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Eine Reise zu sich selbst

Die schwarzen Schwäne der Schwarzen Berge. So der Titel des Märchenabends, der im Rahmen der 3. SuedLese am 20. April um 20h im  Striepensaal zu hören ist. Und gar nicht mal für Kinder …

Ein Feensohn verwandelt sich durch Selbstbespiegelung versehentlich in einen schwarzen Schwan und fliegt seiner Frau davon. Sie ist untröstlich, obwohl die besten Unterhaltungskünstler aufgeboten werden, sie zu erfreuen. Einem Tagelöhner, den wir am Straßenrand übersehen würden, fällt die rettende Lösung zu. Solche Märchen sind ein typischer Fall von Jörn-Uwe Wulf.

Er ist ein Geschichtenerzähler, der seine Passion zum  Beruf machte und fortan durch die Lande zog, um Menschen Botschaften zu überbringen, sie nachdenklich zu  stimmen und auch zu erheitern. Was er zu erzählen weiß, hat Tiefgang.

Eines Tages trug es sich zu, dass das Online-Feuilleton von der Initiative SuedKultur bei ihm anklopfte, um ihm sieben Fragen zu stellen.

Tiefgang: Märchen üben bis heute eine große Faszination aus. Mir persönlich bedeutete es sehr viel, dem Klang der Stimme meiner Oma zu lauschen. Inhaltlich fand ich es jedoch eher furchteinflößend mit all den schrecklichen Stiefmüttern, bösen Wolfen, Hexen usw.

Geht es bei Ihnen auch um schöne Prinzen und Prinzessinnen, die sich irgendwann kriegen und noch leben, wenn sie nicht gestorben sind? Oder möchten Sie andere Inhalte vermitteln?

Wulf: Klar geht es auch um Prinzessinnen und Prinzen in meinen Märchen! Die werden aber nicht mehr ungefragt genommen, sondern nehmen und lassen sich nehmen, wenn´s gefällt und vorzugsweise kreuzweise.

TG: Wie reagiert Ihr Publikum in der Regel am Ende? Gibt es anschließend einen Austausch, weil die Menschen über das Gehörte sprechen wollen?

Wulf: Das Publikum ist still und lächelt. Seltsamerweise sind meine Hörer und Hörerinnen am Ende meiner Erzählungen eher mit sich selbst beschäftigt und damit, das Vernommene in sich zu organisieren.

TG: Sollten Geschichten aus Ihrer Sicht möglichst gut ausgehen? Und wenn ja, warum?

 Wulf: Kinder hören mit allen Sinnen zu. Sie hören ein Wort und in ihm schwingt eine große Erlebnisweite mit. Der Matsch im Märchen erzeugt Wonnegrusel, Gefühl von Feuchte, Kälte, Weiche, aber auch Duft, Geschmeidigkeit und was weiß ich. Das Kind erlebt diese Qualitäten oft direkt und auf der Basis seiner bisherigen Lebenserfahrungen, in erster Linie sinnenhaft. Ich möchte Kinder stärken und zu eigenen Erfahrungen und Reflektionen ermutigen.

Heldinnen und Helden, die erkennen, was gut und schlecht ist, Protagonisten, die Krisen meistern und Mitleid mit Schwächeren haben, zeigen kleinen Menschen, dass es sich lohnt für das Gute zu kämpfen. Das lerne ich am Vorbild. Also haben meine Märchen für kleine Menschen immer gute Enden.

Erwachsene hören mit Verstand zu. Das Kind, das man war, ist nach innen gewandelt. Alles, was mensch als Kind erlebt hat, ist noch da, nicht mehr bewusst, aber als Erfahrensmöglichkeit vielleicht abrufbar. Gleichzeitig weiß ein großer Mensch, dass nicht immer alles für alle gut ausgeht. Um Erwachsene mit meinen Texten zu überzeugen, braucht es Brüche, Missverhältnisse, offene Enden.

TG: Wie finden Sie Ihre Themen? Aus welchen Quellen schöpfen Sie?

Wulf: Wochenpresse, das Netz, populärwissenschaftliche Bücher, Diskussionen mit Freunden, Filme, Gespräche mit Nachbarn, Comics, Science-Fiction Romane, Dösen über den Sinn des Lebens, Krimis, Begegnungen im öffentlichen Nahverkehr, Ausstellungen, unsere tausend Märchenbücher, das Harfenspiel und der intensive Austausch mit meiner Frau speisen meine Inspiration.

TG: Hatten Sie als Kind eine Lieblingsgeschichte? Wenn ja, welche und warum?

Wulf: Ich erinnere mich nicht.

TG: Tieren und Figuren kommt in Geschichten oft eine metaphorische Bedeutung zu. Hat das etwas mit Schubladendenken zu tun oder dient es nur der Veranschaulichung?

Wulf:  Märchen bestehen aus aneinandergereihten Bildern. Ein Bild hat nie nur eine Bedeutung – glaube ich, jedenfalls habe ich bisher immer viele Bedeutungen entdeckt. So kann ein Esel stur sein, aber auch stark, grau und musikalisch. Rote Kappen können auf ein junges Blut hinweisen, allerdings sollen manche Zwerge sie auch tragen. Rot ist manchmal Blut und manchmal erdbeerig, kann appetitlich wirken oder Gefahr bedeuten.

Ein Wolf kann ein Zeichen für Stärke und Freundschaft sein, ein Totemtier, aber auch ein gruseliger Reißer, Verschlinger.

Gerne mal an der Harfe aktiv … (Foto: PR)

Das bedeutet auf Ihre Frage hin, die Schubladen springen dauernd auf, verziehen sich, lassen sich nicht schließen. Schubladen sind zu starr für Märchenbilder. Eigentlich sind die Figuren, Tiere, Bilder in meinen Geschichten Wegmarken auf dem Pfad der Märchenheldinnen und -helden.

Im Volksmärchen, nur die interessieren mich (das sind die Märchen, deren AutorInnen man nicht mehr kennt und die immer weiter erzählt wurden), im Volksmärchen dienen Tiere, Figuren, Landschaften immer der Handlung. Sie haben selten eine fest gemeinte Bedeutung. Ein Sinn erschließt sich durch Betrachtung des Bildes, aber auch nicht immer und sofort und außerdem kann sich die Bedeutung mit den Jahren verändern. Das macht Märchen so wundervoll, schillernd und nahrhaft. Gleichzeitig werden Märchen dadurch zeitlos, in vielen Lebensphasen genießbar, denn unser Verstehen entwickelt sich.

TG: Wie sind Ihre Erfahrungen? Erreicht man das Publikum eher über die Emotionen oder über den Intellekt inklusive Humor? Was kommt aus Ihrer Sicht besser bei den Menschen an?

Wulf: Die Frage ist verführerisch. Sie führt irre. Erzählen, so wie ich es ausübe, bedeutet für die Hörerschaft, eine Reise zu sich selbst zu machen. Wir reisen in Seelenwelten und ich bin der Reiseführer. Jede Hörerin und jeder Hörer ist mit seinen/ihren eigenen Bildern und Erfahrungen und Lebensmustern dabei. Wenn wir die Vorstellungen des Auditoriums sichtbar machen könnten, würden wir entdecken, dass jede/r im eigenen Film sitzt. Das heißt für mich, ich halte mich zurück, um den Menschen das zu ermöglichen. Sie genießen es in meinen Veranstaltungen, selber zu fühlen und zu denken. Die Hörer erreichen sich selbst.

Ich genieße wichtigste, tiefe Gedanken gerne leicht serviert.

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Geschafft! Der gescheite Geschichtenerzähler Wulf fand auf alle Fragen eine vielsagende Antwort. Das wurde festlich gefeiert und veröffentlicht, damit ein jeder weiß, dass man ihm bald selber lauschen kann. Am Freitag, den 20.04. um 20 Uhr im Striepensaal. Ein Programm von Pro Quartier. Dort erzählt er, der auch Harfe spielen kann, auf der Basis eines brasilianischen Zaubermärchens eine romantische Geschichte mit Einsprengseln aus Russland, Griechenland und Usbekistan.

Weitere Infos unter: www.maerchenraum.de [1]

Das Interview für „Tiefgang“ führte Sonja Alphonso.

Die 3. SuedLese – die Literaturtage im Süderelbe-Raum – findet vom 1. bis 30. April 2018 an unterschiedlichen Orten und mit jeder Art literarischem Gerne vorwiegend lokaler Autor*innen statt und ist initiiert von der freien Initiative SuedKultur. Ausführliche Programmhefte finden Sie an etlichen Kulturorten im Süderelbe-Raum oder als download unter www.sued-kultur.de.

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