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„Auch ich musste erst das Selbstbewusstsein lernen!“

Sie ist aus Stelle, hat den 3. Preis beim Salzhäuser Literaturpreis gewonnen obschon noch keinen Roman publiziert. Aber sie schreibt daran und er wird „das Vermächtnis“. Grund genug, dem mal auf den Grund zu gehen …

 

Tiefgang (TG): Wovon handelt ‚Das Vermächtnis‘?

Ute Holst: In der Geschichte geht es um einen jungen Mann, der Erwin Zuckerbein heißt. Durch einen Notar bekommt er ein rätselhaftes Päckchen von seinem verstorbenen Vater ausgehändigt. Darin befinden sich eine verbogene Nickelbrille, eine goldene Armbanduhr und ein selbstgefaltetes Notizbuch. Diese Gegenstände rufen schreckliche Erinnerungen an Erwins Kindheit hervor. Damit hat er sehr zu kämpfen: Er will herausfinden, was für ein Mensch sein Vater wirklich war, und er versucht jetzt, seinen Platz im Leben zu finden.

TG: Woher kam die Idee zu dieser Geschichte?

Holst: Die Anregung kam von Kerstin Brockmann, der Leiterin der Schreibwerkstatt bei Alles wird schön in Heimfeld. Sie hat mich auf den Anfang des Buches ‚Nachgetragene Liebe´ von Peter Härtling aufmerksam gemacht, bei dem auch eine Schachtel mit einer Nickelbrille, einer Taschenuhr und einem Notizbuch eine Rolle spielt. Das hat mich zu meiner eigenen Geschichte inspiriert.

TG: Wie kommst du auf so skurrile Namen wie ‚Zuckerbein‘ oder ‚Klopfstock‘? Haben diese Namen eine Bedeutung?

Holst: (lacht) Ich kann mich gut erinnern, dass es in meiner Kindheit im Schulfunk einen Moderator gab, der Zuckerbein hieß. Und ich wollte für den Roman einfach ungewöhnliche Namen nehmen, nicht Müller-Meier-Schultze, die jeder in seinen Geschichten hat. Klopfstock war einfach ein Zufallstreffer.

AH: Es ist eher die Ausnahme, wenn Frauen aus der Perspektive eines männlichen Protagonisten schreiben. War das eine bewusste Entscheidung? Und fällt es dir schwer?

Holst: Es fällt mir total leicht. Und ich habe da im Grunde auch gar nicht drüber nachgedacht.

TG: Haben die Figuren im Roman reale Vorbilder?

Holst: Nein, so würde ich das nicht sagen. Aber ich greife in dem Text durchaus auch mal auf Erlebnisse aus meinem Leben und Erfahrungen aus meinem Berufsalltag zurück.

TG: Zu Beginn der Handlung hat Erwin wenig Selbstvertrauen. Das ändert sich langsam durch den Kontakt zu bestimmten anderen Menschen. Du strahlst hingegen – im positiven Sinne – viel Selbstbewusstsein aus. War das schon immer so?

Holst: Nein, das habe ich erst lernen müssen. Ich bin Jahrgang 1952. Mein Vater war Beamter, darum bin ich streng und zur Zurückhaltung erzogen worden. Dadurch habe ich es im Berufsleben anfangs nicht leicht gehabt. Ich weiß, wie schwierig es ist, Selbstbewusstsein aufzubauen. Geholfen haben mir dabei unter anderem Volkshochschulkurse und Seminare in der Firma. Und bin auch heute noch dabei, mich zu entwickeln und nehme da gerne noch Anregungen an.

TG: Wie bist du zum Schreiben gekommen?

Holst: Ich habe schon als junger Mensch gerne geschrieben. Zu runden Geburtstagen oder Jubiläen in der Familie habe ich manchmal ‚Festtagszeitungen‘ gestaltet. Während meiner Berufstätigkeit hatte ich in der Firma Englisch-Unterricht. Eines Tages kam mein Chef rein und sagte uns, er könne seine Englisch-Stunde nicht wahrnehmen, fragte wer Interesse hätte diese zu übernehmen. Da habe ich sofort ‚hier‘ gerufen.

 

neue Vokabeln – neue Geschichten

 

Mit der Lehrerin, einer Amerikanerin, habe ich mich sehr gut verstanden. Es ging damit los, dass wir uns auf Englisch unterhalten haben. Zu jeder Vokabel, die für mich neu war, sollte ich einen Satz bilden, damit sie sich besser einprägt. Das war mir zu langweilig, schließlich werden die Wörter ja auch im Gespräch in einem Kontext genannt. Daher habe ich mir zu den neuen Vokabeln eine kleine Geschichte ausgedacht. So kam es, dass ich im Englisch-Unterricht eine Fortsetzungsgeschichte über ein kleines Mädchen schreiben konnte. Das waren meine Anfänge als Autorin.

TG: Du hast für eine deiner Geschichten sogar schon einen Preis gewonnen, oder?

Holst: Ja, das war im Jahr 2015 beim Kurzgeschichten-Wettbewerb ‚Salzhäuser Literatur-Preis‘. Das Thema war ‚Der blaue Koffer‘. Da habe ich den dritten Platz belegt.

TG: Bisher hast du vor allem Kurzgeschichten geschrieben. Stand für dich zu Beginn der Arbeit am Vermächtnis sofort fest, dass daraus ein Roman werden würde?

Holst: Nein, überhaupt nicht. Als Kerstin mir den Schreibvorschlag mit den ungewöhnlichen Gegenständen in dem Päckchen gemacht hat, habe ich zwar zuerst gedacht: „Oh, wie soll ich denn das alles unter einen Hut bringen?!“ Aber dann hat sich mein Text so toll entwickelt und ich habe so viel Freude daran, dass ich mir im Moment gar nicht vorstellen kann, mich wieder auf Kurzgeschichten zu beschränken.

TG: Du bist jetzt seit ungefähr zwei Jahren bei der Schreibwerkstatt in Heimfeld. Wie bist du darauf gekommen?

Holst: Ich habe im Herbst 2014 einen Volkshochschulkurs zum Thema „Kreatives Schreiben“ bei Kerstin gemacht. Kurz darauf hatte die Schreibwerkstatt bei ´Alles wird schön´ 10-jähriges Jubiläum und ich habe die aus diesem Anlass stattfindende Lesung besucht. Anfang 2015 habe ich das erste Mal selbst teilgenommen. Seitdem gehe ich dort regelmäßig und sehr gerne hin. Dort werde ich sehr gefördert und konnte mich in den zwei Jahren literarisch stark weiterentwickeln.

TG: Brauchst du einen bestimmten Ort oder eine bestimmte Atmosphäre zum Schreiben?

Holst: Am liebsten sitze ich zu Hause vor dem Fenster mit Blick auf meinen Garten. Aber ich habe auch immer ein Notizbuch oder einen Zettel dabei. Wenn mir unterwegs etwas einfällt, kann ich die Idee sofort aufschreiben.

TG: Du hast über 40 Jahre bei einem großen Hamburger Zeitschriftenverlag gearbeitet, darunter lange für den Stern. Hat der enge Kontakt zu Journalisten und das „Arbeiten am Puls der Nachrichten“ deine Wahrnehmung der Umgebung und deinen Schreibstil geprägt?

Holst: Ja, ich glaube schon. Auch da musste ich immer sehr spontan reagieren. Und natürlich habe ich durch die Arbeit mit den Kollegen ganz viele Anregungen bekommen. Das hat mich mit Sicherheit geprägt.

TG: Nun bist du seit einem knappen Jahr in Rente. Was für Pläne hast du für die nächsten Jahre?

Holst: Ich würde mich gern ehrenamtlich engagieren. Aber bisher habe ich noch nicht das Richtige für mich gefunden. Ich hatte die Idee, als Granny-Au-Pair ins Ausland zu gehen. Allerdings ist das mit Haus und Garten ein bisschen schwierig. Auf jeden Fall würde ich gerne was mit Kindern machen. Das geht ja auch hier in Hamburg oder in meiner näheren Umgebung.

TG: Am 3. April liest du im Rahmen der Harburger Suedlese bei ‚Alles wird schön‘ aus deinem Roman vor. Wird das deine erste Lesung sein?

Holst: Bei den Suedlese-Tagen im letzten Jahr habe ich bereits an der Gruppenlesung der Schreibwerkstatt teilgenommen. Außerdem habe ich am Welttag des Buches in der Gemeindebücherei meines Heimatorts Stelle aus meinem aktuellen Roman vorgelesen und dafür sehr viel Lob und Anerkennung bekommen. Zudem habe ich im Rahmen der neuen Veranstaltungsreihe „Stelle liest… im Sommer“ die Kurzgeschichte vom Salzhäuser Literaturpreis vorgetragen. Aber es wird für mich die erste eigene Lesung. Darauf freue ich mich.

TG: Was erwartet die Zuhörer?

Holst: (lacht) Was erwartet die Zuhörer? Ich werde den Beginn des Romans lesen. Also nicht einzelne Kapitel, wie man das aus fertigen Romanen gerne macht. Sondern ich werde von Anfang an lesen, damit die Zuhörer einen Eindruck bekommen, wer Erwin ist, er ist ja ein bisschen speziell, und wie sich sein Weg fortsetzt.

TG: Welches Genre liest du am liebsten?

Holst: Allgemein mag ich sehr gern Romane, alle möglichen Genres. Eins meiner Lieblingsbücher ist ‚Steine und Rosen‘ von Sabine Kornbichler. Aber ich lese auch Fachbücher, vor allem aus dem Bereich Psychologie.

TG: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Ute Holst liest im Rahmen der Suedlese 2017 am Montag, den 3. April, um 19.30 Uhr bei Alles wird schön [1], Friedrich-Naumann-Straße 27 in Heimfeld. Der Eintritt ist frei.

Das Interview für Tiefgang führte der in Rom lebende und ebenfalls schreibende Alexander Holst, Sohn von Ute Holst.

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