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„Kriegskinder“

Im Februar war die Welt noch in Ordnung. Kurz vor dem Lockdown starteten wir unser Kunstprojekt „Kriegskinder – Die Schatten der Vergangenheit“. Durch die Corona Pandemie haben wir auch künstlerisch hinterfragt „Was haben Krieg und Corona gemeinsam?

von Ulrike Hinrichs

Die Idee des Kunstprojektes (Die Schatten der Vergangenheit [1]) ist schnell erzählt: Die traumatischen Erfahrungen des 2. Weltkriegs liegen zwar lange zurück, aber sie wirken bis heute nach. Noch immer sind Menschen weltweit auf der Flucht, weil sie von Verfolgung, Krieg und Terror betroffen sind. Das von mir initiierte Kunstprojekt hat unterschiedliche Menschen zusammengebracht, die sich künstlerisch mit dem Thema beschäftigt haben. Die jüngste Teilnehmerin ist 28 Jahre, die Älteste 88 Jahre alt. Entstanden ist eine bunte Mischung an Kunstwerken, die keineswegs nur düstere Kriegsdramen darstellen, sondern das schwierige Thema auch mit Humor beleuchten.

 

 

 

 

 

 

 

 

Fotoprojekt Holger Musiol

Auch die Corona Pandemie findet sich thematisch im künstlerischen Ausdruck wider. Wir erinnern uns an das irrationale Hamstern von Toilettenpapier? Und gehamstert wurde auch im Krieg, wenn auch nicht Klopapier, wie die Älteste berichtete, „da hat man sich anders zu helfen gewusst“, sagte sie. In unserer Gruppe kam die Idee auf, die Papprollen zu sammeln, zu gestalten und eine riesige Gemeinschaftsskulptur daraus zu machen.

Bei unseren regelmäßigen Treffen haben wir viel erzählt und diskutiert. Zu den Werken sind auch kreative Texte entstanden, aus denen im Rahmen der Ausstellungseröffnung gelesen wird. Ursula berichtete uns bei einem der Treffen von ihrer großen Angst, die sie mit 7 Jahren hatte, als sie das erste Mal vom Krieg hörte.

„Seit ich als Kind den Krieg erlebte und die Zeit danach, hat der Tod jede Bedeutung für mich verloren. ›Hast Du schon gehört, es ist Krieg!‹ sagte mir ein Kind auf dem Weg zum Bäcker. ›Was ist das denn“, fragte ich das Kind, das nur um ein geringes älter war als ich mit meinen sieben Jahren. ›Weiß ich doch nicht‹, war die Antwort, „meine Eltern haben es gesagt“. 

Es war der 1. September 1939, ich war auf dem Weg zum Brötchen holen. Die Stimmung fühle ich heute noch, als sei es gestern gewesen. Es musste etwas Schreckliches sein, die Straßen waren wie ausgestorben, ungewöhnlich um diese Morgenstunde. Und die Scheiben der Geschäfte, waren alle mit Pappe und Holz zugenagelt. Mir machte das Angst, eine unbestimmte Angst, mein Herz klopfte. Stumm schaute ich den Jungen an. ›Krieg?‹ fragte ich noch einmal, dann drehte ich mich um und rannte nachhause.

›Mama, es ist Krieg!“. 

›Ja,  sagte meine Mutter, man sagte es eben im Radio.‹

Diese Angst, diese schreckliche Angst !

Wenige Wochen später ging es los mit den Fliegerangriffen. Wir hatten die Marine und viele Werften in unserer Stadt, wo Kriegsschiffe und besonders U-Boote gebaut wurden, deshalb wurden wir ganz besonders bevorzugt von den Fliegern und ihren Bomben. Wenn die Sirenen heulten, dann riss die Mutter uns aus dem Schlaf und schrie, ›zieh Dich an, beeil Dich, wir müssen in den Luftschutzkeller‹. Sie riss das Baby aus dem Korb und einige Kleidung, mein Vater nahm einen schon gepackten Koffer mit wichtigen Papieren und wir hasteten in den Keller, wo schon die anderen Hausbewohner saßen, alle in Wolldecken gewickelt, die Kinder waren in die Stockbetten gelegt und schliefen weiter. Ich nicht. Ich war schon zu groß, für Schulkinder war kein Platz mehr in den Betten.

Dann hörten wir die Flugzeuge, das Schießen der Flak, wieder ein fremdes Wort, das Angst machte. Flak! Wie das knallte, dieses Wort. Es war eine der Abkürzungen, die wir im Laufe der Zeit lernten, Flak, Fliegerabwehrkanone. Einer der Männer, der Luftschutzwart, ging aus dem Keller, um nach Einschlägen von Brandbomben zu schauen. Dann mussten die Erwachsenen löschen und wir Kinder saßen allein dort unten mit unserer Angst.

Die geplante Gemeinschaftsausstellung auf dem Harburger Kulturtag am 8. November 2020 ab 12.00 bis 19.00 Uhr- St. Johanneskirche, Bremer Straße 9, 21073 Hamburg ist aufgrund des neuerlichen Lockdowns abgesagt worden. Ein Ersatztermin ist noch nicht bekannt.

Diese Kriegskinder stellen aus: Anne Flad, Antje Gerdts, Asif Raza Haidari, Edeltraut K. Schlichting, Norbert Schlichting, Holger Musiol, Karen Kandzia, Ralf Schwinge, Rita Peters, Sonja Alphonso, Thanushanth Anandarajah, Ulrike Hinrichs, Ursula Sauerbaum, Yvonne Lautenschläger, Zeinab Alipour.

Projektleitung: Ulrike Hinrichs www.lösungskunst.com [2]

Das Projekt wird gefördert durch die Lokalen Partnerschaften für Demokratie Harburg und Süderelbe im Rahmen des Bundesprogramms Demokratie leben!

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