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Mit Graffitis zu Geld kommen

In Harburg kennt man seine Spraykunst aus der Haake. In Namibia lernte man ihn und das Sprayen nun auch kennen. Und das nachhaltig.

Graffitis auf Häuserwänden und Zügen sind aus den weltweiten Metropolregionen kaum mehr weg zu denken. Überhaupt  gibt es nur noch wenige weiße  Flecken auf den Landkarten dieser Erde.

Namibia ist ein solch weißer Fleck. Trotz der unmittelbaren Nähe zu Südafrika und den gewachsenen Graffitiszenen in Kapstadt und Johannesburg und obwohl der  regen Tourismus seit Jahrzehnten boomt, ist der Bevölkerung “Graffiti“ ein Fremdwort.

„Ich konnte das zunächst gar nicht glauben, dass sich die Einheimischen unter dem Begriff gar nichts vorstellen konnten. Selbst im lokalen Baumarkt wurde ich mit neugierigen Blicken beäugt und von der  Kassiererin gefragt wofür ich denn so viele Sprühdosen bräuchte! Das wäre in Hamburg oder Berlin wohl eher nicht der Fall“ grinst Gerrit Fischer alias Brozilla.

50% Arbeitslosigkeit

Bildung international: Studenten von Brozilla.

Der 38 Jährige Urban Art-Künstler begann vor etwa vier Monaten mit der Planung seines Vorhabens.

Unterstützt durch den Norderstädter Bernhard Luther, der seit Jahren mit dem  „San Solar school project“ bedürftige Schulen in Namibia mit Solarenergie ausstattet, sowie dem ASB Ortsverband Hamburg Mitte und der namibischen NSDO, einer Organisation, die von Einheimischen initiiert, soziale Projekte fördert und jungen Menschen eine Perspektive bietet. Denn obwohl Namibia als eines der aufstrebenden Afrikanischen Staaten zählt, liegt die Arbeitslosigkeit bei rund 50% der Bevölkerung und die Armut ist groß.

„In der Vorbereitung wurde deutlich, dass in den Townships von Windhoek viele junge Menschen leben, die mit den unterschiedlichsten Begabungen schlichtweg keine Beschäftigung haben. So entstand die Idee, einen kostenlosen Graffiti-Workshop in den Räumen der NSDO anzubieten“, erklärt  Brozilla und ergänzt: „Wir mussten die Teilnehmerzahl dann auf 20 begrenzen, da es unmöglich gewesen wäre 100 Schüler in den Raum zu bekommen, geschweige denn alle mit Stift und Papier auszustatten.“

Erster besprühter Zug

Im Laufe des Workshops sind die Jugendlichen zu einer Gruppe zusammen gewachsen und haben sich vom ersten Zeichnen bis zu Wandgestaltungen mit dem Thema Graffiti theoretisch und praktisch auseinander gesetzt.

Trash-Art rollt künftig quer durch Namibia.

„Das hat riesig viel Spaß gemacht! Es ist aber auch belastend zu sehen, dass die Jugendlichen Graffiti lernen wollen um Geld zu verdienen. In Deutschland sprühen Jugendliche in erster Linie als Hobby, aber wer mit seiner Familie in einer Wellblechhütte am Stadtrand lebt, hat andere Sorgen als sich in der Freizeit zu beschäftigen“, so Brozilla nachdenklich.

Für seine eigene künstlerische Arbeit war dann allerdings auch noch Zeit. Krönender Abschluss der dreiwöchigen Reise war die von der namibianischen Eisenbahngesellschaft ´transnamib` genehmigte Umgestaltung eines Bahnwagons. Des ersten besprühten Zuges in Namibia überhaupt.

„Diese rollende Leinwand wird sich ab jetzt auf den Gleisen zwischen Namibia und Südafrika bewegen und den Leuten zeigen was für eine großartige Kultur das Graffitisprühen ist, bisher gab es auch nur beifallklatschende Reaktionen.“

Eins ist für den sprühenden Hamburger auf jeden Fall klar: „Graffiti ist in Namibia angekommen! Meine Schüler werden weitere Schüler in den Techniken unterrichten und das wird mit Sicherheit nicht das letzte Mal sein, das ich dieses großartige Land besuche!“

Schon für nächstes Jahr plant er einen durch Spenden finanzierten Container  mit Sprühdosen zu bestücken und das Projekt weiter wachsen zu lassen. Wer das Projekt unterstützen möchte, kann sich mit einem Geld-Betrag seiner Wahl auf folgendes Spendenkonto beteiligen:

ASB Ortsverband Hamburg-Mitte e.V.

IBAN DE9620080000 0054545400 / BIC DRESDEFF200

Stichwort: Brozilla + San solar school projekt

Auch Sachspenden werden gerne entgegen genommen, aber: „bitte nicht die rostigen Sprühdosen aus dem Keller…“, so Brozilla. Dann bitte per Mail an brozilla@gmx.de [1].

Namibia war in Hamburg zuletzt Thema beim transnationalen Kongress (´Tiefgang` berichtete [2]). Vor allem weil Hamburgs Kultursenator um Vergebung bat für die kolonialen Greueltaten unter Beteiligung der Hansestadt: „Wir bitten Sie um Vergebung. Wir können nicht rückgängig machen, was passiert ist. Aber wir können nach Versöhnung streben.“

Denkmäler für deutsche Soldaten

Brozilla hat dies in Namibia aus einer anderen Perspektive miterlebt: „Die Vergebungsgeste war überhaupt kein Thema. Über die geforderten Entschädigungszahlungen der Hereros wird dagegen kontrovers diskutiert!“ Und weiter: „Es ist nicht ganz einfach sich diesbezüglich als weißer Europäer eine eigene Meinung zu bilden.“ Wohl aber habe er feststellen müssen, dass ein Großteil der  Ländereien und der Unternehmen Weißen gehörten, die dieses an ihre Nachkommen weiter geben und dafür sorgten, dass die Schwarzen günstige und ungebildete Arbeitskräfte bleiben. „Aussagen von Schwarzen, die mir sagen dass Weiße nicht gerne mit Schwarzen zusammen arbeiten weil sie ihnen misstrauen, klingt auf jeden Fall zynisch vor dem Hintergrund, dass die Weißen mal kamen und Länder besetzten in denen nun mal Schwarze leben. Ätzend sind dann noch diese merkwürdigen ´Traditionsdeutschen` die Denkmäler für die ´gefallenen deutschen Soldaten` dort aufstellen – mit denen hatte ich zum Glück keine Berührungspunkte!“

In Namibia läuft eben manches anders. Nur eines könnte bald auch dort häufiger zu sehen sein: Graffiti als Urban Art.

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