichtern, benötigen Vereine und Ehrenamt Informationen, Unterstützung und Beratung. Dies erfordert eine zentrale Stelle auf Landesebene mit politischem Einfluss.

  1. Bürgerorientierte Verwaltung sowohl digital als auch persönlich ausrichten

Bei Antragsverfahren für Genehmigungen und Fördermittel, bei der Übermittlung statistischer Daten sowie der Erfüllung von Anzeigepflichten erwarten die Vereine schlanke und effiziente Verwaltungsprozesse. Die Digitalisierung hat hier zentrale Bedeutung. Für viele Vereine ist allerdings die Erreichbarkeit kompetenter Ansprechpartner gerade auch vor Ort ein ganz wesentliches Element der Servicequalität der Verwaltung. Dies gilt speziell für den ländlichen Raum.

  1. Konkrete Vorschläge zum Bürokratieabbau umsetzen

Aus einer Vielzahl von Einzelvorschlägen der über 1.900 befragten Vereine und Ehrenamtlichen hat der Normenkontrollrat Baden-Württemberg 49 Entlastungvorschläge ausgewählt. Diese reichen von der Vereinfachung des Datenschutzes über die Verbesserung der Servicequalität in den Registergerichten bis zu Anpassungen des Steuerrechts zur Gemeinnützigkeit. Der Normenkontrollrat empfiehlt der Landesregierung die zügige Umsetzung dieser Vorschläge bzw. auf deren zügige Umsetzung hinzuwirken.

  1. Schlussbemerkung

Der Normenkontrollrat ist sich bewusst, dass seine Vorschläge mit zusätzlichen Aufwänden für die öffentliche Verwaltung verbunden sind sowie zum Teil weitere Kosten im Landeshaushalt auslösen. In Anbetracht des großen ehrenamtlichen Engagements in Baden-Württemberg und dessen überragender gesellschaftlicher Bedeutung stellen der Aufwand und die Mittel eine angemessene Investition in den Zusammenhalt der Gesellschaft dar. Die Maßnahmen dürften längerfristig dazu beitragen, dass auch Staat und Verwaltung von Baden-Württemberg entlastet werden.

Quelle: www.normenkontrollrat-bw.de [1]

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