
Der Botaniker Karl Braun (1870-1935) leitete während der deutschen Kolonialzeit im heutigen Tansania (damals Deutsch-Ostafrika) von 1904 bis 1920 eine Forschungsstation. In Stade hinterließ er zwei Kisten und ein Koffer mit 600 ethnografischen Objekten aus Tansania, die sogenannte „Kolonialsammlung Braun“.
Dazu wird nun geforscht und am Mittwoch, 26. Juli um 19 Uhr im Museum Schwedenspeicher ein öffentlicher Abenvortrag zum kolonialen Provenienzforschungsprojekt gegeben. Nach einem Grußwort von Dr. Jan Hüsgen vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste folgt der Vortrag von den Forschungsteammitgliedern Dr. Peter Mangesho (NIMR), Dr. Sebastian Möllers (Museen Stade), Mohamed Seif (NIMR) und Lea Steinkampf (Museen Stade). In der abschließenden Diskussionsrunde sind Fragen aus dem Publikum herzlich willkommen. Die Veranstaltung wird hybrid auf Deutsch und Englisch geführt. Der Eintritt ist frei.
Im Jahr 1902 gründete das Reichskolonialamt im Usambara Gebirge des heutigen Tansanias das „Kaiserliche Biologisch-landwirtschaftliche Amani Institut“. Gemäß dem imperialen Konkurrenzgedanken der europäischen Kolonialmächte bestand das erklärte Ziel darin den größten Botanischen Garten der Welt anzulegen. Als Teil eines weitreichenden Netzwerks agrarwirtschaftlicher und botanischer Forschungseinrichtungen, die im Zuge der europäischen Kolonialexpansion seit dem 19. Jahrhundert entstanden, trug auch das Amani Institut maßgeblich zum globalen Transfer (invasiver) Pflanzenarten bei und setzte die wirtschaftlichen Interessen der deutschen Kolonialmacht durch. Erforschung, Bestimmung und Klassifizierung durch Wissenschaftler zielten darauf ab, Pflanzen für Medizin, Landwirtschaft und Industrie nutzbar zu machen.
In seiner Zeit als leitender Botaniker am Amani Institut (1904-1920) eignete sich Karl Braun (1870-1935) eine Sammlung von Gegenständen an, die sich heute im Bestand der Museen Stade befindet. Im Anschluss an seinen Kolonialdienst leitete Braun die „Biologische Reichsanstalt für Land- und Forstwirtschaft“ in Stade und schenkte kurz vor seinem Tod die umfassende Sammlung der Stadt. Braun erwarb die Gegenstände auf seinen Dienstreisen durch das ehemalige „Deutsch-Ostafrika“, profitierte aber auch von dem Umstand, dass die Ortschaft Amani aufgrund der klimatischen Bedingungen von zahlreichen Kolonialakteuren als „Erholungsort“ geschätzt wurde und dadurch als Umschlagplatz für Gegenstände aus der gesamten Kolonie fungierte. Hinter dem diversen Sammlungsbestand von fast 600 Objekten – zu denen u.a. Alltagsgegenstände, Waffen, Instrumente oder Textilien zählen – zeichnet sich Brauns botanisches Interesse an Verarbeitungstechniken „einheimischer“ Materialien ab. Demnach können die Objekte nicht nur von präkolonialen Kulturen, sondern auch von ihren Erwerbskontexten und den Machtasymmetrien eines kolonialen Wissenstransfers erzählen.
Das Projekt „Die Sammlung Karl Braun und die Rolle des Amani Institut während der deutschen Kolonialzeit in Tansania“ wird von den Museen Stade in Kooperation mit dem National Institute for Medical Research (NIMR) realisiert, das heute die Amani Hill Station im Amani Nature Reserve betreibt. Ziel ist es es die Machtasymmetrien im Netzwerk des Transfers der Objekte im Kontext des Amani Instituts herauszuarbeiten und sich den Herrschafts- und Opfergeschichten der kolonialen Einrichtung anzunähern. Die Objektgeschichten, ihre möglichen gewaltvollen Erwerbskontexte und die Rolle Karl Brauns werden im Zusammenhang der deutschen Kolonialgeschichte des Amani Instituts aufgearbeitet. Zum Abschluss des Projekts werden die Ergebnisse der Provenienzforschung dreisprachig in einer Online-Datenbank veröffentlicht (deutsch, englisch, kiswahili) und im Rahmen einer Ausstellung zugänglich gemacht.

