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Klänge ohne klare Kanten

Neue oder Aktuelle Musik – da bekommt es mancher schon vor dem ersten Ton mit der Angst. Dabei kann es Spaß machen und interessant sein. Ein Festival lädt nun dazu ein – auch im Süden der Stadt.

Zum zwölften Mal präsentiert blurred edges vom 2. bis 18. Juni 2017 analoge sowie elektronische Sounds in Fieldrecording, Komposition oder Improvisation, Kinoprogrammen, Performances und Ausstellungen. Die Künstlerinnen und Künstler des Line-Ups laden das Festivalpublikum ein, im ganzen Hamburger Stadtraum auf akustische Entdeckungsreise zu gehen. Neben vielen anderen Programmpunkten gibt es dieses Jahr erstmals das Projekt »SoundCaching«: Die Besucherinnen und Besucher laufen bestimmte Punkte in der Stadt ab und finden versteckte QR Codes. Mit diesen können sie Kompositionen, die eigens für den jeweiligen Hamburger Ort erstellt wurden, auf einem Smartphone hören – eine musikalische Wanderung durch die Innenstadt.

Und auch auf der Veddel und in Wilhelmsburg ist das Festival unterwegs.

So wird am Sonntag, 4. Juni um 20h am Kulturdeich Veddel, Georgswerderbogen 13 das Quartett „Grodrock & Pifnitzka/Mayer/Leutkart“ open air zu hören und erleben sein.

Grodrock ist ein seit 2008 bestehendes Ambient- und Noise-Projekt aus Freiburg im Breisgau. Beim blurred edges Festival wird das kürzlich erschienene Album „Tape – 1“ vorgestellt. Man kann sich gefasst machen auf eine Bandbreite an verschiedenartigen Hörerfahrungen: Sinuide Tonreibungsexperimente, bei denen der Klang durch analoge Sinusgeneratoren erzeugt wird, repetitive, sample-basierte Arbeiten, bei denen Fragmente von maoistischem Liedgut entkontextualisiert zu einem neuen Ausdruck kommen, sowie verzerrte, industrialartige Elektronikstücke.
Im zweiten Set spielt das Trio: Rolf Pifnitzka (Saxophone, Stimme), Felix Mayer (Posaune) und David Leutkart (Synthesizer, Elektronik). In der Underdog Gallery wird die Klanginstallation von Torben Laib eröffnet.

Arbeiterquartiere am Stadtrand

Und im Rahmen des Festivals „48h Wilhelmsburg“ [1]gibt es am Fr./Sa., 9. und 10. Juni an völlig verschiedenen Orten in Wilhelmsburg unter dem Titel „Wil(helm | liam)sburg“ [2] Musik und Klang der aktuellen Musik. Hintergrund hier ist, dass Hamburg und New York zwei Stadtteile mit ähnlich klingenden Namen verbindet – auf der anderen Seite der Elbe bzw. des East River: Wilhelmsburg und Williamsburg.
Manche Parallelen sind tatsächlich frappierend: Arbeiterquartiere am Stadtrand, geprägt von Hafenindustrie und Einwanderung. Mit der Gentrifizierung beschäftigen sich immer mehr Künstler*innen auf beiden Seiten des Atlantiks. Da Komponist*innen der jüngeren Generation durch ihre Umwelt und Kontexte beeinflusst sind, liegt es daher nahe, Vertreter*innen der aktuellen Musik aus beiden Kontinenten zusammenzubringen, um gemeinsam ein multimediales Konzertprogramm zu erarbeiten.
Dieses soll im Rahmen von Festivals (blurred edges /48h Wilhelmsburg und New York City Electroacoustic Music Festival) gezeigt werden. Dabei sein werden Komponist*innen wie Daniel Dominguez, Xiao Fu, Carlos Rico, Jacob Sello (Wilhelmsburg) Maria Chavez, Howie Kenty, Dafna Naphtali, Hans Tammen (Brooklyn)

Hintergrund:

Im Jahr 2005 vom Verband für aktuelle Musik Hamburg ins Leben gerufen, sorgte das zweiwöchige Veranstaltungsformat aufgrund seiner programmatischen Widersprüche auch international immer wieder für Aufsehen. Das Magazin »The Wire« schrieb 2016 beispielsweise: „The evening’s convivial tone and friendly ambience were also reminders that a diversity of taste and expansiveness of scope, and the spirit of openness and informality from which they spring, are the festival’s principal virtues.“

Der Reiz eines Produzenten-Festivals gegenüber dem klassischen kuratierten Festival liegt in der Vielfalt der Positionen. Der Gedanke von verwischten Genregrenzen durchzieht blurred edges auf mehreren Ebenen. Einen Kurator oder eine Kuratorin, die das Festival allumfassend inhaltlich steuert, gibt es nicht. Im Gegenteil: Das Programm von blurred edges wird von sehr verschiedenen Kollektiven und Einzelpersonen der Hamburger Musikszene eigenständig gestaltet und mit Anspruch an Offenheit und Vielfalt vom Verband für aktuelle Musik Hamburg (vamh.de) koordiniert. Am Ende ergibt sich ein spannungsreiches Puzzle aus sehr diversen künstlerischen Ausdrucksformen. Diese Art der Organisationsstruktur nutzt die direkten Verbindungen der veranstaltenden Musikerinnen und Musiker.
Bespielt werden während der 17 Tage 32 sehr abwechslungsreiche Orte Hamburgs.

Hier kann das Programmheft als PDF (A6, 70 Seiten) geladen werden: www.vamh.de [3]

(02. Jun. 2017, hl)

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