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Kultur ins Grundgesetz!

War 2020 einfach nur für die Tonne? Wir haben bei Kulturschaffenden nachgefragt. Heute der Kabarettist Johannes Kirchberg.Wie hat sich die Pandemie im Arbeitsalltag 2020 bemerkbar gemacht?

Vor allem hat sie sich darin bemerkbar gemacht, dass ich mehr mit der Planung und dem Verschieben von Auftritten zu tun hatte, als mit dem Spielen von Konzerten selbst. Dass es sehr neue (Auftritts)Formate gab und die Konzerte teilweise unter kuriosen Umständen stattfanden war bemerkenswert. Doppelvorstellungen und Gastspiele in riesigen Stadthallen (vor 70 Leuten die mit großem Abstand saßen) gab es. Open Air Veranstaltungen und Konzerte ohne Pause. Das waren die auffälligsten Veränderungen, wenn man überhaupt von Arbeits“alltag“ sprechen will. Unter der fehlenden persönlichen Begegnung habe ich gelitten, und vermisse sie bis heute, der fehlende kulturelle Austausch wird sicherlich auch Auswirkungen haben auf das, was neu entsteht. Nicht oder nur selten auf Tournee gewesen zu sein, war eine ganz neue Erfahrung für mich.

Wie weit werden die Nachwirkungen nachhallen?

Das kommt ganz darauf an, wie lange die Situation im Kulturbereich noch andauert und der Spielbetrieb noch angehalten ist. Mittlerweile gibt es Ausweichtermine von verschobenen Ersatzterminen. Und Schattentermine für geplante Konzerte, falls diese nicht stattfinden können. Und die Veranstalter finden ja schon gar keine freien Termine mehr, die sie vergeben könnten. Die Planungen reichen bis weit ins Jahr 2023. Unter diesen Bedingungen ist es natürlich extrem schwer, einen sinnvollen Tourplan zu erstellen. Ich hoffe, dass es kurzfristig noch zu Auftritten kommen wird. Andernfalls mache ich mir große Sorgen um die freie Szene. Besonders um all die, die nicht im großen Rampenlicht stehen oder Medienpräsenz genießen. Um die Kunst und die KünstlerInnen, die vor allem von der Neugier der Menschen leben.

Was waren 2020 die gravierendsten Entwicklungen?

Dass meine Zukunftsangst zu Beginn der Krise mittlerweile einer gewissen Gelassenheit gewichen ist. Dass heißt nicht, dass ich sorglos bin, aber zu sehen, welch kreative Lösungen Veranstalter und Künstler finden können, damit Kultur stattfinden kann, hat mich sehr gefreut und beruhigt.

Was hat 2020 an neuer Kreativität hervorgebracht?

Förderanträge zu stellen ist jetzt vielleicht nichts ganz kreatives, aber darin eine gewisse Meisterschaft zu entwickeln, war schon schön anzusehen (lacht). Außerdem habe ich die große Freude, seit Beginn des neuen Jahres im Kulturhaus Süderelbe arbeiten zu dürfen. Auf diese Chance habe ich mich im vergangenen Jahr schon vorbereitet und das hat mich sehr erfüllt. Ich hatte die große Chance sehr viel Musik machen zu können, ohne gleich an die Verwertbarkeit zu denken. Das empfand ich als Geschenk.

Was war das persönlich einschneidenste Erlebnis in 2020?

Das war ein ganz privates, nämlich dass ich so viel Zeit mit meiner Familie verbringen durfte. Ich habe es sehr genossen, meine Familie so lange und so intensiv um mich gehabt zu haben. Wann hat man das schon? Man nimmt sich ja oft vor, dass man mal mehr Zeit (am Stück) miteinander verbringen muss. Die erzwungene Auszeit vom Job hat bei mir dazu geführt, dass sich mein Hamsterrad plötzlich nicht mehr schneller drehte als die Welt außenrum. Das war eine sehr schöne Erfahrung. Und die möchte ich mir gern bewahren.

 Was ist für 2021 absehbar?

Hoffentlich ein Weihnachten im großen Familienkreis. Ansonsten ist wohl nur absehbar, in kleinen Schritten zu planen und kurzen Zeiträumen zu denken.

 Was wäre in 2021 wünschenswert?

Die Hoffnung nicht zu verlieren. Und dass wir uns aus dieser außergewöhnlichen Zeit doch vielleicht auch etwas Gutes erhalten. Ich wünsche mir ein hoffnungsvolles und gesundes, an Kultur und Begegnung reiches und von Verständnis und Freundlichkeit geprägtes neues Jahr.

Dass die Politik Lösungen bietet, damit Soloselbständige und Freie diese Misere angstfrei überstehen können. Und dass KULTUR ins Grundgesetz kommt.

Was wird von 2020 bleiben?

Hoffentlich mehr als eine durchgeweichte blaue MundNaseBedeckung im Matsch.

 

Johannes Kirchberg

www.johannes-kirchberg.de [1]

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