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Mit der Kunst die Selbstwirksamkeit stärken

Wenn wir in Krisen feststecken, schwierige Lebenssituationen durchlaufen, von Krankheit betroffen sind, dann fehlt uns oft das Vertrauen, die Lage bewältigen zu können. Wir verfallen in eine Opferrolle, fühlen uns hilflos. Der künstlerische Ausdruck kann uns helfen, in unsere Kraft zu kommen.

von Ulrike Hinrichs

Wir sind von globalen Krisen umzingelt. Corona, Krieg, Inflation, Energiekrise. Individuelle Probleme kommen hinzu. Ich arbeite mit Geflüchteten, die Flucht und Folter überlebt haben und mit Frauen, die Gewalt erleben mussten. Solche traumatische Extremsituationen wirken zerstörend. Trotzdem kommen Menschen unterschiedlich gut durch solche bedrohlichen Situationen (siehe dazu auch Posttraumatisches Wachstum entdecken [1])

In Krisen fallen wir auf die archaischen Grundmuster zurück, Flucht, Angriff oder Erstarrung. Wir fühlen uns hilflos, ohnmächtig, alleingelassen. Wir haben den Eindruck, die Kontrolle zu verlieren und nichts mehr tun zu können.

Wir kommen wir raus aus dem Muster der Ohnmacht?

Der erste Schritt ist ein Gefühl dafür zu entwickeln, wieder die Zügel in der Hand zu haben. Selbstwirksamkeit bedeutet, dass du daran glaubst, gezielt Einfluss auf die Dinge und die Welt nehmen zu können. Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass Menschen mit einem guten  Gefühl der Selbstwirksamkeit die niedrigste Auffälligkeit für Angststörung und Depression zeigen. Oft erlernen wir in unserer Kindheit eine Form der Hilflosigkeit, wenn von den Eltern, der Schule, der Umgebung nicht in unserer Fähigkeiten und unsere Autonomie investiert wird. Wir hören dann beispielsweise Botschaften wie „Das kannst du sowieso nicht“, „Eigenlob stinkt“, „nimm dich nicht so wichtig“. Wir müssen die alten Glaubenssätze abschütteln und in unsere Kraft investieren.

Was hilft uns, Selbstwirksamkeit zu stärken?

Bewältigung schwieriger Situationen

Wenn man in der Vergangenheit schwierige Situationen gemeistert hat, dann stärkt das den Glauben in die eigenen Fähigkeiten auch für die Zukunft. Dazu ist es wichtig, dass wir solche Krisenbewältigung nicht „dem Zufall“ zuschreiben oder auf „Glück“ verweisen, sondern Erfolge uns selbst attestieren. Eigenlob stinkt also ganz und gar nicht. Frage dich: welche Krisen hast du in deinem Leben bewältigt? Wie hast du das gemacht? Was hast du daraus gelernt? Wir können aber auch stellvertretende Erfahrungen sammeln, indem wir Menschen beobachten, die durch Krisen gestärkt durchkommen.

Niedrigschwellige künstlerische Angebote helfen, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken. Wenn ich von Kunst spreche, dann meine ich den bewertungsfreien und authentischen Ausdruck. Ich erlebe immer wieder in meinen Gruppen, dass Betroffene an den eigenen künstlerischen Fähigkeiten zweifeln. Wenn am Ende der Stunde ein wunderbares Kunstwerk entstanden ist, strahlen sie über das ganze Gesicht. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich das schaffe“, heißt es dann. Dazu ist wichtig, dass die künstlerischen Aufgaben leicht umzusetzen sind. Im Beitrag siehst du ein einfaches, aber ausdrucksstarkes Beispiel einer Giraffe einer Hochbetagten.

Verbale Ermutigung durch andere

Verbale Ermutigungen von anderen unterstützen den Prozess, soweit man der Person vertraut. Besteht eine positive, stabile und tragfähige Beziehung, dann wirkt Ermutigung verstärkend. Für mich gehört dazu eine Arbeit auf Augenhöhe. Das bedeutet, dass ich als Therapeutin die Menschen wie eine Reiseführerin begleite. Ein wertschätzender Umgang ist dafür unabdingbar. Leider beobachte ich gerade im Umgang mit alten Menschen oft das Gegenteil. Sie werden nicht als erwachsene Persönlichkeiten ernst genommen.

Vermeidung von Stress

Positive Emotionen steigern die Selbstwirksamkeit, Stress und Anspannung reduzieren sie. Das bewertungsfreie Malen führt uns automatisch zurück in den Moment. Nicht zu unterschätzen ist dabei das künstlerische Tun selbst, den Pinsel halten und in Wasser tauchen, die Farben auf dem Papier fließen lassen. Die Klientin aus meiner Seniorengruppe berichtete zu ihrem Giraffenbild, dass sie förmlich habe spüren können, wie mit jedem Farbstrich die Anspannung aus ihr weiche. Sie atmete tief durch, während sie erzählte. „Puhhhh“, sie könne wieder tief ein- und ausatmen.

All das fördert Entspannung und führt bestenfalls in Flow Zustände. Flow, ein Begriff den der Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi geprägt hat, bezeichnet das Gefühl eines Zustandes der völligen Vertiefung gepaart mit einem Aufgehen in der Tätigkeit. Alles wird ganz leicht, fließend und läuft ohne Anstrengung ab. Mir gefällt der Begriff „Mikro-Flow“, der kurze Flow-Momente beschreibt. Diese Momente erleben wir beim Malen.

Giraffenbild einer Klientin aus dem Kreativen Begegnugnsraum für Hochbetagte

Imaginäre Erfahrung

Wenn wir uns in unserer Vorstellung in eine Situation hineinbegeben, in der wir die Krise bewältigt haben, dann fördern wir ein Gefühl der Selbstwirksamkeit. Wir gehen mit unserer Aufmerksamkeit in die krisenfreie Zukunft. Auch dafür biete die Kunst eine Möglichkeit. „Die Macht der Imagination ist ein evolutionärer Jackpot, unsere Wahrnehmung ist der Schlüssel zu ihrem Verständnis“, so Fred Mast in seinem Buch „Black Mamba oder die Macht der Imagination“ (S. 9). Mittels der Imagination können wir Zukünftiges antizipieren und Unbekanntes sichtbar machen. Kunst ist Imagination. Wir können kreativ einen Ausdruck für die gelöste Krise finden. Wie sieht deine Welt aus, wenn das Problem verschwunden ist?

Ulrike Hinrichs ist Heilpraktikerin für Psychotherapie, Anwenderin Positive Psychologie, Traumazentrierte Fachberaterin und Kunsttherapeutin (M.A). Sie ist auch Autorin des Fachbuchs „Kunst als Sprache der Intuition. Der holografische Ansatz in der Kunsttherapie und kunstanalogen Transformationsprozessen“ (Synergia Verlag).

www.lösungskunst.com [2]

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