Die Hamburger Südsee-Expedition brachte zwischen 1908 und 1910 umfangreiche Sammlungen aus deutschen Kolonialgebieten nach Hamburg. Was es damit auf sich hat, wird nun gründlich untersucht …
Das zweijährige Provenienzforschungsprojekt untersucht ihre Erwerbsumstände im kolonialen Kontext während der ersten von zwei Expeditionsreisen und widmet sich dem Zusammenwirken von Wissenschaft, Wirtschaft und Kolonialmacht. Das Projekt findet in Zusammenarbeit mit Partner:innen in Papua-Neuguinea und der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung statt. Es wird vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert.
Barbara Plankensteiner, Direktorin MARKK: „Die Südsee-Expedition war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eines der größten wissenschaftlichen Projekte Hamburgs und verfolgte klare koloniale und wirtschaftliche Ziele. Eine Analyse der Unrechtskontexte von Sammeltätigkeiten und Datenerhebungen, die im Rahmen dieses Vorhabens stattfanden, ist eine Grundvoraussetzung, um gemeinsam mit Vertreter:innen der Nachfolgegesellschaften über den zukünftigen Umgang mit diesem Bestand in Austausch zu treten. Wir freuen uns sehr, dass uns die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung und das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste dabei unterstützen, in einem ersten Schritt die Aufarbeitung dieses kolonialen Erbes anzugehen, dem sicher weitere Schritte folgen werden.“
Die erste Reise der Hamburger Südsee-Expedition 1908/1909:
Kolonialer Erwerbungskontext der ethnografischen Sammlungen
Auf der Hamburger Südsee-Expedition wurden mehr als 12.000 Objekte, davon ca. die Hälfte im ersten Jahr, eine Vielzahl von Feldnotizen sowie an die 1.700 Fotografien und Skizzen angehäuft. Darüber hinaus entstand ein in 30 Bänden publizierter Ergebnisbericht. Die Reise fand in Kooperation der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung und dem ehemaligen Museum für Völkerkunde Hamburg, dem heutigen MARKK, statt. In einem ersten Schritt widmet sich die Forschung der Quellenlage, um die Kontexte der im Reisejahr 1908/09 im Bismarck-Archipel und in Neuguinea angelegten ethnografischen Sammlungen auszuleuchten. Diese Rekonstruktion basierend auf kolonialzeitlichen Quellen wird im zweiten Schritt zusammen mit Partner:innen aus Papua-Neuguinea mit dem dortigen kulturellen Gedächtnis abgeglichen und durch lokale Wissenstraditionen ergänzt und neu bewertet. Auf diese Weise sollen Deutungshoheiten neu verhandelt, die Relevanz der Sammlungsstücke mehrstimmig erörtert und ihr Nutzen für kommende Generationen diskutiert werden. Die Forschungsergebnisse werden mit den Partner:innen vor Ort geteilt und die Notwendigkeit potentieller Rückgaben soll auf ihrer Basis erkundet werden.
Kooperation mit der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung (HWS)
Bereits im Gründungsjahr der HWS 1907 wurde die Finanzierung einer Südsee-Expedition beschlossen, deren Konzeption maßgeblich auf die Initiative von Georg Thilenius (1868-1937) zurückging, der seit 1904 als Direktor des Völkerkundemuseums den Sammlungsausbau und die Profilierung des Hauses vorantrieb. In den folgenden Jahren wurde die Expedition und die Publikation ihrer Ergebnisse mit 600.000 Reichsmark gefördert und damit die Umsetzung eines der umfassendsten, unmittelbar an ein Museum angebundenen Forschungsprojekte der deutschen Kolonialzeit ermöglicht. Vor diesem Hintergrund sind beide Institutionen bestrebt, den kolonialen Kontext des Expeditionsprojektes zu untersuchen. Sowohl Netzwerke und Dokumentationen der Stiftung, als auch die Sammlung und Archivbestände des MARKK bilden Ausgangspunkte für dieses neue Provenienzforschungsprojekt.
Die Ergebnisse des Projekts sollen über die museumseigene Website, im Rahmen der sukzessiven Onlinestellung der Sammlungen sowie mit einer Ergebnispräsentation mit öffentlichem Vortrag veröffentlicht werden.
Dr. Ekkehard Nümann, Präsident der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung: „Die Südsee-Expedition ist bis zum heutigen Tag das größte Projekt, das die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung in ihrer langen Geschichte gefördert hat. Was hat diese Expedition erkundet und wie sind die Expeditionsteilnehmer:innen damals vorgegangen? Das soll zusammen mit den Partner:innen in Papua-Neuguinea erkundet und aufgearbeitet werden. Das Forschungsprojekt wird eine Expedition beleuchten, die in ihrer kolonial und wirtschaftlich getriebenen Ausrichtung begriffen werden muss. Wir als Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung sehen die Expedition als Teil unserer Geschichte und erhoffen uns neue Erkenntnisse, denen wir uns stellen werden.“
Finanziert von der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung fand zwischen Sommer 1908 und Frühjahr 1910 die sogenannte Hamburger Südsee-Expedition als ethnographische Forschungs- und Sammelexpedition mit dem Dampfer Peiho statt. Die Organisation lag in den Händen von Georg Thilenius, Direktor des Museums für Völkerkunde Hamburg und Initiator des Unternehmens. Dieses gliederte sich mit wechselnden Teilnehmern in zwei Abschnitte: Unter Führung des Arztes Friedrich Fülleborn (1866–1933) wurde bis Juni 1909 Melanesien erforscht, im zweiten Jahr unter Leitung des Ethnologen Augustin Krämer Mikronesien. Knapp 15.000 der Ethnographica befinden sich heute in Hamburg, 629 wurden an das Leipziger Museum für Völkerkunde überwiesen.
Neben Zeichnungen und Aquarellen wurde viel Wert auf die fotografische Dokumentation gelegt, allein im ersten Expeditionsjahr entstanden mehr als 1.700 Aufnahmen. Die über 2.000 Abzüge in der Leipziger Fotosammlung gehen auf fünf Bildautoren zurück. Von Ernst Sarfert (1882–1937), damals wissenschaftlicher Assistent am Museum für Völkerkunde Leipzig, wurden schon 1911 rund 140 Fotografien angekauft. Im gleichen Jahr wurden von Wilhelm Lorenzen, der während des zweiten Expeditionsabschnitts als Erster Offizier auf dem Schiff tätig war, knapp 350 Aufnahmen zusammen mit ethnographischen Objekten erworben. In den Jahren 1915 und 1917 wurden im Hamburger Museum knapp 700 Abzüge von dort verwahrten Negativen Friedrich Fülleborns und des Malers Hans Vogel (1885–1970) bestellt. Vom Anthropologen Otto Reche (1879–1966) erwarb man 130 Abzüge aus Melanesien. Während Reche überwiegend anthropometrische Aufnahmen fertigte, widmeten sich die anderen unterschiedlichen Sujets wie Hausbau, Handwerk oder Landschaft, aber auch dem ethnographischen Porträt. In zahlreichen dieser Fotografien hat sich zudem die Begegnung zwischen den Kulturen eingeschrieben: Nicht immer intentional sind häufig auch die Wissenschaftler im Bild zu entdecken.