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London Calling

Die Metropolen ändern sich rasant. Wachstum, Platzmangel, Preissteigerungen. Darunter leiden auch die Live-Musikclubs. Hamburg startete eine Petition, London erklärt Live-Clubs zur Chefsache. Was ist da los?

In wenigen Jahren ist das passiert, was 2009 bei der Kampagne „not in our name“ in Hamburg prognostiziert wurde: „Viele europäische Metropolen konkurrieren heute darum, zum Ansiedelungsgebiet für diese „kreative Klasse“ zu werden. Für Hamburg hat die Konkurrenz der Standorte mittlerweile dazu geführt, dass sich die städtische Politik immer mehr einer „Image City“ unterordnet. Es geht darum, ein bestimmtes Bild von Stadt in die Welt zu setzen: Das Bild von der „pulsierenden Metropole“, die „ein anregendes Umfeld und beste Chancen für Kulturschaffende aller Couleur“ bietet.“ (siehe „Manifest“ der Initiative „not in our name“ [1], 2009)

Dabei war das nicht mal neu. In seinem Buch Le droit à la ville von 1968 (!) entwarf der französische Philosoph und Soziologe Henri Lefebvre das Recht auf Stadt als ein Recht auf ein transformiertes, erneuertes urbanes Leben. Darin thematisierte er schon früh die sozialen Probleme, die durch die rasche Urbanisierung der Nachkriegszeit, insbesondere durch den Massenwohnungsbau entstanden. Lefebvre beklagte zahlreiche Qualitätseinbußen, die mit dem Urbanisierungsprozess einhergingen. Stadt als Ort der kreativen Schöpfung werde zunehmend dem Tauschwert und der industriellen Verwertungslogik unterworfen werde und für ihre Bewohnerinnen und Bewohner schließlich in den Zwang münde „sich in Schachteln, Käfigen oder ,Wohnmaschinen‘ einschließen zu lassen“.

Nun ganz so ist es nicht gekommen. Jedenfalls nicht so und auch noch nicht. Aber das sich da was zusammen braut, zeigen jüngste Initiativen wie in Amsterdam. Dort wurden ab Herbst 2017 reine Tourismusläden nicht mehr zugelassen und das Stadtmarketing gleich ganz eingestampft. Der Widerstand der Stadtbevölkerung gegen einen touristischen Ausverkauf wurde zu groß. Paris hat frühzeitig verschiedene Schwerpunkte im urbanen Gebiet geschaffen, um das direkte Zentrum nicht zum Pulverfass und touristischen Disneyland werden zu lassen. Ob es reicht, kann man bezweifeln.

Jetzt hat Londons Bürgermeister Sadiq Khan mit dem „London Plan 2018“ die sogenannten Grassroots Music Venues (dt. etwa wie Kleinstmusikbühnen) zur Chefsache erklärt. In einem Masterplan sollen die Themen Stadtentwicklung und Kulturräume künftig strukturell verbunden und behandelt werden.

Auszüge aus dem London Plan:

Das “Agent of Change”-Prinzip verlagert die Verantwortung für die Abschwächung der Auswirkungen von bestehenden lärmerzeugenden Aktivitäten oder Nutzungen auf die neu geplante lärmsensitive Nutzungen.
„Die Bezirke sollten sicherstellen, dass die Planungsentscheidungen das „Agent of Change“-Prinzip widerspiegeln und die bestehenden lärmerzeugenden Nutzungen sensibel berücksichtigen, wenn neue Projekte, insbesondere Wohngebiete, in der Nähe vorgeschlagen werden.
Neue Projektentwickler sollten Lärm und andere potenzielle Belästigungen durch Folgendes steuern:

1) Gewährleistung eines guten akustischen Designs zur Minderung und Minimierung vorhandener und potenzieller Lärmauswirkungen von bestehenden Nutzungen in diesem Gebiet.

2) Ausarbeitung von Minderungsmaßnahmen in einem frühen Stadium der Entwurfsphase, mit notwendigen und angemessenen Vorkehrungen, die durch Planungsverpflichtungen gesichert sind.

3) Neue lärmsensitive Projekte sollten soweit wie möglich von bestehenden lärmerzeugenden Unternehmen durch Entfernung, Abschirmung, Innenausbau, Schalldämmung und Isolierung sowie andere akustische Gestaltungsmaßnahmen getrennt werden.

Neue Entwicklungen sollten so gestaltet sein, dass etablierte lärmerzeugende Veranstaltungsstätten rentabel bleiben und ohne unangemessene Einschränkungen weiter bestehen oder wachsen können.
Neue lärmerzeugende Projekte wie industrielle Nutzungen, Musiklokale, Kneipen, Eisenbahninfrastrukturen, Schulen und Sportstätten, die in der Nähe von Wohngebieten und anderen lärmsensiblen Gebäuden geplant werden, sollten Maßnahmen wie Schalldämmung zur Linderung und Bewältigung von Lärmbelastungen für Bewohner und Unternehmen in der Nachbarschaft ergreifen.
Die Bezirke sollten Entwicklungsvorschläge ablehnen, die nicht eindeutig aufzeigen, wie Lärmauswirkungen gemildert und gemanagt werden.“

Weitere Infos unter: musicvenuetrust.com [2]

Die Petition des Brancheverbandes Clubkombinat Hamburg, das unter dem Namen #FutureMusicCityHH [3] einen Schutz von Live-Musikclubs in Hamburg einfordert (´Tiefgang` berichtete), hat die Diskussion zumindest auch in Hamburg  neu befeuert. Und zumindest darf man gespannt sein, ob das Venedig des Nordens bereit ist, Konzepte und Strategien anderer Metropolen in den Diskurs aufzunehmen.

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