Beirat zur Aufarbeitung der Hamburger Kolonialgeschichte berufen

„Wichtigste erinnerungspolitische Aufgabe“

In Kamerun ge-, in Ohlsdorf begraben: Gottlieb Leonhard Gaiser (Foto: Wilhelm Dreesen / MKG Hamburg)

Vor mehr als zehn Jahren gab es die Idee eines Parks Postkolonial in Harburg zu gestalten. Davon wollten viele nichts wissen. Doch das Thema bleibt. Jetzt vertieft es ein Beirat.

Hamburg und auch das früher eigenständige Harburg an der Elbe sind tief mit der Geschichte des deutschen Kolonialismus verbunden. Aufgearbeitet wurde es bisher wenig. Der Anfang des Jahrtausend initiierte ´Park Postkolonial` wurde insbesondere in den Harburger Reihen torpediert. Doch Geschichte holt einen bekanntlich eh immer wieder ein. Seit geraumer Zeit gibt es in Hamburg dazu eine Forschungsstelle und jetzt auch einen Beirat.

In der Mitteilung der Behörde für Kultur und Medien heißt es:

„Die kritische Aufarbeitung der kolonialen Geschichte gehört zu den wichtigsten erinnerungspolitischen Aufgaben unserer Zeit. Nach langjährigem Engagement verschiedener zivilgesellschaftlicher Gruppen, insbesondere der Schwarzen Communities und People of Color, hat Hamburg sich bereits 2014 dazu entschlossen, die koloniale Vergangenheit der Hansestadt aufzuarbeiten. 2017 wurde mit dem Runden Tisch Koloniales Erbe ein breit aufgestellter Beteiligungsprozess auf den Weg gebracht. Am Montagabend, 8. April 2019, hat sich der von Senator Dr. Carsten Brosda berufene Beirat zur Aufarbeitung der Hamburger Kolonialgeschichte erstmals getroffen. Der Beirat wird die Behörde für Kultur und Medien als Fachgremium in Fragen der postkolonialen Erinnerungskultur Hamburgs beraten und Empfehlungen zu Fragestellungen, Projekten und Vorhaben der postkolonialen Aufarbeitung und Dekolonisation abgeben. 

Postkolonialer Perspektivwechsel

Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien: „Der Kolonialismus war ein System von Herrschafts-, Gewalt- und Ausbeutungsverhältnissen, das in den Gesellschaften der Kolonisierten wie der Kolonisierenden nachhaltige Spuren hinterließ, die bis heute wirken. Endlich wird auf vielfältiger Weise und auf unterschiedlichen Ebenen mit der Aufarbeitung dieses schwierigen Kapitels unserer Geschichte Ernst gemacht. Die Gründung des Beirats ist ein weiterer Baustein zur Aufarbeitung des kolonialen Erbes unserer Stadt, mit dem wir auch der Entwicklung eines postkolonialen Erinnerungskonzepts für Hamburg einen wichtigen Schritt näher kommen. Mit dem partizipativen Ansatz wollen wir einen postkolonialen Perspektivwechsel sicherstellen. Viele weitere wichtige Schritte sind noch notwendig, die mit Unterstützung des Beirates und des Runden Tisches hoffentlich eine breite Unterstützung erfahren.“

Love Newkirk, Beiratsmitglied: „Nicht zuletzt wegen des zunehmenden Rassismus in unserer Gesellschaft müssen wir dringend den Kolonialismus aufarbeiten, uns an seine Geschichte erinnern und seine Folgen verstehen Der Beirat wird dazu seinen Beitrag leisten.“

Zuallererst wird sich der Beirat an der Erstellung eines dekolonisierenden Erinnerungskonzepts für die Freie und Hansestadt Hamburg beteiligen, das gesamtstädtisch und behördenübergreifend Geltung erlangen soll. Hamburg wäre damit die erste Stadt Deutschlands, die sich strategisch mit der Gestaltung ihrer postkolonialen Erinnerungskultur auseinandersetzt. In seinen Sitzungen wird der Beirat über die Fragen, Themen und Impulse des Runden Tischs Koloniales Erbe beraten, seine Beratungsergebnisse dem Runden Tisch zur Diskussion stellen und ihm über seine weiteren Aktivitäten berichten.

Der Beirat ist interdisziplinär mit insgesamt 14 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Kultur, Bildung, Kunst, Medien, Soziales und Wirtschaft besetzt, die sich in ihrer Arbeit und in ihrem Engagement aktiv mit der Dekolonisation unserer Gesellschaft befassen. Weitere Berufungen können auf Vorschlag des Beirats erfolgen. Um einen postkolonialen Perspektivwechsel sicherzustellen, ist der Beirat vorrangig mit migrantisch-diasporischen Expertinnen und Experten aus den vom Kolonialismus betroffenen Ländern und Gesellschaften besetzt. Die Berufung der Gründungsmitglieder erfolgte auf Basis von Vorschlägen und Empfehlungen von Vertreterinnen und Vertretern der Communities, zivilgesellschaftlichen Initiativen und dem Integrationsbeirat durch den Senator der Behörde für Kultur und Medien für zwei Jahre.

Berufen wurden: Emmanuel Asare, Sonja Collison, Tom Gläser, Yolanda Gutiérrez, Qiang Gu, Hannimari Jokinen, Prof. Dr. Koffivi Lolo, Love Newkirk, Dan Thy Nguyen, Dr. Thomas Overdick, Jonas Prinzleve, Sally-Mary Riedel, Anke Schwarzer und Verena Westermann.“

Quelle: www.hamburg.de/bkm

Hintergrund Harburg: In Harburg etwa gibt es abgehend von der Bremer Straße noch immer die nach dem Palm-Importeur benannte Gaiserstraße. Gottlieb Leonhard Gaiser war hauptsächlich als Palmkernimporteur tätig. Aus den Kernen wurde nach der ‚Gaiser-Methode‘ Palmöl gewonnen, das vielseitig verwendbar war als Schmiermittel für Maschinen, in der Lebensmittelindustrie und Kosmetikbranche. Er baute Mitte des 19. Jahrhunderts bereits die Ölfabrik Gaiser & Co. in Harburg und die Einkaufsgesellschaft G.L. Gaiser in Hamburg auf, um die Zollbestimmungen optimal zu nutzen. In Westafrika kaufte das Unternehmen Niederlassungen unter dem Namen Gaiser & Witt und gründete in Kamerun die Hamburg-Afrika-Gesellschaft. So wurde Gaiser zum größten Importeur für Palmprodukte.

Weiterführender Link: afrika-hamburg.de

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