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„Wenn deine Krankheit eine Landschaft wäre“

Wir können die Sprache des Körpers mit der Kunst übersetzen, um Krankheiten besser zu verstehen. Die Kunst als Sprache ist oft rätselhaft, wie bedeutungsvolle Träume, die wir nicht immer gleich verstehen können.

Von Ulrike Hinrichs

Über künstlerische Prozesse öffnen wir Räume, in denen nicht lösbar erscheinende Probleme aus einer anderen Perspektive betrachtet werden können. Sie führen raus aus einem „Krankheits-Gefängnis“ und zeigen neue Möglichkeiten auf. Die Kunst dient als Übersetzungshilfe für unbewusste Problemthemen. Symbole können diese Themen auf einer metaphorischen Ebene verdichten und auf den Punkt bringen. (Siehe dazu auch „Krankheit als Bild“) [1] 

Wie die Kunst als Sprache funktioniert, möchte ich an einem Beispielfall illustrieren, der aus meiner Gruppe Krankheit als Bild im Kulturhaus Süderelbe [2] stammt.

Die Klientin  leidet seit vielen Jahren unter Fibromyalgie, einer chronischen Schmerzerkrankung, die sich durch Schmerzen in verschiedenen Körperregionen äußert. Die Schmerzen können auf der Haut, in den Muskeln und Gelenken spürbar sein. Andere typische Beschwerden sind Schlafstörungen, Erschöpfung und Konzentrationsprobleme.

Der Malauftrag lautete: Wenn dein Schmerz, dein Symptome, deine Erkrankung eine Landschaft wäre, wie würde diese aussehen?

Durch solche metaphorischen Verwandlungen von Körpersymptomen wechseln wir vom der rational analytischen Denken zum intuitiven Fühlen. Wir schöpfen aus der Quelle des Unbewussten.

Die Klientin malte einen Vulkanausbruch, vor dem sich talabwärts eine friedlich wirkende Weidelandschaft ausbreitete. Sie berichtete, dass sie ursprünglich eine Berglandschaft habe malen wolle. Im Malprozess sei sie ganz hibbelig geworden. Voller Energie. Aus den Bergen wollten Vulkane werden, die ihre Lava ins Tal ergießen.

Neben ganz individuellen Assoziationen der Klientin und der Gruppenteilnehmer*innen helfen bei der Kunst als Sprache der Intuition auch kollektive Deutungen von Symbolen. C.G. Jung hat sie als Archetypen beschrieben. Auch die Landschaft selbst zeigt ihre Potentiale im Kontext der Erkrankung.

Bei einem Vulkan brodelt es lange Zeit unter der Oberfläche, bis sich plötzlich und unerwartet die heiße Lava in Feuerfontänen erbricht. Wie aus einem Drachenschlund speit der aktive Vulkan Feuer. „Das Feuer entzündet bei Sonnenhitze die Natur, brennt lichterloh und mit züngelnden Flammen, glüht und schwelt es unterirdisch, bricht mit einem Mal aus und verwandelt sich in ein rasendes Inferno. Alles Lebende wird auf irgendeine Art von Feuer befruchtet, temperiert, zur Reife gebracht oder vernichtet“, beschreibt es Ami Ronneberg (Das Buch der Symbole. Betrachtungen zu archetypischen Bildern, S. 82)

Im übertragenen Sinne kann die Symbolik des Vulkans und des Feuers beuteten, dass etwas nach draußen will, was unter der Oberfläche gefangen ist. Lebensfeuer?! Leidenschaft!? Lebenskraft? Wünsche, Ideen werden möglicherweise unter dem Deckel gehalten. Gefühle werden kontrolliert. Es gibt viel unterdrückte Wut. Der Ärger wird festgehalten.

Auch Symptome zeigen eine symbolische Bedeutung. Der Mediziner und Arzt Ruediger Dahlke ist auf diesem Gebiet ein Vorreiter. In seinem Buch „Krankheit als Symbol“ beschreibt er zu  einzelnen Symptomen die jeweilige Deutungsebene und zeigt Wege zur Einlösung der unbewussten Themen auf. Zur Fibromyalgie schreibt er auszugsweise: große Angst vor Veränderungen, enorme Vorsicht und Rücksicht (auf sich selbst), lieber am Gewohnten festhalten, als Ausbruchsversuche wagen, die Umsetzung innerer Impulse in äußere Aktivitäten funktioniert nicht gut oder nur unter Schmerzen.

„Die Krankheit hält mich vom Leben ab, aber vielleicht bedeutet der Vulkan tatsächlich auch noch etwas anderes. Ich kann nämlich seit Jahren nicht  mehr über meine Situation weinen. Es kann mir noch so schlecht gehen, Tränen kommen nicht. Vielleicht bräuchte ich mal so einen Vulkanausbruch.“

„Magie to go“

In der Gruppe haben wir zu unseren Bildern noch ein kleines Experiment gewagt. Die Teilnehmer*innen haben sich zu ihrer Erkrankung eine Frage aufgeschrieben, die den anderen vorborgen blieb. Bei der Bildbetrachtung durch die Gruppe lautete der Auftrag. „Wie ist die Antwort auf die unbekannte Frage?“

Ein Auftrag, der unseren Verstand durcheinander bringt. Denn wie soll man eine Frage beantworten, die man nicht kennt? Die Antwort liegt im Bild. Wir können die Antworten intuitiv wahrnehmen.

„Wozu willst du mich bringen“, lautete die geheime Frage, die die Gruppe erst nach den folgenden Antworten bekam:

Die Klientin war überrascht, wie passgenau die Antworten zutrafen. So funktioniert die Kunst als Sprache der Intuition. Es ist immer wieder Magie für mich.

 

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