Kunst als evolutionärer Jackpot

Gespräch mit einem Schwein Collage - Ulrike Hinrichs

Kunst ist etwas zutiefst Menschliches. Kunst und Kultur sind für den Menschen lebenswichtig, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.

von Ulrike Hinrichs

Ein „Gespräch mit einem Schwein“, wie die Collage betitelt ist oder auch ein Theaterstück lauten könnte, erscheint aus der Sicht unseres mechanistisch-materialistischen Weltbildes erstmal ein kreativer, aber völlig sinnloser Ausdruck zu sein. Seit der Aufklärung und Industrialisierung entwickelte sich die Idee, dass alles Lebendige vom Grundprinzip wie eine Maschine funktioniert. Der kreative Ausdruck ist aus der Perspektive eines solchen Weltbildes eine nette Beschäftigung, auf die man aber auch verzichten kann.

Aber ist das wirklich so? Was bedeutet die Kunst für den Menschen und seine Gemeinschaften? In der lebendigen Natur hat alles einen natürlichen Sinn, nichts passiert einfach nur so. Das bestätigt auch der Journalist Dirk Steffens einem Video zu „Corona und die Kunst“, in dem er die Bedeutung von Kunst und Kultur aus  naturwissenschaftlicher Sicht erläutert. Dabei verweist Steffens u.a. auf die besondere Rolle der Kunst und Kultur als verbindendes Element für Gemeinschaften und auf die Kraft der Imagination als menschliches Werkzeug.

Der Professor für Psychologie Fred Mast geht in seinem neuem Buch „Black Mamba oder die Macht der Imagination“ auf diesen Gesichtspunkt vertiefend ein. Kunst als Ausdruck unserer Fähigkeit zur Imagination mache den Mensch erst zum Menschen, beschreibt er. „Mithilfe der Imagination planen wir unsere Zukunft und können in mentalen Simulationen mögliche Wirklichkeiten erproben oder von entrückten Welten träumen. Die Macht der Imagination ist ein evolutionärer Jackpot, unsere Wahrnehmung ist der Schlüssel zu ihrem Verständnis“, so Mast.

Mittels der Imagination können wir Zukünftiges antizipieren und Unbekanntes sichtbar machen. Die Kunst ist ein Lösungsmotor für Probleme, die auf herkömmliche Weise nicht mehr gelöst werden können, weil die Welt eine ganz andere geworden ist. Wir blicken in eine unbekannte Zukunft. Altbekannte Problemlösungsstrategien sind überholt. Sie wirken nicht mehr. Papier und Stift sind schlauer als wir, beschreibt es der Illusionist und Künstler Tobias Dostal. Die Kunst ist eine Form einer Sprache der intuitiven, ahnenden und fühlenden Seite in uns (Kunst ist wildes Denken).

Aus meiner Sicht wird immer noch unterschätzt, welche Erkenntnis dies für den Bereich ganzer Gesellschaften haben kann. Kunst ist ein evolutionärer Vorteil. Die künstlerische Intelligenz etwa ist in vielen Bereichen schneller und schlauer als das menschliche Gehirn. Diese Entwicklung wird sich noch fortsetzen. Aber künstliche Intelligenz kann keine Kunstwerke oder Musikstücke komponieren. Dafür muss man fühlen, Fehler machen und sich tief mit der Welt verbinden können. Und vor allem muss man Schöpfen können, ohne Leistung und Zielvorgaben. Kunst ist eine Ausdrucksform, die daher im gesellschaftspolitischen Dialog noch sehr viel mehr als kreativer Lösungsmotor Beachtung finden sollte. Kunst kann Probleme unmittelbar sichtbar machen und gleichzeitig Lösungen andeuten. Sie kann ohne Worte auch kollektive Traumata heilen (siehe etwas das Kunstprojekt „Kriegskinder“). Kunst kann auch Mitgefühl schaffen. Kunst ist eine Sprache, die viel tiefer geht, uns unmittelbar im Inneren berührt, aufkeimende Probleme frühzeitig andeutet und Lösungen bereithält.

Literatur

  • Dostal, Tobias podcasts
  • Hinrichs, Ulrike (2019). Kunst als Sprache der Intuition. Der holografische Ansatz in der Kunsttherapie und kunstanalogen Transformationsprozessen. Synergia.
  • Mast, Fred (2020, S. 9). Black Mamba oder die Macht der Imagination. Freiburg im Breisgau: Herder.

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