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„Wir brauchen Vorurteile!“

Mord und Totschlag in Wilhelmsburg – für viele ist es immer noch ein Alltagsklischee. Mit Theo Matthies entstand gar eine Krimi-Figur dazu. Grund genug mal seine literarische Mutter zu fragen …

Christiane Fux wuchs in Hamburg, genauer Kirchdorf, auf, lebt in München, ist Journalistin und irgendwann entwickelte sie die Romanfigur Theo Matthies. Der ist Arzt in Hamburg-Wilhelmsburg, ist nach dem Tod seiner Frau ins familieneigene Bestattungsinstitut eingestiegen und hilft immer mal wieder, wenn der Kriminalpolizei bei der Aufklärung eines Mordes die Fantasie ausgeht. So entstand mittlerweile eine regelrechte Reihe an Wilhelmsburger Krimi-Romanen. Im Rahmen der SuedLese 2017 wird sie am 23. März den aktuellen Krimi „Das Mädchen im Fleet“ in der Buchhandlung am Sand lesen.

Tiefgang (TG): „Das Mädchen im Fleet“ ist der 4. Krimi von Dir. Auf dem Cover ist die Speicherstadt zu sehen, er spielt aber vor allem in Wilhelmsburg. Ein Versehen …?

Christiane Fux: Ja, das tut zugegebenermaßen ein bisschen weh. Mein Wilhelmsburger Lieblingsbuchhändler (Buchhandlung Lüdemann, Anm. d. Red.) ist mir auch schon ordentlich aufs Dach gestiegen! Der Hintergrund ist, dass der Verlag die Reihe nun doch stärker in Hamburg verorten möchte. Und da Wilhelmsburg und sein Kolorit im ikonografischen Bewusstsein nicht so verankert sind, ist es halt die Speicherstadt geworden. Immerhin konnte ich abwenden, dass im Titel was mit „Alster“ steht. Ich sag nur so viel: Das Ringen um den Titel war diese Mal so zäh, dass das Buch ein halbes Jahr später erschienen ist als geplant. Der Veringkanal, in dem das Opfer ertrinkt, ist zwar letztlich auch kein Fleet, aber irgendwann muss man es auch mal Gutsein lassen.

TG: Schlüsselperson der Kriminalromane ist Theo Matthies. Eigentlich gelernter Arzt, der aber sein Geld als Bestatter verdient und immer wieder in Mordfälle hineinschlittert. Wer kommt denn auf so was, brauche ich nicht zu fragen … Aber WIE kommt man darauf?

Fux: In Deutschland werden jedes Jahr rund 2.000 Mordfälle untersucht. Tatsächlich schätzen Experten aber, dass es doppelt so viele sind! Besonders bei alten Leutchen schaut der Arzt oft nicht so genau hin. Und Theo, der kann das als ausgebildeter Arzt und nun Bestatter aufdecken. Diese Idee hat mir einfach Spaß gemacht. Darüber hinaus liegt mir das Thema Tod und Sterben am Herzen. Obwohl wir alle sterben müssen, schiebt das jeder möglichst weit weg. Gestorben wird meist im Krankenhaus, obwohl die meisten in ihrer gewohnten Umgebung, bei ihren Lieben sein möchten. Mit einem Blick hinter die Kulissen des Bestattergewerbes kann ich vielleicht dazu beitragen, dass der Tod wieder ein Stück weit enttabuisiert wird.

TG: „Das Mädchen im Fleet“ kreist viel um die in Wilhelmsburg real lebende Sinti-Familie Weiss. Kennt man sich? Hattet Du mit Ihnen während des Schreibens Kontakt? Wie finden sie das Buch und sich in der Darstellung?

Fux: Natürlich habe ich da als allererstes Kontakt aufgenommen. Ich bin ja Journalistin, da ist gute Recherche Ehrensache. Es gibt da eine Beratungsstelle für Sinti und Roma in Wilhelmsburg, die Leute da sind selbst überwiegend Sinti. Die haben mir viel erzählt, wirklich unfassbare Geschichten darüber, was sie immer noch an Diskriminierung erleben. Leider haben die dicht gemacht, als ich dann soweit war, das Buch zu schreiben. Verstanden hab ich das bis heute nicht. Aber das muss man respektieren. Und daher weiß ich auch leider nicht, wie sie den fertigen Roman finden.

„Den Horizont nicht einschränken lassen!“

TG: Und wie konntest du das Buch dann trotzdem schreiben?

Fux: Nachdem ich alle meine Kontakte in Wilhelmsburg erfolglos bemüht hatte, um doch noch ein Gespräch zu ermöglichen, habe ich tatsächlich erst gedacht, ich muss das Projekt abbrechen. Aber die Geschichte, die kann ja nix dafür und die will erzählt werden! So habe ich dann mit Sinti aus anderen Familien geredet, viel gelesen, einige Dokumentarfilme geschaut. Und letztlich geht es nicht um die Familie Weiss. Letztlich geht es in erster Linie nicht einmal vornehmlich um Sinti und Roma. Es geht um Vorurteile. Die hat ja jeder von uns. Und wir brauchen die auch. Wenn einer mit Glatze und Springerstiefeln auf mich zukommt, ist es wenig sinnvoll, vorurteilsfrei zu sein und zu denken: Bestimmt ist das ein netter Kerl. Wir brauchen Vorurteile, aber wir müssen uns dessen bewusst sein. Wir dürfen uns davon nicht den Horizont einschränken lassen! Darum geht es.

TG: Wieso eigentlich Wilhelmsburg?

Fux: Ich bin da aufgewachsen. Wenn ich an Heimat denke, denke ich an Kirchdorf und den Papenbrack, die Süderelbbrücken, den Imbiss am Vogelhüttendeich und unseren Hund, der die Pferde auf der Koppel aus dem Autofenster heraus ausgebellt hat. Und spannend ist natürlich auch, dass Wilhelmsburg so unterschiedliche Facetten auf kleinstem Raum bietet. Ländliches Idyll – immer noch – und sozialer Brennpunkt. Hafen und Jugendstil. Und rundherum die Elbe. Das ist schon einmalig.

TG: Du bist Hamburgerin, hast hier Germanistik studiert. Vermisst Du die Stadt und Elbe?

Fux: Na klar, und zwar für immer! Das ist meine Sprache, meine Denke, mein Humor. Nordisch by nature!

TG: Du lebst und arbeitest ja in München. Wie würdest Du die Stadt im Hinblick auf Kultur beschreiben?

Fux: München ist, kulturell gesehen, nicht Hamburg und schon gar nicht Berlin. Die Mieten hier sind so wahnsinnig hoch, dass es schwierig ist, künstlerische oder Kulturprojekte, für die man Räume braucht, zu verwirklichen. Trotzdem lässt es sich in München sehr gut leben, keine Frage. Ich wohne direkt an der Isar – die ist ja ne Art Bächlein im Vergleich zur Elbe. Aber – insbesondere seit der Fluss renaturalisiert wurde – ist da immer was los. Im Sommer Badende, Sonnende, Hunde, Bongospieler, Reiter und Wellenreiter und Würstchengriller! Es ist toll. Und dann sind da natürlich die Berge, die nicht so weit weg sind. Da draufzusteigen und dieses unglaubliche Panorama zu schauen – das macht mich jedes Mal froh.

TG: Deine Bücher erscheinen im Piper-Verlag. 2016 entschied der BGH, dass die Verwertungs-gesellschaft Wort, die sich um die Urheberrechte der schreibenden Zunft kümmert, diese Tantiemen vor allem an Autoren und nicht mehr auch an die Verlage ausschütten darf? Wie siehst Du das als Autorin? Hat sich was im Verhältnis zum Verlag geändert?

Fux: Nee, hat es nicht. Mein Verlag, Piper, die verstehen sich immer noch als Verleger. Im Sinne von: Es geht nicht nur um Kohle, es geht um Literatur. Da gibt es Mainstream, der das Geld bringt, und schwieriger zu verkaufende, aber wichtige Autoren. Wenn von der VG-Wort kein Geld mehr kommt, dann wird das noch schwieriger, weniger eingängige Autoren zu finanzieren. Das fände ich schade.

TG: Deine Bücher erscheinen auch als E-Books. Wird das die Zukunft sein oder bleibt es beim guten alten Papier?

Fux: Ich glaube, es wird immer beides geben. Ich lese viel und bin vor ein paar Jahren auch auf E-Books umgestiegen. Ich finde das noch immer weniger sexy, als ein richtiges Buch in der Hand zu halten, das nach Papier und Druckerschwärze duftet. Aber es spart Platz und Bäume und CO2-Emissionen. Meine Lieblingsautoren kaufe ich aber immer noch im Hardcover, Print.

TG: Zum Beispiel?

Fux: Hakan Nesser. Haruki Murakami. Fred Vargas.

TG: Die Lesung bei der 2. SuedLese 2017 wird in der Buchhandlung am Sand statt finden. Schon mal dort gewesen? Was erwartet uns?

Fux: Nee, da war ich noch nie! Ich bin selbst total gespannt! Und ich freue mich darauf!

Christiane Fux [1] liest im Rahmen der Suedlese 2017 am Donnerstag, 23. März um 19.30h in der Buchhandlung am Sand [2].

Ihr aktuelles Buch: Das Mädchen im Fleet [3];  € 9,99, erschienen am 01.12.2016, 320 Seiten, Broschur, ISBN: 978-3-492-30371-2

(07. Feb. 2017, das Interview führte Heiko Langanke)

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