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„Dieses Nichtdürfen, das ist so schlimm!“

In der Gruppe „Corona Portraits“ haben Menschen aus Süderlebe die Pandemie mit Pinsel und Farbe aufgegriffen. Auch kreativen Schreibimpulsen wurde gefolgt. Die Gruppe präsentiert einige ihrer Werke in Tiefgang.

von Ulrike Hinrichs

Die Welt ist eine andere geworden. Nach zwei Jahren Pandemie hat sich in unserem persönlichen wie kollektivem Umfeld vieles verändert. Im Kulturhaus Süderelbe haben sich seit September 2021 ganz unterschiedliche Menschen getroffen, um ihren Ängsten, Wünschen, Sorgen und auch neuen Ideen kreativ zu begegnen (siehe dazu Corona Portraits „es brennt“ [1]).

Ursula 89 Jahre lebt in einer Seniorenresidenz in Harburg.

Vor langer Zeit waren mir Wörter geläufig mit „VOR“.

Vorkriegsware Vorkriegsliteratur, Vorkriegsfilme usw.

Dann kamen die Wörter mit „NACH“.

Nachkriegsgefühle, Nachkriegshunger, Nachkriegsberufe,

Nachkriegsschlager Nachkriegsunterricht usw.

 

Jetzt heißt es Vorpandemie und Nachpandemie.

Bis jetzt gibt es nur Vorpandemie. Man spricht nicht von Vorpandemie, man denkt nur…. Ja, vor der Pandemie, als wir noch in die Ferien fahren konnten, abends an der Elbe sitzen mit einem Haufen Freunde, Bierflaschen und schnacken, schnacken, dann vielleicht noch in den Club.

Das trifft auf die Youngsters zu. Ich sitze weder an der Elbe noch in der Disco, ich sitze im Rollstuhl in meinem Zimmer in der Seniorenresidenz, allein. Gehe ich aus meinem Zimmer hinaus, binde ich die  Nasen- und Mundschutzmaske um. Ein großes Schild erinnert mich daran „ACHTUNG, schützen Sie sich und andere“.

Es hat etwas Gespenstisches, wenn man auf den leeren Flur tritt. Alles ist so still, kein Mensch, kein Laut. Ich hol mir eine Flasche Wasser und husche in mein Zimmer, zurück in die Einsamkeit.

Das ist schon merkwürdig. Die Situation ist eigentlich nicht anders als sonst. Ich bin auch sonst viel allein im Zimmer. Ich bin es gern, weil ich mich so viel beschäftige. Lesen, TV, PC, Handy – dauernd Kontakt zu meinen Leuten draußen.

Aber jetzt habe ich ein starkes Gefühl von Einsamkeit, Depression. Ich darf mich nicht in meinen E-Rolli setzen und nach draußen fahren. Denn die Corona-Zahlen sind so stark angestiegen, dass man sich erst einmal vorsehen sollte, distanzieren von den Menschen. Mir leuchtet die Notwendigkeit ein und trotzdem fällt mir die Zurückhaltung schwer.

Heute scheint die Sonne, normalerweise wäre ich über den Schwarzenberg gefahren. Ich darf es nicht tun. Das macht mir das Problem. Dieses Nichtdürfen, das ist so schlimm. Da nützt auch der Gedanke nicht, dass es wieder vorbeigeht, die Quarantäne. Das wäre mit einer Psychologin zu besprechen, aber wir haben keine. Erstens.

Zweitens, keine Menschenansammlung mehr als sieben Personen.

Ehrlich gesprochen, ich hätte gern statt Wasser eine Flasche Wein. Guten Weißwein, aber auch die ist irgendwann leer, ja und dann?

Alles beim Alten.

Wir alle müssen durchhalten.

Bis wann ?

Ja bis die Zahlen wieder sinken.

Hoffentlich schreibt mir jemand eine nette Email. Das tröstet für eine Weile.

 

Projektleitung Ulrike Hinrichs – Das Projekt wird gefördert durch das Bezirksamt Harburg.

 

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