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Posttraumatisches Wachstum entdecken

Traumatische Erlebnisse können zu posttraumatischen Belastungsstörungen führen. Häufig wirken die schlimmen Erlebnisse ein Leben lang fort. Weniger bekannt ist, dass in der Forschung auch positive Traumafolgen beobachtet werden.

von Ulrike Hinrichs

Trauma beschreibt ein Erleben eines für den Betroffenen überwältigenden Ereignisses. Traumatische Ereignisse bedrohen die Unversehrtheit oder sogar das Leben des Menschen. Sie versetzen den Betroffenen in extreme Angst und Hilflosigkeit. Und sie sind so außergewöhnlich, dass normale Anpassungs- und Bewältigungsstrategien versagen. Bei den Traumafolgestörungen unterscheidet man einmalige bzw. einzelne Ereignisse wie Unfälle oder Naturkatastrophen (Typ I Trauma). Erleidet jemand andauernde oder sich wiederholende traumatische Erlebnisse, wie Folter, Missbrauch, Vernachlässigung und andere durch Menschenhand verursachte Traumata, ziehen sie oft tiefgreifende psychische Probleme nach sich (Typ II Traumata).

Die ganz neu gefasste ICD-11, die 11. Version der internationalen statistischen Klassifikation von Krankheiten definiert nunmehr diese zwei Trauma-Typen. Die Traumafolgestörungen sind vielfältig. Eine dauerhaft hohe Stressbelastung, Übererregbarkeit, innere Erstarrung, Depressionen, Schlafstörungen und Müdigkeit, Dissoziation, „Flash- Backs“ und Immobilität sind nur einige davon.

Kann man an einem Traumata auch wachsen? Damit haben sich die Professoren für Psychologie Richard G. Tedeschi [1] und Lawrence G. Calhoun [2] beschäftigt, die den Begriff des posttraumatischen Wachstum geprägt haben. Unter der Perspektive des posttraumatischen Wachstums wird nicht nur auf die Defizite fokussiert, sondern auch auf den durch die Erfahrung ausgelösten Reifungsprozess. Es zeigt sich, dass durch das Bewusstwerden der eigenen Verletzlichkeit auch das Gefühl der inneren Stärke wachsen kann. Viele Betroffene erleben nach traumatischen Erfahrungen eine Intensivierung der Wertschätzung für das Leben und Beziehungen. Die Prioritäten und Perspektiven ändern sich. Kleine, alltägliche Dinge gewinnen an Bedeutung. Materielle Dinge verlieren an Wert. Eine Reflexion über den Lebenssinn und eine spirituellen Verbundenheit mit dem größeren Ganzen führt zu mehr Tiefe und Zufriedenheit im Leben.

Je größer und anhaltender die traumatische Erfahrung war, desto schwierig kann es sein, ein Trauma auch anzunehmen und zu integrieren. Eine Aktivierung der inneren Ressourcen mit künstlerischen Mitteln kann diesen Prozess unterstützen. Betroffene können sich aus der Enge befreien, Schutzräume gestalten und Lebenskraft entwickeln. Der künstlerische Ausdruck, der ohne Worte Unaussprechliches zeigen kann, bildet eine Brücke zur Trauma-Bewältigung und zum posttraumatischen Wachstum. In meiner Arbeit mit Geflüchteten oder auch meiner Gruppe für Frauen mit Gewalterfahrungen kann ich diese Wachstumspotentiale immer wieder mitverfolgen. Es ist ein langer Prozess, der einen vielleicht auch lebenslang begleitet. Aber es lohnt sich. Ich weiß wovon ich spreche. Lies dazu gern auch meine Geschichte Wenn der Körper sich abschaltet, Guillain Barré Syndrom [3]. Den Baum im Header habe ich im Jahre 1981 nach meinem Locked in Syndrom gemalt.

Ulrike Hinrichs ist Kunsttherapeutin (M.A.), Heilpraktikerin für Psychotherapie, Traumazentrierte Fachberaterin und ausgebildet in Positiver Psychologie. Sie ist auch Autorin des Fachbuches Kunst als Sprache der Intuition [4]

www.lösungskunst.com [5]

 

 

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