Jede Generation hat ihre Abstürze, ihre Partys, ihre Fehltritte, ihre Dummheiten und ihre gemeinsame Zeit. Und an keinem anderen Ort kann das besser ausgelebt werden, als in den Clubs und Discos.
Das Ende ist nahe …
Die stillen Zeugen heimlicher Küsse, Beziehungsdramen, neuentstehender Freund- und Liebschaften, Geburtstagsfeiern, kaum sichtbarer oder übertriebenen Tanzbewegungen – sie sterben aus. Teilweise über Jahrzehnte hinweg trotzten Diskotheken allen Widrigkeiten, allen Krisen, allen Katastrophen. Doch die selbsternannte Generation „Party Hard“ schafft es, diesen Legenden den Saft abzudrehen.
Abgesägt sind bereits die Großraumdiscos. Die Gelddruckmaschinen von einst sind heute nicht mehr als eine verfallende Fotokulisse mit ein paar tausend Quadratmetern. Vor zwei Jahren meldeten mehr als 60 dieser Drucktempel Konkurs an. Im Jahr darauf stieg die Zahl noch einmal um über 50% mehr an. Natürlich gibt es noch vereinzelt diese Megaparks, die es mit verschiedenen Areas schaffen, ein breites Publikum zu gewinnen. Sie sind die kleine Widerstandstruppe in einer Welt aus gemauerten Zombies, die in Untoten-Manier – innerlich leer, äußerlich verrottet – stets daran erinnern: du könntest bald einer von uns sein …
Geschäftsmänner, Insider, Herzblut-Betreiber, die über Generationen hinweg ihre Stammkunden jedes Wochenende zum Abfeiern locken konnten, stehen vor dem gesellschaftlichen Nichts. Haus und Hof teilweise längst überschrieben und klammern sich an den noch so kleinsten Cocktail-Strohhalm. Wie? Und warum? Was ist passiert? Im Kampf, die Attraktivität ihrer Lebensgrundlage oben zu halten, bieten sie den Menschen immer mehr an – und schaufeln dabei immer mehr ihr eigenes Grab. Und was die Gäste selber nicht kapieren: sie schaufeln fleißig mit um am Ende selbst mit reinzufallen. Das Nachtleben arbeitet gerade am Nachtsterben.
Respektlos durch die Nacht
In den ländlichen Bereichen ist es schon normal. Das alte Gebäude da drüben? Das war mal ne Disse … Die stets belächelte „Bauerndisco“ konnte freitag- und samstagabends auf die Gäste auf dem eigenen und den umliegenden Kaffs bauen. Sonntags Jugenddisco. Passt. Kohle verdient, Rechnungen bezahlt. Irgendwann aber stieg auch die Mobilität der Führerscheinlosen. Irgendein Papa brachte Kind und Kumpels in die nächste Stadt, der große Bruder wurde 18, Sammeltaxis und Discobusse brachten die Dorfkinder weg vom altbekannten in die Lichter der Kleinstadt. Früher gaben sich auch die Clubs noch entspannter an der Tür. „Du bist erst 16? Kein Problem, aber um Mitternacht biste raus, klar?“ Man wollte ja wieder kommen, also war man auch um zwölf Uhr wieder weg. Man hatte noch Respekt vor Autoritäten. Nicht Angst. Respekt.
Etwas, was jede 15jährige Hühnerbrust heute von alles und jedem einfordert, ohne selbst in der Lage zu sein, davon etwas zu zeigen. Irgendwann wurde es eben Mode, Kinder für jeden Mist zu loben. Die Folge: der Nachwuchs fühlt sich inzwischen schon als Übermensch, weil er fehlerfrei seine Schuhe binden konnte und führt sich dann auf wie sein sagenumwobenes Gangster-Image-Idol. Behandelt sie der Türsteher aber dann ihrem Verhalten entsprechend, laufen sie zum Papa, der den Anwalt einschaltet.
Wie oft haben wir früher Scheiße gebaut? Was haben unsere Eltern gesagt, wenn wir auf die Zwölf bekamen? „Hast es ja wohl dann verdient …“ Stimmt. Liebe Security da draußen. Wenn ihr zu fünft auf einen Betrunkenen einprügelt, weil er – Überraschung – etwas zu viel getrunken hat und seine Grenzen nicht mehr kannte, dann ist das Asi. Wenn ihr einem Teen-Proll, der gerade einmal geradeaus pissen kann, eine anständige Ohrfeige verpasst, nachdem er mit Beleidigungen und Gläsern um sich geworfen hat, weil ihm seine mitgebrachte Billig-Wodkaflasche abgenommen wurde: hey, ich hab nix gesehen. Versprochen.
Der Feind hat einen Namen
Wobei sich das Verhalten und damit das Ansehen der Türsteher im Allgemeinen ja auch zum positiven verändert hat. Sie werden nicht mehr als die einsilbrigen Möchtegern-Navy-Seals angesehen sondern als die Leute, die für Sicherheit sorgen und Frauen zum Auto bringen, wenn ihnen unwohl ist. Natürlich gibt es noch die zahnlosen Ersatzschläger der Marke „CheapSecurity24.de“, die aber ohnehin bald selbst dafür sorgen, dass ihr Auftraggeber verschwindet. Die Website ist übrigens fiktiv. Hoffe ich zumindest.
Doch nun weiter im Text. Natürlich bringen schleichende Preiserhöhungen bei Strom & Co. die Sorgenfalten auf die Betreiberstirn. Aber der Gast zahlt für sein Bier auch problemlos 3,50 Euro statt 3,- Euro. Zumindest die meisten. Beim Rest ist eh Hopfen und Malz verloren. Doch nun kommen wir zu einem Giganten, der – vermutlich ohne es zu wissen – die geschliffene Klinge federführend an den Hals des pulsierenden Nachtlebens gebracht hat. Ladies and Gentlemen, ich präsentiere ihnen den größten Feind des sozialen Lebens: Facebook.
Klingonisch, ist aber so. das Böse hat damit einen Namen und niemand hatte es am Schirm. Doch es ist da. Du zweifelst? Nun … ich hoffe mal, du gehörst zu der Generation, die noch vor 2006 gelernt hat wegzugehen. Erinnere dich mal daran, warum dich damals nichts in den eigenen vier Wänden halten konnte. Du kennst das Gefühl noch: Günni war bis vorgestern in Australien, was er da wohl erlebt hat. Lisa hat sich von ihrem Freund getrennt, jetzt muss ich mich mal ranhalten. Hat sich Tom jetzt dieses Bike gekauft? Ob die Kleine von letzter Woche wieder da ist? Bla bla bla …
Es gab eine große Motivation: sehen und gesehen werden, sich auf den neuesten Stand bringen, Leute kennen lernen, Freunde treffen – kurz und neudeutsch: socialn. Na? An welche Website erinnert dich das? Facebook – und alles was sie aufkaufen – hat uns diese Motivation genommen.
Sehen und gesehen werden? Okay … einloggen.
Auf den neuesten Stand kommen? App öffnen.
Leute kennen lernen? PN schicken.
Freunde treffen? Kommentieren.
Es wurde uns alles genommen. Wir können alles, was uns damals zum Abfeiern als Grundlage diente, 24/7 vom Bahnhofsscheißhaus aus erledigen. Handy raus, App öffnen, liken, schließen, runter spülen.
Die Generation der Schisser?
Und vergesst nicht, ihr sprecht eine Generation an, die für Musik und Filme nichts mehr bezahlen möchte. Wer alle drei Lieder eine Werbeunterbrechung akzeptiert um kostenlos auf Spotify seine Lieder zu hören und Kinofilme in Vierfach-kopierter-VHS-Qualität okay findet … hey … sollen das eure Retter sein?
Wer an meinen Worten zweifelt, für den habe ich ein ganz simples Gedankenspiel: stell dir einfach vor, von heute auf morgen würden alle wichtigen Webserver unwiderruflich abstürzen. Nur mal so als utopische Phantasie. Was glaubst du, wie es nach zwei Wochen in den Clubs aussehen würde? Wir hätten alle Freudentränen in den Augen. Darauf verwette ich alles. Und flirten wird wieder ein Nervenspiel. Nix da, den Kumpel fragen ob er die Kleine an der Theke auf seiner FL hat um sie dann per PN anzuschreiben und im RL etwas auszumachen (Gott, ich hasse diese Abkürzungen). Nein, dann heißt es mal wirklich wieder Eier zeigen und hingehen, ansprechen, antanzen, einen Drink ausgeben, ins Kino verabreden, Körbe einfangen, Schmetterlinge im Bauch haben. Wer kennt das noch im Zeitalter des Addens? In der pursten Form von einst: Face to face.
Aber was machen die Discobetreiber? Kostenloses W-Lan anbieten. Die supergeilen „Partyprofis“ halten ihre verpickelte iFresse ja noch nicht intensiv in ihr iHandy. Da kann ja nur Stimmung aufkommen. „Kennste das Bild da auf Instagram? Voll lustig.“ Wenn ich dir dein Smartphone zwischen die Augenramme, DAS wäre voll lustig.
Der nächste Hirnfick der Eventsucher sind Smart-DJs. Kennste nicht? Sei froh! Per App wird innerhalb des Clubs von den Besuchern entschieden, welcher Song als nächstes aus den Boxen dröhnen darf. Ein Garant für volle Tanzflächen? Vergiss es. Schließlich muss ja auch der nächste Song geil sein. Und der nächste. Mittendrin und nicht dabei. Abgesehen davon, dass der DJ zur Musikbox wird.
Wer sich so etwas in seinen Tanztempel stellt, der hat damals auch Bubble Tea angeboten, oder? Was ging denn da in euren Gehirnen ab? „Hey, ich hab da ein abscheuliches Getränk, mit dem ich alle Besoffenen zusätzlich mit kleinen Kügelchen und Strohhalmen ausstatte. Das KANN ja nur gut ausgehen!“ Irgendwie so muss der Gedankengang gewesen sein …
Alles darf, nix muss
Ihr habt ja lange durchgehalten. Respekt. Nun wollt ihr von mir die ultimative Lösung zur Rettung der nächtlichen Kultur, oder? Tja, wenn das so einfach wäre. Es wäre schon mal ein Anfang, wenn die Gäste eines Clubs mal wieder in ihre Schranken gewiesen werden. Vor allem die, der jüngsten Generation. Ich weiß, ich klinge wie so ein „früher war alles besser“-Spasti, aber früher gab es fast die gleichen Probleme in anderem Gewand. Aktuell sind nur ein-zwei hinzugekommen. #neuland. Aber die Neupartykönige, die sich wie die geilsten fühlen, weil sie ne Flasche Wodka für 15 Euro gekauft haben (Uii!) müssen mal wieder kapieren, dass sie kein RECHT darauf haben, in dem Club zu sein. Sie haben kein Recht darauf, dass der Türsteher den/die Ex rauswirft, sie haben kein Recht darauf als erster bedient zu werden, kein Recht darauf, dass der Chef auch den betrunkenen Kumpel mit rein lässt, kein Recht darauf mit 16 reinzugehen, kein Recht darauf, dass der Barkeeper den Drink stärker macht als sonst, kein Recht darauf, dass der DJ die gleiche scheiß Nummer 20x am Abend spielt. Genau das glauben aber offenbar viele.
Ihr habt die unermessliche Gnade der verantwortlichen Person, wenn ihr etwas bekommt, was nicht alle so bekommen. Mehr nicht. Also verhaltet euch entsprechend. Mit dem Fünfer an der Kasse hast keiner den Laden gekauft. Selbes gilt für die Mitarbeiter. Untereinander, gegenüber den Chef-Ansagen, gegenüber dem Gast. Auch wenn er der Neue deiner Ex ist: der Drink wird genauso gemacht, wie bei den anderen. Auch wenn sie dir fremdgegangen ist: sie darf in den Club, wenn es sonst keine Gründe gibt. Ach ja, liebe DJ. Dezibel machen die Übergänge auch nicht geiler. Die Leute sollen sich noch unterhalten können.
You’ve got the power
Und liebe Nachtschwärmer: die 50 Cent Trinkgeld bringen euch nicht um. Und regt euch nicht über 16jährige auf, wenn ihr selber erst 18 seid. Das ist lächerlich. Gastronomen und Clubbetreiber sitzen stundenlang zusammen um euch etwas zu bieten. Wenn es euch nicht gefällt: okay. Ist ja kein Beinbruch. Wems gefällt, der wird kommen. Aber erspart euch euren geistigen Dünnschiss als Facebook-Kommentar unter den Veranstaltungen. Wenn ihr einen Club nicht mögt, dann ignoriert ihn und macht keine Hetzkampagne. Denn was wäre, wenn das alle machen? Dann steht ihr in einer ausgestorbenen Stadt und müsst aus Mangel an Alternativen das nehmen, was kommt.
Oder glaub ihr echt, ein Stadtrat ist geil darauf, Clubs zu retten? Die deutliche Mehrheit der Wähler sind 35+. Wem wird er da wohl in die Hände spielen?
Und zuletzt noch: liebe Clubbetreiber. Wenn es schon 4 Discos mit dem gleichen Stil in einer Kleinstadt gibt, dann werdet nicht der Fünfte. Das funktioniert 1-2 Jahre und dann „ist es eh überall das gleiche“. Und ihr könnt zusehen, wie die Leute in Autos steigen und in anderen Städten das Geld ausgeben.
Ich bin seit bald 20 Jahren im Nachtleben tätig. Und ich glaube fest daran, dass jede Generation ihre Abstürze, ihre Partys, ihre Fehltritte, ihre Dummheiten und ihre gemeinsame Zeit braucht. Und an keinem anderen Ort kann das besser ausgelebt werden, als in den Clubs und Discos.
Seid keine Arschlöcher. Rettet die Nacht.
Wenn es einer kann – dann ihr.
P.S.: Vorglühen ist für Amateure.
Marco Schimpfhauser lebt und arbeitet u.a. als Journalist in Straubing u.a. für verschiedene bundesweite Zeitungen, Magazine und TV-Formate. In seinem Hobby-Blog unter marcolatur.blogspot.de thematisiert er überwiegend diverse kulturelle Themen.