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PEN Berlin gegründet

In Berlin wurde vor einigen Tagen der PEN Berlin (steht für „Poets, Essayists, Novelists“) neu gegründet. Vorausgegangen war ein Streit im PEN-Zentrum Deutschland, der im Rücktritt des nur sieben Monate amtierenden Präsidenten Deniz Yücel endete …

Im Streit um Meinungsfreiheiten versus Verbandsetikette hatte Yücel gesagt: „Ich will keine Galionsfigur für diese Bratwurstbude sein“ und trat zurück. Nun also als Reaktion eine Neugründung, zu der gleich über 360 Mitglieder eintraten. Allein das zeigt, dass im PEN-Zentrum Deutschland wohl eine große Unzufriedenheit herrschte. Gerade der Ukraine-Konflikt trug nochmal wesentlich dazu bei, dass die Grundwerte des PEN zur Meinungsfreiheit einem Stresstest unterzigen wurden. Denn der PEN hat sich eine Charta [1] wie ein Grundgesetz gegeben, in der es in vier Punkten heißt:

“ 1. Literatur kennt keine Landesgrenzen und muss auch in Zeiten innenpolitischer oder internationaler Erschütterungen eine allen Menschen gemeinsame Währung bleiben.

2. Unter allen Umständen, und insbesondere auch im Krieg, sollen Werke der Kunst, der Erbbesitz der gesamten Menschheit, von nationalen und politischen Leidenschaften unangetastet bleiben.

3. Mitglieder des PEN sollen jederzeit ihren ganzen Einfluss für das gute Einvernehmen und die gegenseitige Achtung der Nationen einsetzen. Sie verpflichten sich, mit äußerster Kraft für die Bekämpfung jedweder Form von Hass und für das Ideal einer einigen Welt und einer in Frieden lebenden Menschheit zu wirken.

4. Der PEN steht für den Grundsatz eines ungehinderten Gedankenaustauschs innerhalb einer jeden Nation und zwischen allen Nationen, und seine Mitglieder verpflichten sich, jeder Art der Unterdrückung der freien Meinungsäußerung in ihrem Lande, in der Gemeinschaft, in der sie leben, und wo immer möglich auch weltweit entgegenzutreten. Der PEN erklärt sich für die Freiheit der Presse und verwirft jede Form der Zensur. Er steht auf dem Standpunkt, dass der notwendige Fortschritt in der Welt hin zu einer höher organisierten politischen und wirtschaftlichen Ordnung eine freie Kritik gegenüber Regierungen, Verwaltungen und Institutionen zwingend erforderlich macht. Und da die Freiheit auch freiwillig geübte Zurückhaltung einschließt, verpflichten sich die Mitglieder, solchen Auswüchsen einer freien Presse wie wahrheitswidrigen Veröffentlichungen, vorsätzlichen Fälschungen und Entstellungen von Tatsachen für politische und persönliche Ziele entgegenzuarbeiten.“

In der Pressemitteilung des nun neu gegründeten PEN Berlin heißt es:

„Am Freitag, den 10.06.2022 hat im Literaturhaus Berlin die juristische Vereinsgründung von PEN Berlin stattgefunden – rund 360 Autor:innen, Übersetzer:innen und Publizist:innen sind als Gründungsmitglieder beigetreten. Seit der Ankündigung der neuen Schriftstellervereinigung am vorigen Dienstag waren noch einmal über hundert Autor:innen dazugekommen, darunter Ingrid Bachér, Bora Ćosić, Günter Wallraff, Ronja von Rönne, Sven Regener, Nicole Seifert sowie der russische Schriftsteller Wladimir Sorokin. Die vollständige, nunmehr abgeschlossene Liste der 367 Mitgründer:innen entnehmen Sie bitte unserer Webseite penberlin.de [2].
Sorokin schrieb, er habe den russischen PEN verlassen, als es konformistisch und pro-putinistisch wurde. Jetzt in diesen dramatischen Zeiten bin ich ein Berliner und mit PEN Berlin“. Der zur Fahndung ausgeschriebene russische Autor Dmitry Glukhovsky wurde noch während der Gründungsversammlung von Mitgliedern des PEN Berlin am Flughafen Berlin-Brandenburg abgeholt und zum Ehrenmitglied ernannt. Ebenso hat der Whistleblower Julian Assange, der skandalöserweise weiterhin in England in Haft sitzt und von der Auslieferung in die USA bedroht ist, eine Ehrenmitgliedschaft von PEN Berlin akzeptiert.
Die 91-jährige Bachér war die erste Frau an der Spitze eines deutschen PEN-Zentrums. 1996 trat sie als Präsidentin des westdeutschen PEN zurück und aus dem PEN aus. Aus demselben Grund – Protest gegen die pauschale Aufnahme aller Mitglieder des Ost-PEN ohne vorige Überprüfung etwaiger Stasi-Verstrickungen verließen damals unter anderem Marcel Reich-Ranicki und Katja Lange-Müller den westdeutschen PEN, die nun ebenfalls zu den Mitgründer:innen des PEN Berlin gehört.
Eva Menasse und Deniz Yücel wurden als Sprecher:innen gewählt, die Mitglieder des Boards sind: Simone Buchholz, Alexandru Bulucz, Joachim Helfer, Konstantin Küspert, Ralf Nestmeyer, Ronya Othmann, Mithu Sanyal, Elke Schmitter und Sophie Sumburane.
„Das ist kein Club von Gleichgesinnten und das will er auch nicht sein“, sagte Eva Menasse. „Indem wir interne Meinungsverschiedenheit hintanstellen, können wir das ganze symbolische Kapital unserer eindrucksvollen Mitgliederliste in die Waagschale werfen – für die verfolgte Kolleg:innen und die Freiheit des Wortes“.
PEN Berlin ist bereits mit Vertreter:innen von PEN International im Gespräch, um die Anerkennung als PEN Zentrum zu erreichen. Die PEN Zentren Uganda und Ukraine haben schon signalisiert, auf der Vollversammlung Ende September im schwedischen Uppsala für PEN Berlin zu bürgen. Bis dahin und bis zur ersten Mitgliederversammlung im November steht den Gewählten und allen, die sich zur ehrenamtlichen Mitarbeit bereit erklärt haben, noch viel Arbeit bevor. Aber genauso wollten wir es. Wir stehen im Wort.“

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