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„Erinnerungspolitik wie in der Kaiserzeit!“

Sich dem kolonialen Erbe der eigegen Geschichte zu stellen, ist mit Statements alleien nicht getan. Diese Erfahrung machen gerade Kolonialhistoriker*innen aber auch Politiker*innen im Bezirk Altona. Der Diskurs beginnt erst …

2014 beschloss der Hamburger Senat eine Dekolonisierung der Stadt. Dabei sollen auch kolonial oder antidemokratisch belastete Denkmäler im öffentlichen Raum kritisch hinterfragt und kommentiert werden. Nun wird in einer Pressemitteilung des Projektes „freedom-roads“ heftiger Protest von beteiligten Historiker*innem laut:  Am Ausschuss für Kultur und Bildung der Bezirksversammlung Hamburg-Altona scheinen all diese städtischen Diskurse aber spurlos vorüber gegangen sein. Stattdessen wird Kritik an den ehernen Kolonialakteuren auf Sockeln zensiert. 2020 beauftragte der Ausschuss ein Team von vier Historiker*innen und Expert*innen für die Kolonialgeschichte Altonas und Hamburgs – Gisela Ewe, Hannimari Jokinen, Dr. Dirk Lau und Frauke Steinhäuser –, neue Texte für Gedenktafeln an neun Erinnerungsorten in Altona zu schreiben, darunter auch Personendenkmäler wie die Bismarck-Statue in der Königstraße und das Monument für Blücher an der westlichen Seite des Altonaer Rathauses.
„Wir erfuhren dann aus der Presse, dass die Vertreterin der CDU im Kulturausschuss, Kaja Steffens, die kolonialkritischen Stellen in unseren Texten abschwächen oder ganz streichen ließ, während sie Passagen einbaute, die apologetische Kolonialmythen reproduzieren“, kritisiert Hannimari Jokinen. Leider gelang es Steffens und der CDU, die Mehrheit im Kulturausschuss hinter sich zu versammeln.

Mehrmals wiesen die Historiker*innen die Mitglieder des Altonaer Kulturausschusses auf das Hamburger Programm zur Dekolonisierung des öffentlichen Raums hin, stießen aber auf taube Ohren: Der Ausschuss übernahm die revisionistischen Textänderungen der CDU. Im Hamburger Abendblatt vom 28. Mai 2022 bezeichnete Frau Steffens die auf intensiver Archivarbeit beruhenden Texte der vier Historiker*innen als „einseitige, politisch motivierte Geschichtsklitterung nach heutigem, woken Mainstream“.
Gegen diesen Versuch der Disqualifizierung ihrer wissenschaftlichen Arbeit verwahren sich die Historiker*innen ausdrücklich: „Wir distanzieren uns von den im Kulturausschuss beschlossenen Textversionen für die Gedenktafeln, die Kolonialismus relativieren und eurozentrischen Darstellungen Vorschub leisten“, so Jokinen. Und Gisela Ewe kritisiert: „Durch ihre Textänderungen schwächt die Bezirksversammlung die Kritik an Bismarck nicht nur ab, sondern fügt ausgerechnet den umstrittenen imperialistischen Berliner Kongress von 1878 als positives Beispiel von Bismarcks Schaffen hinzu. Das ist ganz offensichtlich politisch motiviert und hat nichts mit historischer Expertise zu tun.“ 

Eines der Streitpunkte ist das Denkmal des Grafen von Blücher, das nahe des Altonaer Rathauses steht. Bis heute feiert das vom Rathaus Altona vorgegebene Narrativ den dänischen Bürgermeister Altonas, Conrad Daniel Graf von Blücher (1764–1845), als Wohltäter. „Es blendet aus, dass Blücher wirtschaftlich, familiär und von Amts wegen tief im Kolonialhandel verstrickt war, wie neuere Archivforschung ergeben hat. Trotz seiner Meriten für Hamburgs Wohlergehen ist es unseriös und falsch verschweigen zu wollen, dass er ein Profiteur der versklavenden Plantagenwirtschaft war. Seit einem Jahrzehnt laden fachkundige Menschen im Stadtteil zu postkolonialen Stadtrundgängen ein, die auf großes öffentliches Interesse stoßen. Während der Ausschuss für Kultur und Bildung in Altona noch heute kolonialen Mythen nachhängt, ist das kolonialkritische Wissen in der Bevölkerung deutlich gewachsen. Das Blücher-Denkmal gehört dekolonisiert“, so die Kritiker*innen

 

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