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Der „Schwedenkönig“ war meist rappelvoll

Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Zukunft nicht verstehen!Diesen Ausspruch, der dem Historiker Golo Mann zugeschrieben wird, sollten Harburger auch mal beherzigen.

Denn er passt auch zum bereits 2013 von der Harburger Stadtplanerin Birgit Caumanns und der Harburger Historikerin Angelika Hillmer herausgegebenen Buch „Der Kanalplatz am Harburger Binnenhafen“. Und zwar besser als man vermuten könnte. Neben vielen Aspekten der Stadtentwicklung und lokalen Geschichte der Hannoveraner, Französischen und letztlich Hamburgischen Obrigkeiten ist es nämlich auch ein Buch über die Menschen Harburgs. Es geht um Sparksamkeit, die dazu führte, dass das Schloss nicht abgerissen sondern doch noch von den  französischen Besatzungsmächten im 18. Jahrhundert genutzt wurde. Es geht um den „Schwedenkönig“ (genau genommen das Gasthaus und Hotel „König von Schweden“) – eine frühere „In-Location“, die seinesgleichen suchte, um Aus- und Zuwanderer und typische Familiennamen Harburgs. Wer also nicht nur die Eddelbüttler Straße sondern auch mehr über die Familie Eddelbüttel erfahren will – auch er wird hier fündig. Und klar: auch die Trinkhalle (heute Kulturkiosk) an der Ecke Kanalplatz/Blohmstraße von 1876 fehlt nicht.

Warum nun aber ausgerechnet über den Kanalplatz? Dieser Platz inmitten des Harburger Binnenhafens war in räumlicher und funktionaler Hinsicht jahrhunderte lang der Übergangsbereich zwischen Schlossinsel und der Stadt Harburg. Ohnehin lag das Zentrum Harburgs – ursprünglichst mal „Horeburg“ (= Sumpfburg) genannt –  ja nördlich der heutigen Bahngleisstrecke bzw. südlich des Schlosses oder genauer der Schlosszitadelle. Dort lag das Rathaus, Hotel, Schänke und auch der Vorgänger des Finanzamtes. Der Kanalplatz war also in vielerlei Hinsicht zentral. Und ob man es glaubt oder nicht: am Kanalplatz gab es auch eine Esplanade, wenn auch nicht so repräsentativ wie die heutige Hamburger Esplanade ist. Denn der Name hat mehr mit der Bedeutung als Schussfeld vor einer Festung zu tun.

Bis vor wenigen Jahren jedenfalls war dieser einst so zentrale Platz (samt Galgen-Vorrichtung übrigens) etwas in Vergessenheit geraten: Zum einen war er kaum noch als Platz zu erkennen. Und umkreist von Schwerverkehr und als Nachbarin noch eine Spedition – das kam auch nicht allzu einladend daher.

Inzwischen wurde ein Teilbereich des Kanalplatzes im Rahmen der städtebaulichen Entwicklung der Harburger Schlossinsel neu gestaltet und auch eine passierbare Fußgängerbrücke installiert. Deren Vorgängerin man übrigens auch im Buch wieder findet. Und genau diese Geschichte über den Stadtraums und seine Bedeutung bis in die Gegenwart nachzuvollziehen und zu dokumentieren, haben sich die Autorinnen zur Aufgabe gemacht. Und man kann sagen: sehr gelungen!

Fünf Kapitel widmen sich der besonderen Entstehungsgeschichte des Platzes im 17. Jahrhundert, den frühen Nutzungen des 18. und 19. Jahrhunderts, den Auswirkungen des Hafenausbaus und der Technisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts, der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg mit den darauf folgenden Modernisierungsmaßnahmen zur Zeit des Wirtschaftswunders und den Folgen des Strukturwandels bis Ende der 1980er Jahre.

Und neben einer guten und das Verständnis erleichternden Bebilderung kommen auch Zeitzeugen zu Wort. Ihre Erinnerungen vermitteln ein eindrucksvolles und authentisches Bild der Arbeits- und Lebensverhältnisse in den 1950er bis 1980er Jahren.

Im letzten Kapitel werden dann vor dem Hintergrund der Neuorientierung Anfang der 1990er Jahre die Auswirkungen des komplexen Planungsgeschehens auf den Kanalplatz und seine Umgestaltung dargestellt.

Kurzum: Ein detailreiches und anschauliches weil gut bebildertes Buch über die Geschichte des Kanalplatzes mit interessanten Einblicken in die Stadt- und Hafengeschichte Harburgs.

Die Autorinnen: Birgit Caumanns, Dipl. Ing. Stadtplanung, 1950 am Niederrhein geboren, Zweitstudium Städtebau / Stadtplanung an der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Den Kanalplatz hat sie im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit entdeckt und ist seit 2005 freiberuflich in eigenem Büro am Kanalplatz 6 tätig. Mit Führungen, Schulprojekten und Bildungsurlauben arbeitet sie an der Schnittstelle zum Bildungsbereich. Dem Erhalt historischer Bausubstanz gilt ihre besondere Aufmerksamkeit: Als ortstypischer Standortfaktor macht sie den Harburger Binnenhafen unverwechselbar und trägt zu einer zukunftsfähigen Entwicklung bei. Birgit Caumanns ist Gründungsmitglied der Geschichtswerkstatt Harburg.

Angelika Hillmer (M.A.), studierte nach einer kaufmännischen Ausbildung Ethnologie und Geschichte an der Universität Hamburg. Sie ist mit einem gebürtigen Harburger verheiratet und lebt in Kaltenkirchen. Seit 2000 ist sie selbständig, gründete 2007 ihr Büro histoLink, historische und biografische Dienstleistungen, und ist u. a. als Lehrbeauftragte am Institut für Ethnologie tätig. Die Mitarbeit am EU-Forschungsprojekt „European Port Cities: Disadvantaged Urban Areas in Transition“ führte sie 2003 mit einer Einzelforschung in den Harburger Binnenhafen. Seither engagiert sie sich beruflich und ehrenamtlich im Harburger Binnenhafen und setzt sich für den Erhalt seiner kulturellen Identität ein. Sie ist Initiatorin und Gründungsmitglied der Geschichtswerkstatt Harburg.

Birgit Caumanns & Angelika Hillmer | Hamburg 2013 | 226 Seiten | zahlreiche, teils großformatige Abbildungen | ISBN 978-3-00-040566-2 | 15 EUR

Das Buch ist direkt beziehbar über Birgit Caumanns: Tel.: 040 – 432 74 333 oder per Mail info(at)caumanns-hillmer.de [1]

(21.12.2016, hl)

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