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Hure oder Heilige

Verehrung und Verachtung sind oft nur die zwei Seiten einer Medaille. Das erfahren insbesondere Frauen oft ungeschminkt und Italien ist zuweilen nochmal spezieller … Eine Ausstellung widemt sich dem.

In wenigen Ländern Europas sind derart festgefahrene weibliche Stereotype so verbreitet wie in Italien. Lasziv tanzen junge Frauen durchs Hauptabendprogramm, seit mittlerweile 65 Jahren. Sie tragen freizügige Kostüme und starkes Make-up, eine Ausnahme ist, wer keine schönheitsmedizinischen Eingriffe hat machen lassen. Die Mutter ist Ikone, gleichzeitig wird im Land der Kavaliere und Charmeure im Durchschnitt alle drei Tage eine Frau, meist von ihrem Partner, ermordet.

Weil sich sowohl die Fotografin Franziska Gilli als auch die Reporterin Barbara Bachmann schon lange mit der Frau und ihrer Rolle in Italien auf unterschiedliche Art auseinandergesetzt hatten, entstand der Wunsch, ein gemeinsames Projekt zu initiieren. Daraus resultiert die vielgestaltige Foto-Text-Arbeit »Hure oder Heilige«, für die sie mehrere Jahre recherchiert und zahlreiche Frauen und Spielorte in Italien besucht haben.

Wie der Titel intendiert, ist das Duo auf Frauenrollen der katholischen Kirche gestoßen, die seit zwei Jahrtausenden Bestand zu haben scheinen. Einerseits die Frau, die zur Befriedigung sexueller Triebe bereitsteht und auf der anderen Seite die Frau, die als keusches Wesen mit Mutterpflichten auftritt. Während in den siebziger Jahren eine starke feministische Bewegung erfolgreich das Recht auf Abtreibung oder Scheidung in Italien erreichte, haben sich gleichzeitig bestimmte, oft weit zurückreichende klerikale Dogmen, die das Verhältnis der Geschlechter regeln, bis heute bewahrt und weiter verfestigt.

Gilli und Bachmann zeigen in ihrer Arbeit eine von Widersprüchen zerrissene italienische Gesellschaft. Die beiden Journalistinnen setzen sich mit vorherrschenden Schönheitsidealen, der Dominanz der Kirche, dem Einfluss des Unterhaltungsfernsehens und der Gewalt gegen Frauen auseinander, begleiten aber auch immer wieder Protagonistinnen, die für einen neuen starken Aufbruch und für eine Vielfalt des gelebten Frauseins stehen. Das Besondere ist, dass an jeder Stelle ihres Projekts neben der journalistischen Qualität auch die persönliche Solidarität und kämpferische Haltung des Duos spürbar wird. Die Arbeit, die als Buch erschienen ist, feiert in einer aufwendig gestalteten Ausstellung in der FREELENS Galerie ihre Deutschlandpremiere.

Franziska Gilli, 1987 in Bozen geboren, lebt als freie Fotografin in Hannover. Ihre Arbeit umspannt Themen aus dem gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Bereich, denen sie sich in freien journalistischen Projekten genauso wie in Auftragsarbeiten widmet. Ihr besonderes Interesse gilt der Fragestellung, in welcher Weise Menschen gesellschaftliche Systeme gestalten und umgekehrt von diesen geprägt werden. Ihre Fotos erscheinen in allen wichtigen deutschsprachigen Magazinen und Tageszeitungen. Ihre freien Arbeiten sind zudem in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt worden.

Barbara Bachmann, Jahrgang 1985, ist freie Reporterin und arbeitet für zahlreiche Printmedien. Die Südtirolerin sagt von sich, dass sie in ihrer Arbeit den Blick auf das vertraute Italien mit der Neugierde auf die unbekannte Ferne verbinde. Immer wieder recherchiert sie Geschichten zu relevanten Themen wie Cybermobbing, Bitcoin-Mining oder Neonazis, die sowohl in den großen Tageszeitungen als auch in Magazinen erscheinen.  

Ausstellung „Hure oder Heilige“, 17. Februar 2022 bis 13. April 2022

Ort: FREELENS e.V., Alter Steinweg 15, 20459 Hamburg, Telefon 040-300664-0
www.freelens.com [1]

 

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