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Über die Strahlkraft des Giersches

Die Orte der Worte der SuedLese-Literaturtage sind stets eine besondere Betrachtung wert. So auch der Kirschbaum in Neugraben, der nicht zuletzt in der Pandemie seine poetische Wirkung entfaltete.

Die Neugrabener Leseratte und nun auch selbst Schreiberin Anje Schwennsen lädt seit geraumer Zeit in die Idylle ihres Kirschbaumes und macht  dies zu einem Leseort, bei dem sich auch bekannte Autor*innen die Äste in die Hand reichen. Wir haben mal nachgefragt …

Tiefgang (TG): Die Lesung unterm Kirschbaum gibt es seit wann?

Anja Schwennsen: Die Lesung gibt es seit Juni 2020.

TG: Wie kam die Idee auf?

Anja Schwennsen: Mit den Lockerungen nach dem ersten Lockdown, der auch den Ausfall der Leipziger Buchmesse bedeutet hatte, war mir klar, dass ich Autor*innen in meinem Umfeld unterstützen möchte. Als Vorstandsmitglied des writers’ room Hamburg stehe ich mit vielen Hamburger Autorinnen und Autoren in Kontakt. Da habe ich mitbekommen, wie schwer der Ausfall der Buchmesse und aller Veranstaltungen für viele war, weil es einfach keine Möglichkeit mehr gab, seine Bücher vor einem Publikum zu präsentieren. Silke Tobeler beispielsweise hatte gerade nach zehn Jahren Arbeit ihr Debüt »Collage – ein Art brut- Krimi« in einem kleinen Verlag veröffentlicht und hatte nun keine Gelegenheit, ihr Buch vorzustellen. Sie war meine erste Autorin unterm Kirschbaum. Auch Julia Rischke, die 2019 eines der begehrten Hamburger Literaturstipendien erhalten hatte, war eine der ersten Autorinnen unterm Kirschbaum.

 

TG: Was verbindet Sie mit Literatur generell?

Anja Schwennsen: Ich habe Deutsche Sprache und Literatur in Hamburg und Straßburg studiert und wurde 2015 mit meiner Arbeit über „Mythische Rede in der Literatur“ promoviert. Ich bin aber dabei, die Seiten zu wechseln: von der Analyse zum Selbermachen. Ich habe eine Autorenausbildung beim Schreibhain in Berlin gemacht und jetzt entsteht gerade mein erster eigener Roman.

 

TG: Was gab es in der Vergangenheit bereits unterm Kirschbaum zu hören?

Kirschbaum-Gastgeberin Dr. Anja Schwennsen (Foto: PR)

Anja Schwennsen: Zwei Autorinnen habe ich oben ja schon genannt. 2020 hatte ich fünf Autorinnen und Autoren da und im vergangenen Jahr waren es sieben. Die erste Lesung, die gleich nach der Öffnung nach dem zweiten Lockdown stattfinden konnte, war die mit Jan Christophersen. Er hat Ende Mai aus seinem Roman „Ein anständiger Mensch“ gelesen. Insgesamt versuche ich möglichst verschiedene Genre und Gattungen in meinem Garten zu präsentieren. Wir hatten schon ein Jugendbuch aus dem Bereich Fantasy (Charlotte Richter „Die Muschelsammlerin“), zwei Hamburgkrimis von Cord Buch und Anke Küpper, einen Spannungsroman („Unter Wasser Nacht“ von Kristina Hauff), Jan Wagner, der aus seinem Roman „Der glückliche Augenblick“ gelesen und einige seiner Gedichte vorgetragen hat und mit „Da geht einer“ von Susanne Bienwald eine Künstlernovelle. Mit „Der Defekt“ von Leona Stahlmann hatten wir einen Roman, in dem es um Sadomasochismus im Sinne einer stigmatisierten sexuellen Neigung ging, wir hatten klassische Frauenunterhaltung (Lanscape und Romance mit dem Roman „Denn das Leben ist eine Reise“ von Hanna Miller und „Schwester“ von Mareike Krügel), Kurzgeschichten von Susanne Neuffer und mit Hannah Beckmann eine Studentin des Literatur Instituts Leipzig, die uns experimentelle Texte in einer gekonnten Performance vorgetragen hat. Von einer Lesung beim Deutschen Literaturinstitut in Leipzig her kannte ich auch Katharina Adler, die bei uns ihren Roman „Ida“ und noch vor der Veröffentlichung einen Ausschnitt aus ihrem aktuellen Roman „Iglaut“ gelesen hat.

TG: Welche Lesung blieb bisher am besten in der eigenen Erinnerung?

Anja Schwennsen: Besonders toll fand ich den Augenblick, als Jan Wagner sein Gedicht „giersch“ vortrug. Ich mag das Gedicht sehr und es würde mir nicht mehr einfallen, allen Giersch aus meinem Garten zu entfernen. Also fragte ich nach dem Vortrag des Gedichts ins Publikum, ob jemand schon Giersch in meinem Garten entdeckt hätte. Ein achtjähriger Junge hielt daraufhin wie auf Kommando ein Pflänzchen Giersch hoch. Jan Wagner sagte mir nach der Lesung, er habe gedacht, das sei arrangiert gewesen. War es aber nicht. Es war einfach ein schöner spontaner Moment. Später erklärte mir dann eine Frau aus dem Publikum, sie hätte so gerne Giersch auf ihrem Balkon, aber überall fände sie immer nur Ratschläge zur Bekämpfung desselben. Ich grub ihr ein paar Gierschpflänzchen aus und sie nahm sie mit nach Hause.

 

TG: Wie erfolgt die Auswahl?

Anja Schwennsen: Die Bücher müssen mir gefallen. Oft kenne ich die Autorinnen und Autoren aus meinem Umfeld oder von Lesungen, die ich selbst besucht habe. Einige Verlage schicken mir aber auch ihre Vorschauen und manchmal spricht mich da etwas an. Dann frage ich nach einer Leseprobe.

TG: Wenn man sich was für die Reihe wünschen könnte – was wäre es?

Anja Schwennsen: Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann wäre das eine auf Dauer gestellte Möglichkeit, Gelder zu beantragen. Der Deutsche Literaturfonds und die Stadt Hamburg mit der Behörde für Kultur und Medien und das Bezirksamt Harburg fördern die „Lesung unterm Kirschbaum“ vom ersten Tag an. Und ich sage: DANKE! Denn ohne Förderung könnte ich den Autorinnen und Autoren nicht das Honorar zahlen, das ich gerne zahlen möchte, und auch Anreisen und Übernachtungen wären bei Lesungen allein auf Spendenbasis kaum zu finanzieren. Den Hauptteil der Lesungen finanziere ich zurzeit über den Fonds Neustart Kultur, der aber vermutlich im nächsten Jahr nicht neu aufgelegt wird. Daher wäre es schön, wenn es von der Stadt Hamburg ein ausreichend hohes Budget gäbe, das für Veranstaltungen vorgesehen ist, die wie auch die SuedLese unabhängig von Institutionen aus freiwilligem Engagement heraus entstehen. 

TG. Vielen Dank für das befruchtende Gespräch!

Termin: Fr. 3. Juni, 18 Uhr: Lesung unterm Kirschbaum: Isabel Bogdan – Mein Helgoland
Wulmstorfer Ring 9a, 21149 Hamburg-Neugraben; www.anja.schwennsen.de [1]

 

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