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Deichkilometer 6,62 bis 6,875

Harburgs Mühlen mahlen zuweilen langsam. Auch in Sachen Kultur. Manchmal kann es aber auch etwas Gutes haben. Wie jetzt vielleicht in Sachen Graffiti-Wand in Bostelbek.

Was war es für eine Mühe für die Harburger Freunde der Spraykunst, als sie 2010 die Idee aufbrachten, die graue, hohe und eher an den Kalten Krieg erinnernde Flutschutzmauer in Bostelbek als Open-Air-Galerie für urbane Kunst aus der Dose zu nutzen. Im Amtsdeutsch wird dies übrigens „farbliche Gestaltung“ genannt. Denn auf die erste Anfrage beim zuständigen Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (kurz LSBG) kam die klassische Spontan-Antwort, die alle Kulturschaffenden in Harburg als „running gag“ quasi schon voraussetzen: „Geht nicht!“ Mit Spannung erwartet man nur noch, in welchen Varianten es begründet wird. So auch in diesem Falle. Hier war als Bedenken genannt worden, dass eine Flutschutzwand als solche nicht mehr erkennbar sei und überhaupt: die Farbe könne den Untergrund – also den Beton – verändern, gar beschädigen. Also: „Geht nicht!“

Und wie so oft ist liegt es dann in der Sache der Kreativen laut werden zu müssen, um Gehör zu finden. Mitte 2011 kam Schwung in die Sache als der damalige Kultur-Ausschussvorsitzende Heinz Beeken (SPD) die LSBG um neuerliche Prüfung des Wunsches bat. Und siehe da: die LSBG musste zugestehen, dass auch ohne offizielle Frage, die Mauer schon lange von „wilden“ Graffitis übermalt war und kam zu dem erstaunlichen Gedankenwandel, dass man das geplante Kunstprojekt ja auch als nützlichen „Feldversuch“ betrachten könne, um die „Auswirkungen und Erschwernisse zum Beispiel auf die turnusmäßigen Bauwerksprüfungen beobachten“ zu können. Außerdem hoffte die Behörde, dass die kontrollierte künstlerische Gestaltung der Hochwasserschutzwand die bis dahin vermerkten „wilden Graffitis“ im Umfeld eindämme. „Daran messen wir den Erfolg des Versuches“.

2012 ging es dann wahrlich los. Von Deichkilometer 6,62 bis 6,875 entstand Hamburgs erste offizielle Graffiti-Wand. Aber nur als Teilstück und auf Probe.

Und da ist sie nun wieder: die langsam mahlende Mühle der Harburger Bürokratie. Denn so wichtig all die Prüfung und Beobachtung der Auswirkungen von Sprayfarbe auf das Mauerwerk und so unser aller Flutschutzwohl schien: nach nun mehr als fünf Jahren müsset man es ja wissen. Oder hatte man es gar einfach vergessen?!

Für Harburgs Kunstszene hat sich jedenfalls die „Wall of Fame“ bewährt. Sie hat viele Künstler*innen nach Harburg gezogen. Die temporären Werke sind immer wieder in unseren lokalen Medien zu bewundern.

Die Genehmigungszentrale für Spraykünstler*innen. (Foto: Archiv)

Aber nun. Ordnung muß sein, sagten sich auch die  urbanen Künstler*innen, die sich seinerzeit in einem Verein namens Grossstadtraum e.V. sammelten. Und nun, noch ein gutes halbes Jahr später hat Grossstadtraum und SuedKultur es geschafft, dass die SPD-Fraktion einen Antrag formulierte. Ziel:  erneut an die LSBG heranzutreten und den zeitlich und flächenmäßig begrenzten „Feldversuch“ auszuwerten. Und wenn doch alles glimpflich lief, die Probephase in eine reguläre Nutzung umzuwandeln und – so der vordringlichste Wunsch der urbanen Kunst – die Fläche auszuweiten. Denn den Künstler*innen blieben ausgerechnet die repräsentativen Flächen entlang der Eisenbahngleise verwehrt, die täglich tausende Menschen aus dem Zug heraus sehen können.

Wie wichtig aber der Blick aus dem Bahnfenster auf die „Streetart-Galerie“ für die Wahrnehmung wäre, wurde schon damals benannt: „Künstler aus ganz Deutschland würden bereits anfragen, wann „Großstadtraum“ endlich starte. Dürfte die Flutschutzmauer auf der gesamten Länge bemalt werden, würde Harburg sogar die berühmte East Side Gallery in Berlin, eine Wand für Graffiti, in den Schatten stellen. Schwer zu erklären sei es auch, dass das Bemalen auf einer Seite erlaubt wäre, der Künstler auf der anderen Seite sich aber strafbar machen würde.“ (Abendblatt vom 27. Juli 2011 [1])

In dem nun eingereichten Antrag der SPD-Faktion Harburg heißt es:

„Sachverhalt: Seit dem 11.12.2012 erlaubt der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) trotz massiver Bedenken eine künstlerische Gestaltung der Flutschutzwand am Bostelbeker Hauptdeich von Deichkilometer 6,62 bis 6,875. Die Genehmigung wurde GroßstadtRaum e.V. unter Auflagen erteilt. So wurden Auflagen an die Reinhaltung des Geländes gemacht und ein geordnetes Anmeldeverfahren für die Spraykünstler eingefordert. Aus Sicht von GroßstadtRaum e.V. hat sich die Vereinbarung mit dem LSBG in den letzten 5 Jahren bewährt. Es hat sich eine über die Stadtgrenzen von Hamburg beachtete Kunstszene etabliert und wilde Schmierereien sind in den freigegebenen Bereich zurückgegangen. Es gilt deshalb zu überlegen, ob weitere Bereiche der Flutschutzwände zwecks künstlerischer Gestaltung durch den LSBG freigegeben werden können. Petitum/Beschlussvorschlag: Die Vorsitzende der Bezirksversammlung wird gebeten einen Vertreter des LSBG in den Ausschuss KSF einzuladen, welcher zu folgenden Punkten berichtet:  

Wir sind gespannt.

wieterführend: abendblatt.de vom Juli 2011 [1], Abendblatt vom Sept. 2011;  [2]Abendblatt vom Okt. 2012 [3]

 

Infos zu Grossstadtraum: facebook.com/grossstadtraum [4]

SPD-Antrag zum Download: Drucksachen–Nr.: 20-3807 [5]

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