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Werbung mit Folgen

Abgewertete Stadtteile haben ihren Reiz. Selbst für den Tourismus. Nun steht sogar Harburg im Visier. Aber ist das gut?

Einst sprach man gerne von „sozialen Brennpunkten“. Doch dann kamen auch in Hamburg kluge Marketingmenschen und mit ihnen eine neue Wortwahl. In Wilhelmsburg sprach man fortan von „vergessenem Stadtteil“ und schon war klar: da geht noch was. Denn was schön runtergewirtschaftet ist, kann günstig auf Rendite getrimmt werden. Denn für manchen „Entwickler“ heißt es: günstig aufwerten und dann teuer verwerten. Das alte Prinzip der Mehr-Wert-Wirtschaft.

Vor sieben Jahren hatte die Initiative Suedkultur [1] den Gentrifizierungskritiker Christoph Twickel ins Stellwerk geladen. Unter anderem wurde die Frage gestellt, ob auch Harburg die Gentrifizierung drohe. Jetzt wird es wahr, denn auch „Hamburg Tourismus“ erkennt in Harburg noch Potentiale – so denn das Angebot stimme.

Schon 2016 gab es von der Hamburger Bürgerschaft eine Tourismus-Analyse [2] auch zu Harburg.

Dort hieß es auf Seite 16:

„Welche Maßnahmen im Bereich des Tourismusmarketings werden für einzelne Bezirke oder Stadtteile durchgeführt? Grundsätzlich ist das Marketing der HHT auf Zielgruppen und deren Ansprüchen sowie Interessenschwerpunkten an der Destination Hamburg ausgerichtet. Die geografische Einordnung in Stadtteile oder Bezirke spielt dabei aus Sicht des Kunden keine relevante Rolle. Ausschlaggebend für die Wahrnehmung beim Kunden ist die Qualität des touristischen Angebots in den jeweiligen Stadtteilen und Bezirken. Es wird zwischen den Bereichen Übernachtungs- und Tagestourismus differenziert, da in diesen Zielgruppen deutliche Unterschiede vorhanden sind. Die vorhandenen Angebote in den Stadtteilen und Bezirken werden von der HHT themen- und zielgruppenadäquat berücksichtigt. Beispielhaft seien die Onlinekommunikation über den Internetauftritt www.hamburg-tourismus.de mit der Veranstaltungsdatenbank (www.hh-events.de) und die Hamburg Tourismus App (www.hh-app.de) genannt.“

Ende 2017 titulierte „die ZEIT“ [3] dann bereits: „Hamburg wirbt um Millionen zusätzlicher Touristen. Aber wo sollen die alle hin? Da kommt Harburg ins Spiel.“

Im Mai diesen Jahres nun ein Vorstoß der Regierungskoalition von Rot-Grün. Dort war von einer „örtlichen Entzerrung der Touristenströme und die bessere Verteilung von Veranstaltungen auf alle Bezirke“ die Rede und man wolle „mit den betroffenen Bezirksämtern sowie touristischen Institutionen vor Ort quartiersbezogene Konzepte“ entwickeln.

Der NDR [4] berichtete: „Die tourismuspolitische Sprecherin der SPD, Dorothee Martin, betonte, Hamburg sei ein hoch attraktives Reiseziel für Menschen aus aller Welt. Das sei wirtschaftlich gut, dennoch sei wichtig, dass Hamburg eine Marketing-Strategie entwickle, um die Touristenströme zu entzerren und dadurch die lebenswerten Quartiere nachhaltig weiter zu entwickeln, so Martin. „Wichtig ist uns insbesondere, dass auch die Akzeptanz der Hamburgerinnen und Hamburger für den Tourismus hoch bleibt.“

„Geheimtipps südlich der Elbe“

Im Juli diesen Jahres vermeldete der NDR [5] dann schon erste Entwicklungserfolge seitens der Hamburg Tourismus GmbH. „Hamburgs Tourismus-Chef Michael Otremba will die Gäste gezielt auch südlich der Elbe unterbringen. Dafür suchen fünf Mitarbeiter nach neuen Zielen. Es ist der Kampf gegen zu volle Straßen, Restaurants und Hotels in immer denselben Gebieten rund um die Alster und St. Pauli. Um Auswüchse wie in Barcelona oder Venedig zu vermeiden, will Tourimuschef Michael Otremba die Gäste gezielt auch südlich der Elbe unterbringen. Im Fachblatt fvw sagte er, allein in Harburg seien 20 freie Flächen für Hotelneubauten verfügbar. Auch Bergedorf sei für viele Touristen ein zukünftiger Hotspot, noch aber Geheimtipp.“

Was aber tut die Politik in Harburg? Immerhin gibt es ja einen eigenen Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus. Ein Blick auf die Sitzungsthemen und Protokolle spricht Bände: man interessiert sich fürs Tourismus-Konzept des Alten Landes, streift die Entwicklung der Technischen Uni und ihre Wirkung auf das Umfeld, thematisiert des Öfteren einen Parkplatz in der die Nöldekestraße als Stellplatz für Campingmobile oder träumt von einer HADAG-Fähre, die Touristen in Harburg absetzt. Ob sie sich als Opposition zur Senatspolitik versteht? Oder (ver-)schlummert sie das Thema lieber?

Schade für die Kaufleute und Inhaber der Geschäfte der Lüneburger Straße und des Umfeldes. Sie könnten ein paar ad hoc-Kaufende wohl gut vertragen. Gut aber vielleicht für die Stadtteilkultur. Denn sie hat so Zeit gewonnen – nicht mehr – um sich selbst besser aufzustellen. Denn sie versteht sich als Kultur für die Menschen, die hier wohnen, arbeiten und leben. Und nicht als Tourismus-Faktor für Heuschrecken, die einfallen, punktuelles wahr nehmen, denen aber die Konsequenzen fürs Umfeld recht egal sind. Air B´n`B-Schlafplätze (ja, die gibt es recht viel auch in Harburg), abgegrenzte Hotels am Wasserzugang des Hafens, Luxus-Shops ohne Publikum [nur Gucken, nicht kaufen!]: all das sind Themen, die Tourismus mit sich bringt.

Air B´n`B etwa verschafft Mietern Zusatzeinnahmen zu ihrem Wohnraum, den sie sich sonst meist nicht leisten könnten. Damit aber treiben sie unwillkürlich auch die Mietpreise nach oben – frei nach dem Motto: „was an Miete fehlt, hol ich durch Unter-Vermietung wieder rein“. Damit aber nicht genug: Tagestouristen kaufen meist nur Tagesbedarf ein: Getränke, Snacks, vielleicht mal Klopapier oder Kaffee. Einen Vollsortiment-Markt oder Gemüsehändler aber nutzt er nicht. Zu viele Tagestouristen schmälern so das Einkaufsangebot des Einwohners. In Amsterdam wurde schon die Notbremse gezogen und auch gleich das Stadtmarketing eingestampft.

´Ach was`, sagen Sie nun vermutlich: Harburg und Amsterdam – schön wär´s! Wohl wahr, wohl wahr: aber die Entwicklung auch Hamburgs ist rasant, wird zudem mit Steuergeldern gefördert und beschleunigt so in dieselbe Richtung. 2017 wurden schon 7 Touristen je Hamburger Einwohner gezählt. Und da sei noch „Luft nach oben“. Und Harburg zählt nicht nur zu Hamburg, sondern bekommt bereits Auswirkungen zu spüren. Volle Hotels, volle Bahnen auch im Süden bei den Hamburger Events wie Schlagermove, Christopher Street Day, Ironman oder Marathon. Und Ende des Jahres 2018 fahren am Wochenende dann auch noch die Bahnen von Stade und Buxtehude nachts durch. Ideal, um ein ruhiges und günstigeres Hotel im Landkreis zu beziehen und dann „mal“ in Hamburg und auch Harburg auf den Putz zu hauen.

Vieles davon kommt uns auch zugute. Keine Frage. Aber da solche Entwicklungen nicht aus dem Himmel fallen, ist man gut beraten, sie aktiv mit zu gestalten und nicht erst zu verschlafen, um dann mit viel Ärger und Aufwand im Nachhinein Lösungen „nachzubessern“.

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