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Ort ohne Hoffnung

Von Birgit Riemann-Chudy

 

da buchen Menschen Reisen in luxuriöse Hotels

mit Voll oder Halbpension

und müssen sich über eventuelle Hungergefühle

nicht die geringsten Gedanken machen

im Gegenteil

sie werden nach Strich und Faden verwöhnt

und erlaben sich an den köstlichsten Speisen

die meisten von ihnen

kehren sogar mit ein paar Pfund mehr auf der Waage

wieder nach Hause zurück

denn

am Pool oder am Strand zu liegen

verbrennt keine Kalorien

da haben es die sehr sportlichen Urlauber

schon ein wenig schwerer

die müssen gut darauf achten

dass sie nicht an Gewicht verlieren und genügend essen

um ihr körperliches Wohl nicht zu gefährden

ein wenig Alkohol am Abend schadet auch nicht

um dem drohenden Kalorienverlust vorzubeugen

 

all diese Menschen

kehren nach ihrem Urlaub

sich mehr oder weniger freuend

in ihr sicheres Heim zurück

und umgeben sich wieder mit ihrem

ebenso mehr oder weniger geordneten Alltag

den sie verlassen haben

um ihrem Heim und ihrer Arbeit für eine Weile zu entfliehen

um einen Tapetenwechsel zu haben

und es sich woanders so richtig gut gehen zu lassen

welch ein Luxus

 

dann gibt es Menschen

die angsterfüllt

ihr mehr oder dann eben weniger sicheres Heim verlassen mussten

und durch die Gefährdung ihres eigenen

und des Lebens ihrer Angehörigen

gezwungen waren ihr Land zu verlassen

um woanders Schutz zu suchen

voller Hoffnung

auf ein ganz normales sicheres Leben

für sich und ihre Kinder

unter Aufgabe aller Dinge

die ihnen bekannt und vertraut waren

irgendwo anders

sie haben gar keinen Alltag mehr

und ihr Tapetenwechsel ist nicht freiwillig

eigentlich wollten sie ihr Heim gar nicht verlassen

aber sie sahen keinen anderen Ausweg aus ihrer Situation

sie zahlen oft sehr viel Geld für ihre Reise

um dann an einem Ort zu enden

an dem kein Mensch

allein oder mit seiner Familie

enden möchte

weil niemand sie in ihrer Not aufnehmen

und ihnen helfen möchte

 

ihre neue Behausung besteht aus Europaletten

und einer Plastikplane

dicht aneinander gestellten Zelten

oder prall gefüllten Containern

unter tief hängenden Stromkabeln

die nicht immer funktionieren

die Kinder spielen neben Müllbergen

und wärmen sich an brennendem Plastik

von fließend Wasser

einer eigenen Toilette

oder einer Heizung für ihren Container

träumen diese Menschen vergebens

sie streiten sich um das wenige Essen das da ist

es kommt sogar zu Messerstechereien mit Todesfolge

von diesem Ort gibt es so gut wie kein Entrinnen

die Menschen sitzen dort viel zu lange fest

und können an ihrer Lage nichts ändern

sie sind den komplett überforderten Behörden hilflos ausgeliefert

und erleben Unfälle, Brände und Tränengaseinsätze der Polizei

sogar die Kinder sind Opfer dieser Ereignisse

es fehlt den Menschen dort an den nötigsten Dingen

wie sauberem Wasser, Toiletten, Nahrungsmitteln,

einem warmen Schlafplatz

einem Ort der Ruhe

einem sicheren Ort zum Spielen für die Kinder

die ein Drittel der Campbevölkerung ausmachen

von medizinischer und psychologischer Versorgung ganz zu schweigen

 

unter diesen Kindern

macht sich nun ein Gefühl der Ohnmacht

und der Hoffnungslosigkeit breit

manche von ihnen reagieren mit einem totalen Rückzug in sich selbst

sie halten die Ungewissheit

und die Grausamkeiten der Erwachsenwelt

mit der sie willkürlich

immer wieder konfrontiert werden

der sie nicht entfliehen können

nicht mehr aus

sie verstehen diese Welt nicht mehr

die sie vergessen zu haben scheint

und die nicht bereit ist ihnen zu helfen

sie verzweifeln und resignieren

erst hören sie auf zu reden

dann hören sie auf zu essen

irgendwann liegen sie nur noch apathisch auf der Erde

ihre Eltern versuchen sie sauber zu halten

und ihnen irgendwie

ein wenig Essen einzuflößen

manche sterben

im Angesicht absoluter Hoffnungslosigkeit

geben sie auf

in solch einer Welt wollen sie nicht mehr leben

 

wie grausam muss diesen Kindern der Satz vorkommen

„Planungen…….zur Aufnahme minderjähriger Flüchtlinge

liegen zur Zeit nicht vor“

wie soll man ihnen diesen Satz erklären

wie soll man ihnen verständlich machen

dass es tatsächlich

verhältnismäßig reiche Menschen gibt

die ihnen einfach nicht helfen wollen

denn egal wie wir es drehen und wenden

erklären oder es vor uns selbst mit der Weigerung anderer rechtfertigen

Tatsache ist

dass die Länder Europas sich weigern

gemeinsam oder im Alleingang

Menschen

und vor allem

Kindern in Not

zu helfen

egal woher diese kommen

egal wo diese sich befinden

 

hat jedoch nicht jeder Mensch in Not

Anspruch auf Hilfe

und machen sich diejenigen

die ihm dieselbe verweigern

nicht unterlassener Hilfeleistung schuldig

wo bleibt der Aufschrei der Justiz

sowie der Bevölkerung mit Herz

diesen Menschen

und besonders den Kindern

in ihrer Not zu helfen

damit diese ihren Glauben an das Gute im Menschen nicht verlieren

und sich nicht selbst aufgeben

um in absoluter Hoffnungslosigkeit zu sterben

Birgit Riemann-Chudy ist Mitglied der Schreibwerkstatt Harburg, die sich regelmäßig und unter Leitung von Kerstin Biederstedt im Kulturverein „Alles wird schön e.V.“ Heimfeld trifft.

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