Die in Heimfeld lebende Autorin Gisela Baudy vor der SuedLese im Gespräch:

„An Traumata muss man nicht scheitern“

Gibt bei der SuedLese Tonsplitter und Wortstoppeln zum Besten: Gisela Baudy (Foto: Klaus von Hollen)

Während für viele Lyrik Ausdruck von Schönem und Geborgenheit ist, denkt Gisela Baudy an Isolation und Trauma. Das wirft Fragen auf, die wir ihr stellen …

 

Tiefgang (TG): Gisela, Ende 2016 ist dein literarisches Erstlingswerk mit dem klangvollen Titel „Tonspuren – Lyrisches Tagebuch“ erschienen. Worum geht es darin?

Gisela Baudy: Im Mittelpunkt steht eine junge Frau namens Clarissa, die schreibend einen Weg aus der inneren Isolation hin zu einem lebendigen Du sucht. Aber der Weg ist nicht geradlinig. Er führt nach schmerzhaften Kindheitserinnerungen über eine scheiternde Liebesbeziehung zunächst in ein noch tieferes seelisches Aus. Doch am Ende des Tunnels öffnen sich für Clarissa Wege zu einem geerdeten Leben, zum Du und zu einer nie gekannten seelischen Weite aus Horizont und Vogelflug.

TG: Warum dieser Titel?

Baudy: Zunächst meint „Tonspuren“ als Begriff ganz profan die Spuren auf einem Tonträger. In der übertragenen Form erinnert er aber an Töne, die von weither im eigenen Innern angeschlagen werden. Ich benutze den Begriff Tonspur ebenfalls doppelt: als Grundton, der in der eigenen Seele in einem bestimmten Lebensabschnitt angeschlagen wird, und als Buchkapitel, das jeweils diese leisen bis schrillen Seelentöne einfangen und beherbergen möchte.

TG: Auf dem Buchcover sind aber Tonscherben zu sehen …

Baudy: Richtig. Ich benutze den Begriff „Tonspuren“ bewusst mehrdeutig. Denn aus Ton kann auch zum Beispiel eine Schale bestehen. Tonschalen können, mit Wasser gefüllt, einen heilsamen Ton erzeugen, sie können aber auch beim Hinfallen brechen. Und noch mehr: Tonsplitter sind immer auch Fugen, durch die hindurch sich Keimlinge ein Weg ins Licht bahnen können. Die Protagonistin Clarissa ist alles: eine Zerbrochene und eine Aufbrechende.

TG: In „Tonspuren“ vermischen sich also verschiedene Wahrnehmungsarten wie Bild, Ton und Wort. Sind diese Synästhesien typisch für dein ganzes lyrisches Werk? Ich denke da zum Beispiel an das gleichsam hingekratzte, scharfkantige Gedicht „Wortspitzen“: „Worte / scharf umrandet / glatt / Münzen / auf der Zunge. // Der Fährmann kassiert / und fährt dich heim.“

Baudy: Es gibt gewisse Stimmen, die so reden. Aber jeder hat seine eigene Wahrnehmung, und das ist gut so.

TG: Deine Texte sind für Gedichte und Tagebuchnotizen ungewöhnlich kurz. Wie kommt das?

Baudy: Tonsplitter oder Wortstoppeln wäre für meine Texte der treffendere Ausdruck. Denn Clarissas Seele stottert. Das zeigt sich natürlich auch in ihrer Sprache, die innere Töne nur bruchstückartig festhalten kann.

TG: Hast du literarische Vorbilder?

Baudy: Ich lese gerne Autorinnen und Autoren wie Rainer Maria Rilke, Rose Ausländer, Gottfried Benn, Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Karl Krolow, Reiner Kunze, Erich Fried oder Hans Magnus Enzensberger, aber auch relativ unbekannte zeitgenössische Lyriker wie den Schweizer Autor Fred Stäheli, mit dem ich in Zürich Germanistik studierte, oder die Dichter Angelica Seithe und Nobert Mieck, die ich erst kürzlich für mich entdeckt habe.

TG: Wie lange hast du an deinem Gedichtband gearbeitet?

Baudy: Mit Unterbrechungen an die vier Jahre. Aber ich habe schon früher meine Tagebuchaufzeichnungen nach Textstellen und Gedichten durchforstet und immer wieder zu neuen Themen zusammengestellt. Die Texte selbst gehen bis in meine Studienjahre in Zürich zurück. Inzwischen haben aber viele davon einige Bearbeitungsstufen hinter sich.

Lebensreise des lyrischen Ichs in zehn „Tonspuren“

TG: Und wann entstand der Buchtitel? Es gibt ja inzwischen so einige Bücher mit diesem Titel auf dem Markt.

Baudy: Ja leider – wie so vieles, das plötzlich eine Inflation erlebt. Dabei kam mir der Titel „Tonspuren“ schon viele Jahre früher beim Wiederlesen und Neubearbeiten meiner Texte in den Sinn. Als ich ihn dann später im Internet fand, wollte ich ihn wegen seiner spezifischen Symbolik für mein Buch dennoch beibehalten und erweiterte ihn zu „Tonspuren – Lyrisches Tagebuch“.

TG: Lyrikbände sind oftmals Sammlungen von Gedichten, die in scheinbar beliebiger Reihenfolge abgedruckt oder − seltener − thematisch angeordnet sind. Wie sieht es mit deinen Tonspuren aus?

Baudy: Meine Tagebuchaufzeichnungen und Gedichte zeichnen chronologisch die Lebensreise des lyrischen Ichs in zehn „Tonspuren“, sprich Kapiteln nach. Die Ordnung der Kapitel und der einzelnen Textsplitter innerhalb eines Kapitels ergeben sich aus der Geschichte selbst.

TG: Was möchtest du deiner Leserschaft mit „Tonspuren“ auf den Weg geben?

Baudy: Lass es mich mit meinem Gedicht „Lebensreise“ sagen: „Werden / der du warst / bevor die Flügel brachen. // Werden / der du bist / trotz Flügelbruch.“

Mit anderen Worten: Traumata gehören zum Leben. Aber: Du musst an ihnen nicht scheitern. Du kannst mit ihnen auch leben lernen.

TG: Karl Valentin hat mal gesagt: „Kunst ist schön. Macht aber viel Arbeit. „. Warum schreibst du?

Baudy: Darf ich wieder mit meinem Gedicht „Wenn es gelingt“ antworten?

 „In jedem gelungenen Gedicht / klopft ein Herz / für die Gesundung eines Herzens. // Arbeit Erde / für das Gelingen / einer bewohnbaren Erde.“

Meine Gedichte wollen Gegenwart (er-) lebbar machen. Sie wollen da und dabei sein. Und sie sind auf der Suche nach Weggenossen, die die Erde etwas wohnlicher machen.

Schade nur, dass sie viel Arbeit machen, aber keine auskömmlichen Erträge einbringen. Ich zitiere hier nur Walter Moers, wenn er schreibt: „Schreiben ist der verzweifelte Versuch, der Einsamkeit etwas Würde abzugewinnen – und etwas Geld!“ (Aus: „Die Stadt der Träumenden“)

TG: Womit verdienst du denn dein Brot?

Baudy: Ich arbeite als freie Journalistin und Online-Redakteurin für einen kleinen gemeinnützigen Verein zu den verschiedenen Themen Umwelt- und Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, Bildung und verwandte Themen. Aber: Das (nicht freiwillige) Leben als Freie ist nicht gerade einfach.

TG: Gibt es noch andere literarische Publikationen von dir?

Baudy: Im Bereich Lyrik veröffentliche ich noch nicht lange. Seit 2014 sind in literarischen Anthologien und Zeitschriften einige meiner Gedichte erschienen. Ansonsten habe ich noch Glossen für Zeitungen geschrieben.

TG: Du bist bei der Schreibwerkstatt Harburg. Warum?

Baudy: In der Schreibwerkstatt suche ich einen inneren Freiraum und die Motivation für kreatives Schaffen, das sich im Alltag nur allzu leicht verschüttet. Auch fasziniert es mich immer wieder, wie die Leiterin Kerstin Brockmann vorgelesene Texte professionell analysiert, besonders Gelungenes hervorhebt und mögliche Schwachstellen schnell erkennt. Und es tut gut zu sehen, dass sie bei aller Analyse und konstruktiver Kritik die Autoren immer aufzubauen versteht.

TG: Du liest am 21. März 2017 in der Gemeinschaftslesung „Begegnungen“ aus deinem Gedichtband zum Thema „Vogelschrift“. Was hat es damit auf sich?

Baudy: Das Bild des Vogelflugs durchzieht alle meine Kapitel und scheint mir das Thema „Begegnung“ symbolisch am besten aufzunehmen. Denn Vögel fliegen nicht einfach, sie beschriften mit ihrem Flug den Himmel und bringen etwas Lyrik und Gegenwart in den tristen Alltag. Lass dich überraschen.

TG: Zuletzt noch ein Spruch: Die Katze lässt das Mausen nicht. Wie sieht’s bei dir aus: Planst du schon dein nächstes literarisches Werk?

Baudy: In Zukunft würde ich mich gerne weiteren Themen zuwenden. Ich denke neben allgemein Menschlichem auch an Umwelt- und soziale Themen. Vielleicht probiere ich auch mal andere literarische Formen aus. Aber das ist noch Zukunftsmusik. Denn der (Berufs-) Alltag ist gefräßig. Er lässt der Kreativität wenig Spielraum.

TG: Wenn ich das mal in meine eigenen Worten fassen darf: Kunst kommt nach Brot.

Baudy: Ja, ganz genau.

TG: Ich danke dir für das Gespräch.

 

Gisela Baudy ist Mitglied der Schreibwerkstatt Harburg, die mit der Gemeinschaftslesung „Begegnungen“ am 21. März 2017 ab 19:30 Uhr bei „Alles wird schön“, Friedrich-Naumann-Straße 27 die SuedLese-Literaturtage eröffnen wird. Die Autorin stellt einige Kostproben aus ihrem Buch vor.

Gisela Baudy – Tonspuren – Lyrisches Tagebuch, Verlag Stimme fürs Leben e.U., Wien 2016. Printausgabe: ISBN 978-3-903032-08-8 (188 Seiten). Mit Fotos von Gisela und Chris Baudy. Preis: 19,90 Euro (E-Book 9,90 Euro). Zu bestellen u. a. im Online-Shop des Verlages, bei www.buchhandel.de oder über die kostenlose Hotline der Buchhandlung Osiander 0800 9201 300.

Siehe auch die Besprechung hier bei ´Tiefgang`.

(28. Feb. 2917, das Gespräch führte Christian Baudy, freier Autor, Online-Redakteur und Mitglied der Schreibwerkstatt Harburg)

 

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