
Der Mann, der die Stadt zum Sprechen brachte: Holger Matthies und die Kunst der Haltung.
Er lebt für die Plakatkunst – und sein Vermächtnis reicht weit über die Leinwand hinaus: Holger Matthies.
In einer Zeit, in der visuelle Reize im Sekundentakt auf uns einprasseln, verliert sich die Haltung oft im Rauschen. Nicht so bei Holger Matthies. Der international renommierte Plakatkünstler, der anlässlich seines 85. Geburtstags vom Hamburger Senat mit der Medaille für Kunst und Wissenschaft gewürdigt wurde, hat mit seinem Werk den öffentlichen Raum jahrzehntelang nicht nur bereichert, sondern auch kritisch befragt. Wie treffend formulierte Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien, bei der Übergabe der Auszeichnung: „Holger Matthies‘ Plakate fallen auf, zeigen Haltung und bleiben im Gedächtnis.“
Matthies, 1940 in Hamburg geboren, ist ein Kind dieser Stadt und ihrer kreativen Energie. Sein Studium an der Werkkunstschule Hamburg (heute HAW) und der Hochschule für Bildende Künste Hamburg legte den Grundstein für eine Karriere, die ihn ab 1966 als freischaffenden Künstler zu einem der prägendsten Plakatgestalter weltweit machte. Seine Werke, vielfach in Polen, Japan, Mexiko und China ausgezeichnet, sind in renommierten Museen wie dem Museum of Modern Art in New York, dem Stedelijk Museum Amsterdam oder dem Deutschen Plakatmuseum in Essen vertreten.
Doch es ist nicht nur die internationale Anerkennung, die Matthies’ Werk so besonders macht. Es ist die Haltung, die aus jedem seiner Entwürfe spricht. Plakatgestalter seien, so Matthies selbst, „von der Mission, den öffentlichen Raum, die Stadtlandschaft mit ihren visuellen Botschaften zu bereichern, beseelt.“ Für ihn waren und sind Plakate, sofern sie eine relevante Aussage haben, „Meinungsbildner für den öffentlichen Diskurs“. Sie schreien, flüstern oder plaudern – von Hauswänden, Anschlagtafeln oder -säulen. Sie sind die „Kinder der Straße“ und kommunizieren mit jedermann.
Das Theater als Bühne für Haltung und Provokation
Besonders im Kulturbetrieb, allen voran für das Theater, fand Matthies eine „exzellente Plattform, sich einzumischen“. Seine Plakate für das Thalia Theater, das Deutsche Schauspielhaus oder das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg sind Legende. Sie sind oft provokant, manchmal humorvoll, immer aber intelligent und prägnant. Man denke etwa an das ikonische Plakat für das Thalia Theater mit dem brennenden Streichholz, das die Zündkraft der Bühne visuell übersetzt. Oder an jene Entwürfe, die mit subtiler Ironie gesellschaftliche Missstände aufspießen.
Matthies nutzte die Plakatfläche, um gegen Menschenrechtsverletzungen, Gewalt und Korruption, Rassismus und Ausbeutung zu Felde zu ziehen. Seine Kunst war und ist somit immer auch eine Form des aktivistischen Engagements. Er versteht es meisterhaft, komplexe Themen auf eine elementare visuelle Form zu reduzieren, die sofort ins Auge springt und gleichzeitig zum Nachdenken anregt. Seine Handschrift ist unverkennbar: die Reduktion auf das Wesentliche, oft eine pointierte Typografie kombiniert mit einem überraschenden Bildelement, das eine Geschichte erzählt oder eine Frage aufwirft.
Als Professor für Visuelle Kommunikation an der Universität der Künste Berlin hat Holger Matthies zudem Generationen von Gestalter*innen geprägt. Seine Mitgliedschaften in der Alliance Graphique Internationale und der Freien Akademie der Künste Hamburg unterstreichen seine herausragende Stellung in der internationalen Designszene. Doch trotz seiner globalen Reichweite blieb Hamburg stets ein zentraler Bezugspunkt seines Schaffens. Das zeigt sich nicht nur in seinen Auftragsarbeiten für Hamburger Institutionen, sondern auch in der tiefen Verwurzelung seines Stils, der die norddeutsche Nüchternheit mit einer kraftvollen Ästhetik verbindet.
Die Medaille für Kunst und Wissenschaft, die seit 1956 vom Hamburger Senat an herausragende Persönlichkeiten aus Forschung, Wissenschaft und Kunst verliehen wird, ist nun eine späte, aber hochverdiente Anerkennung für sein außergewöhnliches Lebenswerk. Bereits 1981 wurde er mit dem Edwin-Scharff-Preis geehrt, doch die aktuelle Würdigung durch den Senat setzt einen Glanzpunkt auf eine Karriere, die die visuelle Kultur Deutschlands und darüber hinaus entscheidend mitgeprägt hat.
Holger Matthies ist mehr als ein Plakatkünstler. Er ist ein visueller Denker, ein Botschafter der Gestaltung und ein Mahner für Haltung in unserer zunehmend reizüberfluteten Welt. Seine Plakate sind keine bloßen Werbemittel, sondern Kunstwerke, die uns zum Innehalten, zum Schmunzeln und vor allem zum Nachdenken bringen. Hamburg verneigt sich vor einem Künstler, dessen Schaffen uns lehrt, dass die stärksten Botschaften oft in der klaren, prägnanten Form liegen – und dass auch auf einer Fläche von wenigen Quadratmetern große Ideen und starke Haltungen ihren Platz finden. Danke.

