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Versammlungsfreiheit

Eine „Schönwetterdemokratie“ kann jeder. In der aktuellen Corona-Krise zeigt sich, ob wir unsere Demokratie auch aushalten und verteidigen, wenn es weh tut. Und das sollten wir!

Von Ulrike Hinrichs

Am 1. August 2020 kam es in Berlin zu einer Demonstration, bei der wieder einmal Menschen gegen die aktuellen Corona-Maßnahmen demonstrierten. Ohne Masken, dicht gedrängelt. Anlässlich der Demonstration wurde mir in einem facebook Beitrag mitgeteilt, dass das Grundrecht in solchen Situationen aber „gefährlich“ sei. Ich habe so eine Ahnung, dass aufgrund der sich zuspitzenden Polarisierung in unserer Gesellschaft viele Menschen so denken. Das bereitet mir Sorge.

Als ehemalige Anwältin und großer Fan unserer Verfassung fühle ich mich daher berufen, über unsere Grundrechte aufzuklären (siehe auch ´Tiefgang` „Widerstand zwecklos“ [1]) und „Menschenwürde nicht Menschenwert“ [2])

Um es vorweg zu nehmen, den Anlass der „Anti-Corona-Demonstration“ in Berlin teile ich nicht. Ich hege keine Sympathien für Verschwörungstheoretiker und rechte Parolen. Auch vermeintliche Freiheitskämpfer, die bei den aktuellen AHA-Regeln (Alltagsmaske, Hygiene, Abstand)  ihre Freiheitsrechte eingeschränkt sehen, verleiten mich zu einem verständnislosen Kopfschütteln. Gleiches gilt für Impfgegner, die gegen eine Impfpflicht demonstrieren, die es gar nicht gibt. Und alle die, die sich von Extremen nicht distanzieren, kann ich im politischen Diskurs auch nicht ernst nehmen.

Aber auch solche Prostete müssen wir in einer Demokratie aushalten. Es gibt nicht nur ein Demonstrationsrecht für die Leute, deren Meinung wir teilen. Demokratie ist manchmal anstrengend, weil sie Freiheit gibt. Solange der gesellschaftspolitische Diskurs nicht in Schiefläge gerät, scheint das allgemein akzeptiert zu sein.

Ob und wie eine Demokratie funktioniert, zeigt sich aber erst dann, wenn es schwierig wird. Daran erinnern uns etwa unschöne Einschränkungen von Verteidigerrechten in den 1970er Jahren zu Zeiten der RAF oder Beschränkungen der Demonstrationsfreiheit im Rahmen der „Anti-Atomkraft-Bewegung“ in den 1980er Jahren.

Gerade dann, wenn es schwierig wird, müssen wir die demokratischen Grundwerte hochhalten, nicht in Frage stellen. Wir müssen zusammenhalten, aushalten und gegenhalten, mit Argumenten, nicht mit der Idee von Einschränkungen der demokratischen Grundwerte.

Die Versammlungsfreiheit (Art 8 GG) ist eine der obersten Grundwerte unserer Verfassung. Gepaart mit unserer Meinungsfreiheit (Art 5 GG) ist das Recht zur Demonstration neben der politischen Wahl das Mittel der Bürger*innen sich am gesellschaftspolitischen Diskurs zu beteiligen. Der Brokdorf-Beschluss aus dem Jahre 1985 ist die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der Versammlungsfreiheit.

„Das Recht des Bürgers, durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungsbildungsprozess und Willensbildungsprozess teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens. Diese grundlegende Bedeutung des Freiheitsrechts ist vom Gesetzgeber beim Erlass grundrechtsbeschränkender Vorschriften sowie bei deren Auslegung und Anwendung durch Behörden und Gerichte zu beachten“, so das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 69, 315).

Demonstrationen sind daher eine Art Fundament unserer Verfassung. Deshalb müssen sie zugelassen werden, während etwa Großveranstaltungen abgesagt werden. Das Versammlungsgesetz regelt im Einzelnen, wie Demonstrationen durchgeführt werden dürfen. Sie müssen in der Regel vor angemeldet werden und können – wie etwa gerade in Corona Zeiten – mit Auflagen versehen werden. Bei Verstoß gegen diese Auflagen oder strafbaren Handlungen darf die Polizei eine Demonstration auflösen. Wegen solcher Verstöße wurde die Demonstration in Berlin aufgelöst. Es gibt Ermittlungen gegen die Veranstalter. Alles wie es sich in einem Rechtsstaat gehört.

Also, Ruhe bewahren und mit guten Argumenten gegenhalten!

 

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