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„Ohne OZ ist Hamburg München“

Seine Werke begeistern, entrüsten und sind doch immer nur vergänglich. Wie findet er das? Wir haben nachgefragt …

Seine Kunst ist auch in Harburg präsent und zur Weihnachtszeit schenkte er uns an der Haake die „faulen Engel“. Er ist freischaffender Künstler, passinionierter Heimfelder und 37 Jahre alt.

Tiefgang (TG): Wie bist Du ausgerechnet auf „Brozilla“ gekommen?

Brozilla (B): 2008 war es für mich an der Zeit einen neuen Namen zu wählen und da ich als Graffitisprüher ein wenig in die Jahre gekommen war, wählte ich einen Namen, der sich nicht dadurch auszeichnet, mein Können, meine Stärke oder meine besondere Gerissenheit zu unterstreichen, sondern im Zweifelsfalle einfach doof klingt. „Broz“ war geboren und über „Broz-one“, „Broz Lee“ blieb dann irgendwann „Brozilla“. Im Endeffekt ist mir wichtig, dass ich weltweit der einzige Sprüher bin, der so heißt.

TG: Wann hat es Dich erwischt und zur Sprayer-Kunst verschlagen?

B: Im zarten Alter von 12 Jahren kam ich über die HipHop-Bewegung in Kontakt mit Graffiti. Mir gefielen die Bilder an der Bahnlinie und auf Zügen und mich begeisterte es, die Stadt farblich zu gestalten und überall seinen Namen zu hinterlassen. Für mich war und ist Graffiti eine Bereicherung für jeden urbanen Raum, ich konnte nie nachvollziehen, warum das so eine wahrgenommene Bedrohung darstellen soll.

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„Faule Engel“ zieren Ende 2016 die Sprayer-Wand in der Haake. (Foto: Brozilla)

 

TG: Wer hat Dich sonst in der Kultur bisher schwer beeindruckt?

B: Da gibt es sooo viele! In der Malerei etwa Daniel Richter, Jonas Burgert, Jonathan Meese, Erro, Ena Swansea, um mal bei den Lebenden zu bleiben… Im Graffitibereich sind es neben den alten Größen wie RTA, ERIC, Moral, Candy Chintz, heutzutage Razor, Moses/Taps, Rage, Round. In der Musik: Ton Steine Scherben, Bob Marley, A Tribe called Quest, BDP, Run DMC, Miles Davis, EST, Maceo Parker, Leonard Cohen, Sex Pistols, Radiohead, Portishead, Massive Attack usw. Bei Texten sind es Astrid Lindgren, Aldous Huxley, Ellis Kaut, George Orwell, Jonathan Stroud.

Außerdem bin ich ein großer Freund von politischem Kabarett: Volker Pispers und Hagen Rether sind da besonders hervor zu heben!

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„Eine Bereicherung für jeden urbanen Raum“ (Foto: Brozilla)

TG: Graffiti hat lange gebraucht, um vom Status der kriminellen Sachbeschädigung über den bürgerlichen Vorwurf des „Geschmieres“ zur anerkannten Kunstform zu kommen. Ist sie dort überhaupt schon angekommen und will sie das überhaupt?

B: Graffiti ist eine weltweite Subkultur und spricht eine eigene Sprache.

Wenn Menschen diese mit absoluter Leidenschaft und Hingabe gemalten Bilder als Schmiererei bezeichnen, dann sind das in etwa dieselben Menschen, die Jazz als Krach bezeichnen. Sie haben sich schlichtweg nicht damit auseinander gesetzt!

Für mich persönlich ist es vollkommen unwichtig ob Graffiti, Streetart, Urban Art eine anerkannte Kunstform ist – es gibt sie überall, sie umgeben uns, prägen unsere Sehgewohnheiten seit fast 40 Jahren! Vielleicht sollte man dieses Kulturphänomen einfach mal akzeptieren! Ich meine, es regt sich ja auch kaum einer mehr über Werbung oder Architektur auf.

Und Fakt ist: beschäftige dich mit Graffiti, mit den Schriftzügen, mit den Intentionen, mit den Akteuren und man sieht die Stadt mit anderen Augen!

TG: Sprayerkunst und HipHop wurden lange Zeit in einem Atemzug genannt. Zu recht?

B: Für mich ist Graffiti ein Teil der 4 Elemente der HipHop-Bewegung: Mc’ing, Dj’ing, Breakdance & Graffiti. Es hat sich aber schon lange davon gelöst und sich unabhängig weiter entwickelt.

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„… und Du siehst die Stadt mit anderen Augen!“ (Foto: Brozilla)

TG: A propos: was hörst Du so?

B: Ich bin begeisterter Musikhörer und schränke mich da schon lange nicht mehr durch Genres ein. HipHop, Jazz, Raggae, Punk, gehört für mich genauso zum Repertoire wie Elektro, Rock und Klassik.

TG: OZ ist ja in Hamburgs Sprayer-Szene ein Inbegriff. Allein wofür? Kannst Du das mal in Deine Worte fassen?

B: Kurz gesagt: Ohne OZ ist Hamburg München! (grinst)

Diese kompromisslose Hingabe, trotz der Verfolgung durch Medien und Staatsanwaltschaft, bleibt, glaube ich, für immer einzigartig.

OZ hat über Jahrzehnte etwas ganz eigenes geschaffen, sich auch in der Graffitiszene gegen sehr viel Kritik durchgesetzt – ich vermisse ihn sehr!

TG: Wenn Kultur-Politik was tun sollte oder könnte, was wäre es für Dich als Sprayer?

B: Als erstes fällt mir da der Mangel an bezahlbaren Atelierräumen ein! Außerdem bedarf es der finanziellen Unterstützung gerade kleinerer, weniger etablierter Kulturräume, damit zum Beispiel junge KünstlerInnen die Möglichkeit haben, ihre Werke auszustellen. In diesem Zusammenhang ist mir auch das Künstlerhonorar ein Anliegen. Künstler bezahlen in der Regel dafür, ihre Kunst der Öffentlichkeit zeigen zu dürfen. Da wäre ein Umdenken dringend erforderlich, denn meines Erachtens leisten KünstlerInnen mit ihren Arbeiten einen wichtigen kulturellen Beitrag für die Gesellschaft! Das wäre genauso, wie wenn ein Musiker dafür zahlen würde, um ein Konzert zu spielen. Ich finde das irgendwie paradox.

Selbstverständlich wünsche ich mir auch wesentlich mehr Flächen für Kunst im öffentlichen Raum.

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Zusammen mit dem Harburger Künstler Toro für die Sammlung Falckenberg entworfen. (Foto: Brozilla)

TG: Sprayst Du just for fun, aus Überzeugung oder etwa gegen Geld ?

B: Ich bin freischaffender Künstler und gehe meinen Weg, just for fun, aus Überzeugung und gegen Geld (grinst)

TG: Graffiti ist ja zwangsläufig einer eher temporäre Kunst. Hast Du das auch schon mal bedauert?

B: Daran gewöhnt man sich mit der Zeit…

TG: Was hälst Du von der Bostelbeker Flutschutzwand und den Großstadträumern?

B: Die Bostelbeker Flutschutzwand ist eines der besten Projekte der letzten Jahre! Harburg sollte den Großstadtträumern dankbar sein, für ihr jahrelanges und unermüdliches Engagement, für ein mindestens europaweit einmaliges Projekt.

Gelegentlich male ich dort auch, bin aber in jedem Fall immer ein begeisterter Besucher. Ich kann allen Harburgern nur empfehlen mal regelmäßig an dieser Wand vorbei zu schauen und die ständig wechselnden Arbeiten zu betrachten.

TG: Welche Ecke in Hamburg – so du sie namentlich überhaupt nennen willst (von wegen Geheimtipp) – würdest Du am ehesten als Sprayer-Paradies bezeichnen und wenn, warum?

B: Jedes HVV-Abstelldepot! (lacht) Nein, im Ernst, ich würde tatsächlich die Bostelbeker Flutschutzwand nennen, an der Sprüher aus der ganzen Welt auf einer wundervoll großen Fläche, friedlich und miteinander, großartige Bilder malen.

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Zur Einweihung der Graffiti-Wand in Bostelbek fehlte auch Brozilla nicht (Foto: Brozilla)

TG: Stell Dir vor, die Fee lässt Dir einen Wunsch frei? Was dürfte es sein?

B: Ich finde eine herrschaftsfreie Welt, ohne Krieg und Gewalt im Einklang mit der Natur, wäre doch schon ein schöner Anfang (grinst)

Regional gedacht, hätte ich Lust eine Fassade im Harburger Binnenhafen zu gestalten …

Aktuelles immer auch auf seiner Homepage www.brozilla.org . [6]Kontakt möglich per Mail über brozilla(at)gmx

(22.12.2016, die Fragen stellte Heiko Langanke)

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