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Die Enteignung des Mäzens

Sein Name sollte unter den Nazis vergessen werden: Max Emden. Hamburg scheint das bis heute zu beherzigen. Aber ein Film könnte dies nun ändern …

In den 1920er Jahren gehörte der jüdische Geschäftsmann Max Emden mit Kaufhäusern wie dem KaDeWe oder dem Oberpollinger zu den bedeutendsten Mäzenen Hamburgs. Am Lago Maggiore führte er ein glamouröses Leben mit schnellen Booten und schönen Frauen, doch der lange Arm der Nazis erreichte ihn auch dort – Emden verlor alles. Ein Film schildert nun sein Leben aber auch, wie seine Erben vergeblich für eine angemessene Entschädigung kämpfen. Dabei spielt Hamburg keine gute Rolle.

Den Namen Max Emden kennt heute fast niemand mehr –seine Kaufhäuser jedoch schon: das KaDeWe in Berlin, den Oberpollinger in München, das Allas-Warenhaus in Stockholm oder Corvin Ahurazin Budapest. Der 1874 in Hamburg geborene Spross einer angesehenen jüdischen Handelsfamilie, war aber mehr als ein Kaufhauskönig. Er war Mäzen der Universität Hamburg, stiftete seiner Heimatstadt den ersten Golfclub und einen Poloclub –und baute eine einzigartige Kunstsammlung auf. 1928 verlegte Emden aufgrund des aufkeimenden Antisemitismus seinen Wohnsitz in die Schweiz, erwarb die malerischen Brissago-Inseln im Lago Maggiore und stattete dort eine Villa mit seiner atemberaubenden Kunstsammlung von Malern wie Van Gogh, Canaletto oder Monet aus.

Emden beherrschte die Lebenskunst wie kein Zweiter – stets braun gebrannt auf seinen Motoryachten und mit leicht bekleideten jungen Frauen an seiner Seite, die für Skandale im prüden Tessin sorgten. Doch die Nationalsozialisten beschlagnahmten nach und nach Emdens Vermögen; seine Kunst musste er zum großen Teil verkaufen –seine zahlreichen Immobilien in ganz Europa wurden enteignet –und so starb er 1940 am Lago Maggiore. Knapp 80 Jahre später begibt sich der Film zusammen mit Juan Carlos Emden, dem Enkel Max Emdens, auf die Spuren seines Großvaters, um herauszufinden, was mit der berühmten Kunstsammlung und dem Immobilienbesitz wirklich geschah. Weder hat die Bundesregierung eines der Kunstwerke aus der Sammlung Emden an seine Erben zurückgegeben, noch hat sich der Hamburger Senat bis heute um eine Wiedergutmachung oder Entschädigung der Familie Emden bemüht. Der Film rollt den Fall Max Emden detailliert und mit Hilfe brisanter Dokumente, nie gezeigter privater Filmaufnahmen und vielen historischen Zeugnissen auf und erzählt nebenbei den Aufstieg und die Zerstörung einer hanseatischen Familie durch die Propaganda und die Gewalt des NS-Regimes.

MAX EMDEN –DIE HINTERGRÜNDE

Ein Leben in Saus und Braus, so schien es: Autos, Polo, Golf, Frauen und eine Kunstsammlung, die ihresgleichen suchte. Unkonventionell lebte er, gerne auch einwenig extrovertiert. Max James Emden, Spross einer Hamburger Kaufmannsfamilie, verdiente, nachdem er 1904 das Handelshaus seines Vaters übernommen hatte, viele Millionen mit einer Idee, die ihn zu einem der wohlhabendsten Hanseaten machte: Er baute überall auf dem Kontinent Kaufhäuser. Väterlicherseits stammte Max Emden aus einer der namhaftesten jüdischen Gelehrten- und Rabbinerfamilien Mitteleuropas. Stammvater der Emdens war der in Vilnius geborene, später in Budapest lehrende Rabbiner Ephraim Ben Jacob Ha-Kohen (1616-1678), dessen Sohn Zwi Hirsch Ben Jacob Ashkenazi 1689 die Tochter des Altonaer Oberrabbiners geheiratet und sich in Hamburg niedergelassen hatte. Ihr Sohn Jacob Israel Ben Zebi Ashkenazi, genannt Jacob Emden, wurde 1697 in Altona geboren und gilt bis heute in der jüdischen Welt als einer der bedeutendsten Reformrabbiner Europas. Neben seiner Gelehrtentätigkeit betrieb Jacob Emden in Altona bereits eine Druckerei und einen Handel mit Edelsteinen –und wurde zum Begründer der Kaufmannsdynastie Emden. Am 28. Oktober 1874 wurde Max James Emden in Hamburg geboren. Er führte von Kind an ein bohèmehaftes Leben in der großbürgerlichen Gesellschaft der Hansestadt. Die väterlichen Geschäfte gingen gut, und während seiner Lehre dort erfuhr Max Emden eine Menge über Textilhandel und profitable Unternehmungen. Er absolvierte sein Abitur am Wilhelm-Gymnasium, konvertierte zum evangelischen Glauben, studierte Chemie und Mineralogie in Heidelberg, Genf, Zürich und Leipzig, schrieb seine Doktorarbeit. Um die Jahrhundertwende hatte die Firma seines Vaters von Hamburg aus eine Art Franchise-Unternehmen aufgebaut. In 200 deutschen Städten wurden Kunden mit Waren beliefert und Emden am Umsatz beteiligt.

1904 trat Max Emden in den Familienkonzern ein und machte ihn innerhalb weniger Jahre zu einem Kaufhaus-Imperium. Er kaufte Grundstücke auf und baute oderfinanzierte Warenhäuser von bis dahin nicht gekannter Größe, u.a. das 1907 eröffnete KaDeWe in Berlin, den Oberpollinger in München, das Allas-Warenhaus in Stockholm und eines in Göteborg, Gebr. Freymann in Danzig, zwei Kaufhäuser in Stettin und Potsdam, das Holstenhaus in Lübeck, die Kaufhäuser Poetsch in Hamburg und Petersen in Wandsbek, das Emden-Haus in Chemnitz und das 1926 eröffnete Corv in Aruhaz in Budapest.1910 heiratete Max Emden die deutsch-Chilenin Concordia Gertrud Hélène Anna Sternberg, genannt Anita, aus dem Hamburger Stadtteil Klein Flottbek, 1911 wurde ihr Sohn Hans Erich geboren. In Klein Flottbek ließ er sich von dem Architekten Wilhelm Fränkel das Landhaus Sechslinden errichten. Die Villa schmückte Emden mit wertvollen Gemälden, Fayencen, Emaillekunst, gediegenen Möbeln und edlen Teppichen.

In den goldenen Zwanziger Jahren florierte sein Unternehmen, es herrschte die pure Euphorie. Hamburg verdiente, tanzte, genoss und konsumierte. Emden gehörte ein riesiger Grundbesitz in Hamburg, der das Gelände des Poloclubs und des Botanischen Gartens umfasste. Er baute Mietshäuser für seine Angestellten; sein Wohnhaus in Klein Flottbek war so groß, dass dort heute ein privates Gymnasium Platz hat.1925 war sein Warenhauskonzern mit über 30 Häusern und 10.000 Mitarbeitern der größte Europas und Max Emden einer der führenden Bürger Hamburgs, der die Stadt großzügig unterstützte. Der Mäzen und Kunstsammler hatte den Hamburger Poloclub und den ersten Golfclub der Stadt gestiftet; er saß in der Verwaltungskommission der Hamburger Kunsthalle, seine Sammlung alter italienischer Meister wie Bernardo Bellotto (auch Canaletto genannt) und bedeutender Impressionisten von Monet bis Van Gogh suchte ihresgleichen. Seine Kaufhäuser wuchsen bis 1927allein in Deutschland auf über 20 an. Europaweit waren es fast 40. Er war fest verankert in der Hamburger Gesellschaft –und kehrte ihr doch den Rücken.

 

In Ronco am Lago Maggiore legen die Boote ab zu der größeren der beiden Brissago-Inseln. Emden machte die Brissago-Inseln zu einem Paradies auf Erden, in einer Zeit, als sich der Rest Europas verdunkelte. Im Hamburg hatte sich Max Emden mehr und mehr unwohl gefühlt. Er ahnte offenbar, wohin sich Deutschland entwickeln würde. Als seine Ehe mit Anita Sternberg-Emden in die Brüche ging, verkaufte der Multimillionär 19 Warenhäuser an die Rudolph Karstadt AG, zog sich ins Tessin zurück und wedelte mit den Scheinen. Für 350.000 Franken hatte er 1927 die Brissago-Inseln im Lago Maggiore erworben -von der verarmten Baronin Antoniette de Saint Léger, die mehr als 40 Jahre hier gelebt und für ihren botanischen Garten berühmt war. Ein magischer Ort für einen Neuanfang. Ab 1928 verbrachte Emden den Großteilseiner Zeit auf den Brissago-Inseln; nachdem Hitler 1933 Reichskanzler wurde, kehrte er aus Angst vor Repressionen nicht mehr nach Deutschland zurück und wurde 1934 Schweizer Staatsbürger. Die Geschäfte der Firma M. J. Emden Söhne führte er von hier aus weiter –jedenfalls so lange, wie die Nazis ihn ließen. Da Emden leidenschaftlicher Kunstsammler war, kamen bedeutende Kunstwerke nach und nach in den Palast. Am alten Hafen von Ascona ließ Emden neben den Wappen der Schweiz und des Tessins seinen Leitspruch anbringen:„Auch Leben ist eine Kunst.“ Doch die Gerüchte um das ausschweifende Leben Emdens und seiner Gäste sorgten in den katholischen Dörfern am Ufer des Lago Maggiore für Aufregung und Empörung. So sehr, dass alle noch heute gern davon erzählen. Emden war auch hier ein angesehener Bürger –vor allem, weil der Unternehmer sehr viel Geld in Asconainvestierte. Er engagierte sich auf dem berühmten Monte Vèrita, einer freigeistigen Gemeinschaft hoch über dem Schweizer Seeufer gelegen, gründete und finanzierte auf der Landzunge von Ascona einen idyllisch angelegten Golfclub, der noch heute ein Anziehungspunkt ist. Am Ufer des Clubs ließ Emden sich einen eigenen Anlegerbauen, wo er, von der Insel kommend, in seinem Boot vorfahren konnte. Für seine13 Sportboote hatte er einen eigenen Hafen errichtet. Zuden Gästen der Insel in jener Zeit gehörten u.a. Aga Khan und Erich Maria Remarque.

Die „Machtergreifung“ bereitet der Idylle auf den Brissago-Inseln ein jähes Ende. Daheim im „Reich“ wurde Emden als „Volljude“ kategorisiert, obwohl er bereits1893 als junger Mann zum Protestantismus konvertiert war –wie viele andere Mitgliederwohlhabender Handelsfamilien in Deutschland. Ab 1933 wagt Emden es nicht mehr, nach Deutschland einzureisen; zu laut, zu öffentlich hatte er sich zuhause gegen die Nazis positioniert. Während eines gemeinsamen Winterurlaubs von Vater Max und Sohn Hans Erich Emden zum Jahreswechsel 1934/35 im schweizerischen St. Moritz waren zwei hochrangige deutsche NS-Politiker an Max Emden herangetreten und hatten ihn aufgefordert, sein öffentliches Opponieren gegen Hitler und die Nationalsozialisten zu unterlassen, ansonsten würde man „Mittel und Wege finden“, ihn „mundtot zu machen“, erinnerte sich Hans Erich Emden später. Bis zu seinem Tod 2001 hat der Sohn und Alleinerbe Max Emdens davon gesprochen, dass sein Vater nach 1933, obschon in der vermeintlich sicheren, neutralen Schweiz lebend, offenbar permanent durch Auslandsagenten des NS-Regimes überwacht worden sei und dass enge Vertraute der Familie im Tessin die schwere Erkrankung und den plötzlichen Tod Max Emdens im Juni 1940 auf einen Gift-Anschlag, ausgeführt durch unbekannte Täter im „Interesse“ des NS-Regimes, zurückgeführt hätten. Beweisen lässt sich dies heute, nach fast 80 Jahren, nicht mehr. Das Jahr 1933 bedeutete für ihn, wie für viele andere deutsche Juden, eine tiefgreifende Zäsur. Durch nach Hitlers Machtübernahme einsetzenden Boykottmaßnahmen zur wirtschaftlichen Plünderung jüdischer Unternehmen hatten auch Warenhäuser Emdens mit sinkenden Umsätzen zu kämpfen. In einem 1935 erschienenen Artikel der von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels herausgegebenen NS-Wochenzeitung Der Angriff wurde Emden als „Hamburger Warenhausjude“ verspottet, den man, mit Blick auf die Schweizer Staatsbürgerschaft, „gerne abgegeben“ habe. 1938 kam die erste Schreckensmeldung aus Danzig: „Das gesamte inländische Vermögen der Firma Gebr. Freymann GmbH und des Herrn Dr. Max Emden wurde vom zuständigen Steueramt beschlagnahmt.“ Das Kaufhaus, dessen Grundstück Emden bereits 1905 für1,75 Millionen Goldmark gekauft und für ein Vielfaches bebaut hatte, wurde arisiert. Fassungslos wandte Emden sich an das Auswärtige Amt in Bern und bat die Schweiz, deren Staatsbürger er ja geworden war, um Hilfe. Vergeblich; der Beamte gab ihm den Rat, „sich selbst zu helfen“, was aus einem Brief Emdens an das Eidgenössische Politische Department, Abteilung Äußeres, vom November 1938 hervorgeht: „Wenn ich Ihnen dieses alles schreibe, so geschieht dies nicht einmal so sehr im Interesse von Danzig als in demjenigen von Budapest, bei dem Sie mir leider in Ihrem letzten Schreiben die von mir erbetene geringe Hilfeverweigert und mir nur den Rat gegeben haben, mir selber zu helfen.“ Emden appellierte schließlich an die Berner Bundesregierung, ihm, dem Schweizer Bürger, beizustehen. Doch auch da musste er die Erfahrung machen, dass die offenkundige Diffamierung seiner Person, die rassische Diskriminierung und die gewaltsamen Eingriffe des deutschen Nachbarn gegen und in das Vermögen eines ihrer Staatsbürger für die Schweizer Bundesregierung offensichtlich keinen hinreichenden Anlass boten, sich für den „nichtarischen“ Emden einzusetzen.

Juan Carlos Emden, der Enkel von Max Emden, hatte um einen Gesprächstermin mit einem Repräsentanten des Hamburger Senats gebeten, um seinen„Fall“ darzulegen. Juan Carlos war im Sommer 2015 für mehrere Wochen aus Chile nach Hamburg, um zwei seiner vier Kinder zu besuchen. Die beiden Urenkel des Hamburger Bürgers und Kaufhauskönig Max Emden, allesamt in Chile geboren, leben nämlich heute wieder in der Stadt ihrer Väter; der jüngste, sein Sohn, absolviert in Hamburg gerade seine Ausbildung in einem bekannten Hotel. Die Stadt Hamburg verweigerte Juan Carlos Emden den Termin mit der Begründung, man müsse sich zuerst einen Überblick über den Fall Max Emden machen und bitte um Übersendung von Unterlagen. Doch auch nachdem die Anwälte des Enkelsein 21 Seiten starkes Dossier mit dem Titel „Dossier Dr. Max James Emden, NS Verluste Hamburg“ an den Senat der Freien und Hansestadt übersandt hatten, blieb der Gesprächswunsch Juan Carlos Emdens ungehört. Im Fall Max Emden spielten auch die Stadt Hamburg und einige seiner Bürger eine nicht besonders rühmliche Rolle: 1927 noch hatte Max Emden in Klein Flottbek ein Villengrundstück für 130.000 Reichsmark erworben, das 1936 weit unter Preis wieder verkauft wurde: an eine prominente Käufergemeinschaft um den Hamburger„Zigarettenkönig“ Philipp F. Reemtsma und dessen Onkel, dem Zigarrenfabrikanten Dr. Karl Zuelch. Der Kaufpreis ging jedoch nicht an Max Emden, sondern auf ein „Sperrkonto“ Emdens bei der Dresdner Bank in Hamburg: 61.812,50Reichsmark, auf die Emden keinen Zugriff hatte. Reemtsma und Zuelch hatten auch anderweitig von der NS-Judenverfolgung profitiert, indem sie nach 1933 die Unternehmen jüdischer Konkurrenten „arisierten“. Es folgte das rund 11 Hektar umfassende Gelände des Hamburger Polo Club in Groß Flottbek, das Max Emden gleichfalls im Jahre 1927 für 366.499 Reichsmark erworben und das er langfristig an den Verein, dessen aktives Mitglied er war, verpachtet hatte. Den für mehrere hunderttausend Reichsmark durchgeführten Umbau des Clubhauses hatte Emden gleichfalls aus eigener Tasche bezahlt. 1935 wurde der Hamburger Polo Club „gleichgeschaltet“, er bildete fortan Mitglieder der SA- und SS-Reiterstaffeln aus. Auf Druck der neuen Vereinsführung musste Max Emden das Grundstück mitsamt dem von ihm gestifteten Clubhaus Ende 1935 schließlich verkaufen –für etwa ein Drittel des Wertes, wenn man das Clubhaus mitrechnet. Der Hamburger Polo Club überstand den Nationalsozialismus ansonsten unbeschadet. Er befindet sich noch heute auf dem ehemaligen Grundstück von Max Emden –zusammen mit einem Teil des Botanischen Gartens, der pikanterweise den Namen „Loki-Schmidt-Garten“ trägt. Direkt neben dem Gelände des Poloclubs, an der Jenischstraße 48, liegt die Villa Sechslinden, in der Max Emden bis zu seiner Übersiedlung in die Schweiz mit seiner Familie gewohnt hatte. Auch sie wechselte nach 1938 den Besitzer, ohne dass Emden je gefragt worden wäre.

Am Ende seines Lebens, im Juni 1940, stand Max Emden –von dem Grundbesitz inder Schweiz und den Resten seiner Kunstsammlung abgesehen –faktisch mittellos da. Die dafür waren „nicht kaufmännisches Unvermögen, geschäftliches Desinteresse oder gar ein ausschweifendes Leben als Privatier –der Max Emden nie war –, sondern das Ergebnis systematischer Entrechtung und Ausplünderung durch den NS-Staat“, um noch einmal aus dem Dossier Juan Carlos Emden zu zitieren. Am 5. Juni 1939 hatte das Hamburger Gewerbeamt die Liquidierung der Firma M.J. Emden Söhne bekannt gegeben, ohne dass Max Emden dies veranlasst hätte. Sein Millionenvermögen aus Immobilien- und Grundbesitz sowie den Kaufhausunternehmungen war innerhalb weniger Jahre vernichtet. Zermürbt und erschöpft starb Max Emden im am 26. Juni 1940 im Alter von 66Jahren in einem Krankenhaus in Muralto und wurde in Ronco begraben. Remarquenotierte: „Man braucht ein starkes Herz, um ohne Wurzeln zu leben.“

Als Hitler damit begann, sich im österreichischen Linz ein Privatmuseum aufzubauen und dafür wichtige Gemälde aus allen Teilen des „Reiches“ zusammenklauen ließ, wünschte er sich auch ein paar Gemälde aus der Sammlung Emden. Schon seit Beginn seiner Unternehmertätigkeit hatte Max Emden alte italienische Meister und Impressionisten gesammelt: Canaletto, Monet, Van Gogh und viele andere. Die Sammlung wuchs zu einer der besten privaten Sammlungen der Hansestadt mit weit mehr als 500 Werken heran, die Emden in seinem Landhaus Sechslinden und in verschiedenen Museen ausstellte, bevor er schließlich versuchte, die Bilder nach Brissago zu retten. Dass am Ende seines Lebens nur noch 14 Gemälde übrig waren, belegt, dass der Fall Emden auch Teil des größten Kunstdiebstahls im dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte ist.Drei berühmte Werke verfolgt dieser Film beispielhaft nach: eines, das „Mohnfeld bei Vétheuil“ von Claude Monet, wird heute auf 25 Millionen Franken geschätzt und ist Eigentum der umstrittenen Schweizer Sammlung Bührle. Es hing bis zuletzt in Emdens Palazzo auf den Brissago-Inseln. Hans Erich Emden hatte das Bild zusammen mit den restlichen noch verbliebenen Gemälden nach dem Tod seines Vaters 1940 dem Zürcher Kunsthändler Walter Feilchenfeldt anvertraut, der es 1941für den Spottpreis von 30.000 Schweizer Franken an Bührle verkaufte. Emil Bührle war ein Deutscher, der in der Schweiz Waffen für die deutsche Wehrmacht produzierte. Er hatte gerade Hochkonjunktur und wusste, was mit seinen Gewinnen zutun war: Bührle trieb während der Kriegszeit skrupellos den Aufbau seiner Kunstsammlung voran und nutzte wissentlich die Not und den Verlust von Verfolgten des NS-Regimes zum eigenen Vorteil aus. Er kaufte nicht nur Monets „Mohnblumen“ aus Emdens Besitz weit unter Wert, sondern z.B. auch 13 Gemälde, die die Nazis in Frankreich jüdischen Sammlern gestohlen hatten.

Und der Verkäufer? Walter Feilchenfeldt soll den Kaufpreis tatsächlich an Hans Erich Emden nach Chile transferiert haben –mit einem Abzug von 80 Prozent. Der Erbe erhielt für seinen Monet also nur 6.000 Schweizer Franken, wie Juan Carlos Emden zu berichten weiß. Emdens Enkel lässt derzeit klären, ob es sich bei dem Verkauf des berühmten Gemäldes von Monet um einen „verfolgungsbedingten Vermögensverlust“ handelt und als Raubkunst unter das Washingtoner Abkommen von 1998 fällt. Träfe dies zu, müsste das Bild an die Emden-Erben zurückgegeben werden. Die Sammlung Bührle jedoch spricht von einer „korrekten Abwicklung“–noch.

Der Fall hat aktuelle Brisanz: Die Sammlung Bührle wurde 2018 unter großen Protesten dem Kunsthaus Zürich einverleibt –der Name Bührle prangt auf einer der wichtigsten Kulturinstitutionen der Stadt Zürich. Doch die Stadt will erst die Provenienz aller zu übernehmenden Gemälde klären, wissentlich, dass da ein unrühmliches Licht auch auf die Schweiz fallen wird. Im Frühjahr 2015 ist ein „Schwarzbuch Bührle“ erschienen, in dem namhafte Wissenschaftler den Stand der Forschung in Sachen Provenienzschildern –und auch den Fall Emden begutachten. Zwei andere Bilder aus der Sammlung Emden hängen heute in zwei deutschen staatlichen Museen: Ein Gemälde Canalettos befindet sich im Museum Kunstpalast in Düsseldorf, ein zweites, das Bild „Dresden vom rechten Elbufer unterhalb der Augustusbrücke“, ebenfalls von dem italienischen Meister Canaletto, verschwand im Depot des Deutschen Militärhistorischen Museums in Dresden, nachdem dieses Bild Emdens pikanterweise bis in die 1980er Jahre den Speisesaal des Bundespräsidenten in der Villa Hammerschmidt in Bonn schmückte –also von Max Emden über Adolf Hitler direkt in die Hände des deutschen Bundespräsidenten kam. Erst Bundespräsident Horst Köhler hatte den merkwürdigen Zusammenhang offenbar bemerkt und das Bild aus dem Speisezimmer seines Bonner Dienstsitzes entfernen und nach Dresden bringen lassen.2012 wurde der Schweizer Kunsthistoriker und NS-Raubkunstexperte Dr. Thomas Buomberge mit der Anfertigung eines Gutachtens von Juan Carlos Emden beauftragt. Buomberger, der auch das „Schwarzbuch Bührle“ mit verfasste, rollte den Fall Emden nochmals auf. Er kommt zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Sammlung Emden um den klaren Fall eines durch die rassische Verfolgung Emdens motivierten Zwangsverkaufs handele, der gemäß der in Deutschland von Bund, Ländern und Kulturinstitutionen im Dezember 1999 getroffenen „Gemeinsamen Erklärung“ die Rückgabe gebiete. Zuvor hatte der Enkel Max Emdens, Juan Carlos, gemeinsam mit dem auf Raubkunst spezialisierten Marburger Rechtsanwalt Markus Stötzel ein Restitutionsersuchen an die Bundesrepublik Deutschland bezüglich der beiden Gemälde Canalettos gestellt. Als die Jahre ins Land gingen und nichts passierte, unterbreitete Juan Carlos 2013 der deutschen Bundesregierung einen Kompromissvorschlag zur gütlichen Einigung und berief sich dabei auf die „Gemeinsame Erklärung“: Eines der beiden betroffenen Gemälde Canalettos sollte in Deutschland bleiben und eines an die in Südamerika lebende Familie zurückgegeben werden. Das Bundesfinanzministerium wies den Vorschlag mit Hinweis auf die „Unverbindlichkeit“ der „Gemeinsamen Erklärung“ zurück. Der Bund sehe keine Veranlassung, von der Praxis der früheren gesetzlichen Rückerstattung abzuweichen. Das sieht Emden natürlich anders. „Die Bundesregierung steht in der Pflicht, auch dem Ausland gegenüber zu beweisen, wie ernst es ihr damit ist, verantwortungsvoll mit den Ansprüchen jüdischer Familien umzugehen“, kommentiert das Mel Urbach, der New Yorker Anwalt der Familie Emden.

REGIE

EVA GERBERDING:

Studium der Slawistik, Geschichte und Kunstgeschichte in Hamburg. Seit zwanzig Jahren regelmäßige Reisen nach Russland und enge Kontakte zur Moskauer und St. Petersburger Kulturszene. Seither auch regelmäßige Autorentätigkeit (vor allem) in Russland für Funk(NDR, RB, DLF, SR), Printmedien (Brigitte, Gala, Merian, Feinschmecker) und Verlage (DuMont, Gräfe und Unzer, Mairs, Rowohlt). Seit 1998 auch Magazinbeiträge und Dokumentationen für das Fernsehen (WDR, MDR, NDR, ARTE, 3SAT).Autorin von „Wer sagt, dass Kinder glücklich machen“ (zusammen mit Evelyn Holst, Südwest Verlag), sowie zwölf Reisebüchern (u. a. über St. Petersburg, Moskau, Baltikum).„Drehtür in die große Welt –50 europäische Grandhotels“ (DuMont-Verlag), „Literarische Grandhotels der Schweiz“ (Arche-Verlag)Ausstellungskoordination Russland: ‚Bonjour Russland’, museum kunstpalast Düsseldorf (2007) und ‚Russland 1900’, Mathildenhöhe Darmstadt (2008). Lebt in Hamburg

ANDRÉ SCHÄFER:

Autor, Regisseur &Produzent geb. 30. August 1966 Studium der Geschichte, Politologie und Journalistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule München; Autor für Die Zeit, Kölner Stadt-Anzeiger, taz, Frankfurter Rundschau u.a.; von 1999bis 2001 Redakteur/1. Reporter in derPG Kultur des WDR Fernsehens. Seit1992 zahlreiche Dokumentationenund Dokumentarfilme für ARTE,ARD und ZDF; seit 2007 Regisseur von Dokumentarfilmen fürs Kino. Seit Mai 2001 Gründungsmitglied und Gesellschafter der FLORIANFILMGMBH in Köln, mit der er als Autor, Regisseur und Produzent zahlreiche preisgekrönte Dokumentarfilme realisiert hat. Lebt in Köln und auf Eiderstedt.

Auch Leben ist eine Kunst – Der Fall Max Emden

Ein Film von Eva Gerberding und André Schäfer

Kinostart: 25. April 2019 im Abaton und Blankeneser Kino

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