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Menschenwürde nicht Menschenwert

Über die Menschenwürde wird aktuell viel diskutiert. Wie definiert man sie und wie sieht es mit der Menschenwürde in Corona-Zeiten aus?

Von Ulrike Hinrichs

Man sagt unseren Gesetzen nach, dass sie kaum verständlich sind. Das stimmt auch viel zu oft, trifft aber nicht auf das Grundgesetz zu. Einen Blick in die Bibel unserer Verfassung kann ich wirklich jedem empfehlen. Die Kernaussage, auf der sich unser gesamtes Grundgesetz aufbaut, findet sich in Art. 1 Absatz 1 GG.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“.

„Aber man darf ja mal drüber diskutieren“, mag nun mancher Politiker denken, der in unzähligen Talkshows und Sondersendungen zur Corona Pandemie seine ganz persönliche Version der Menschenwürde zum Besten geben möchte, so als gehe es um einen Streit zu Steuererhöhungen oder Pkw-Maut (siehe dazu ´Tiefgang`: Widerstand zwecklos [1]).

Die Menschenwürde ist ein unumstößlicher Grundsatz unserer Verfassung, der keiner Wertebeurteilung unterliegt. Es ist ein feststehendes Prinzip mit einem Auftrag an den Staat.

Zur Menschenwürde gibt es nach zahlreichen Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes sehr viel zu sagen und ich bemühe mich, die wesentlichen Grundgedanken ganz knapp in einfachen Worten zu formulieren, ohne damit auch nur annähernd einen vollständigen Überblick bieten zu können. Nach der Leitlinie unseres höchsten Gerichts beschreibt die Menschenwürde den

„Wert- und Achtungsanspruch, der dem Menschen kraft seines Menschseins zukommt, unabhängig von seinen Eigenschaften, seinem körperlichen oder geistigen Zustand, seinen Leistungen oder sozialem Status“ (BVErfGE 39, 1 (42)).

Einfach ausgedrückt, nur weil der Mensch als Mensch existiert, steht ihm bereits die Menschenwürde zu. Sie wird weder verliehen, noch entzogen, sie wirkt sogar vorgeburtlich und geht über den Tod hinaus. Die Würde des Menschen lässt nicht mit zunehmenden Alter nach, im Gegenteil, sie überlebt den Sterbenden sogar. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern ein Grundpfeiler unserer Verfassung. Das mag in einer Leistungsgesellschaft, in der es um Effizienz und Nutzen geht, für machen ungewöhnlich klingen. Nichtsnutze, Tagträumer, Verschwörungstheoretiker und auch Mörder haben eine unantastbare Menschenwürde. Das Bundesverfassungsgericht konstatiert, dass der Mensch wegen seiner Würde nicht „Objekt staatlichen Handelns“ werden darf. Das bedeutet vor allem auch, dass man Menschen nicht zahlenmäßig und nicht nach der Lebensqualität, Lebensdauer oder Lebensleistung bewerten darf. Alle Menschen haben den gleichen Wert, Alte und Kranke ebenso wie junge fitte Menschen.

Ich schätze die Meinungsvielfalt im politischen Spektrum von CSU bis Linke und akzeptiere andere Ansichten, auch wenn sie meinen Weltanschauungen zuwider laufen. Ein Diskurs in Krisenzeiten ist gut und richtig. Mit versprengten Verschwörungstheoretikern und Faschisten muss ich leben, sie bilden Gott sei Dank die Minderheit in unserem Lande. Echte Fassungsfeinde würden mir niemals einen Kommentar entlocken. Ich ignoriere sie einfach. Mir bereitet aber zunehmend Sorgen, wenn Politiker, die ich bisher dem demokratischen Spektrum zugerechnet habe, Aussagen vornehmen, die der Menschwürde eindeutig zuwiderlaufen.

 

 

 

 

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