Hamburgs (literarischer) Gast 2018 über Stadtschreiberei, Stile und Entdeckungen:

Der ´Hasenmeister` im Gespräch

"Polystilist" Tilmann Strasser kann Ihren Weg bald auch in Harburg kreuzen. (Foto: Annika Firmenich)

Auch in Harburg wird der Autor Tilmann Strasser als „Hamburgs Gast“ und Stadtschreiber Halt machen. ´Tiefgang` hat schon mal gehorcht, was uns erwartet …

Die KulturWerkstatt Harburg ist Kooperationspartner des Literatur-Stipendiums „Hamburger Gast“, das der Förderverein Kulturelle Initiativen e.V. jährlich vergibt, unterstützt von der Behörde für Kultur und Medien und der Hamburger Volksbank. Nach Doris Konradi und Stephan Roiss wird die Harburger Kulturszene 2018 nun Tilman Strasser willkommen heißen. Wir konnten es nicht abwarten und haben schon mal nachgefragt.

Tiefgang (TG): Lieber Tilman, herzlich willkommen in Hamburg, insbesondere bei SuedKultur!

Wir freuen uns über jeden, der unser Umfeld bereichert. Du wirst nach je einem Monat in Bergedorf und St. Pauli auch einen bei uns in Harburg verbringen.

Als erstes eine Fangfrage: Auf welchen Standort freust du dich am meisten? Anders formuliert: Was weckt jeweils deine Neugier?

Tilmann Strasser (TS): Ha, nichts hübscher als ein freundlich platziertes Fettnäpfchen! Aber ich versuche mal, drüber zu springen – und sage wahrheitsgemäß, dass ich es noch nicht weiß: Alle Stationen kommen mir sehr reizvoll vor. Wenn ich etwas zu meckern hätte, dann, dass ich jeweils nur einen Monat Zeit für jede habe. Aber gäbe man mir je zwei, würde ich kaltschnäuzig vier verlangen und so weiter; am Ende hätte man mich für immer am Hals, da haben die Organisatorinnen und Organisatoren also schon ganz richtig kalkuliert.

TG: Vielleicht sollten wir zu gegebener Zeit für dein Bleiberecht auf die Straße gehen…

Aber erst einmal heißt es Ankommen. Was hattest du für eine Vorstellung, als du dich darum beworben hast, Stadtschreiber zu werden?

Strasser: Keine konkrete. Mal ehrlich: Drei Monate Hamburg! Ich habe nicht geglaubt, dass ich das kriege, und war mir sicher: wenn doch, dann wird mir eher zu viel als zu wenig einfallen für die Zeit. Und so lässt sich’s auch an, in diesen ersten Tagen: Die Stadt ist so vielfältig und traditionsreich, so ausufernd und spannungsgeladen, dass man sie auch ein paar Jahre lang portraitieren könnte, ohne in Langeweile zu verfallen. Die Herausforderung wird wahrscheinlich eher in der Konzentration bestehen. Und darin, eigene Projekte, Stadtschreiberei, Entdeckungstouren und Termine unter einen Hut zu bekommen.

TG: Was erhoffst du zu entdecken?

Strasser: Das Lebensgefühl, die Möglichkeitsvielfalt, den hässlichsten und den schönsten Ort.

TG: Zum Stadtschreiber wirst du jetzt, weil du die Jury mit deiner poetischen Sprache und deinem lakonischen Humor überzeugt haben sollst. Wie würdest du selbst deinen Schreibstil beschreiben und wie hast du ihn gefunden?

Strasser: S’ ist ein seltsam’ Ding: Ich halte mich für einen Polystilist, ein sprachliches Chamäleon, das den Ton je nach Thema wechselt und für jeden Text eine eigene Sprache findet. Leserinnen und Leser hingegen bezeugen indes: Alles Unfug, das klinge immer nach mir. Na, wenn ich typische stilistische Momente beschreiben müsste, wär’s mir mit Antithesen am wohlsten: Nicht eben schnörkellos, nicht eben unaufgeregt, nicht eben karg. Gebe mir allerdings Mühe, dass es lesbar bleibt. Und ein stilistisches Problem ist definitiv die ausufernde Beschreibungsfreude, die es hinterher mühsam einzulektorieren gilt (als pflanzte man eine herrlich wuchernde Hecke und müsste sie dann beschneiden, weil sich ein Nachbar beschwert! Lektorinnen und Lektoren sind freundliche, aber zuweilen sehr penible Nachbarn, und mein innerer Lektor ist leider nicht mal freundlich).

TG: Du wucherst also gerne mit deinen Pfunden, gut zu wissen. Das schreckt mich nicht ab, im Gegenteil: mir tut es fast leid um die Hecke…

In Hamburg interessiert dich angeblich die spezifische Schnodderigkeit und das Zusammenspiel von steifer Brise und knappem Witz. Du hoffst also, trockenem Humor an der Waterkant zu begegnen. Wie wirst du vorgehen, um dem Volk auf´s Maul zu schauen?

Strasser: Famos, auf dieses Zitat hat sich noch jede Interviewerin und jeder Interviewer gestürzt. Tatsächlich hab ich’s nie gesagt, nur einst ins Motivationsschreiben für das Stipendium geschrieben, weil ich dachte: klingt gut. Finde ich allerdings immer noch – nur, ob der Witz wirklich so knapp ist, das gilt’s nun herauszufinden. Dafür werde ich schlicht mit jeder Menge Menschen reden: Im Café und in der Kneipe, auf der Straße und im Park, ich werde Leute in der Schlange vor der Elphi ansprechen und Leute, die um die Ecke cornern. Und dann wollen wir doch mal sehen, wie viel steife Brisen mir so entgegenwehen. Das ist alles Teil eines ausgeklügelten Stadtschreiberkonzepts, nämlich, mit größtmöglicher Offenheit so viel wie möglich auf mich zukommen zu lassen. Ich nehme Tipps entgegen, gehe auf Streifzüge, folge Impulsen und bastle in drei Monaten ein höchst subjektives Hamburg zusammen, das ich hinterher fahrlässig als allgemeingültiges Stadtbild in alle Welt verbreiten werde. Da helfen dann auch nur noch Gag und Windstoß, wenn überhaupt.

TG: Mist, war also keine originelle Frage! Na, wenigstens bin ich nicht die Erste, die auf den gut klingenden Satz reingefallen ist!

Man merkt, du bist ein Mann der guten Worte. Du hast Kreatives Schreiben studiert. Was hast du dabei gelernt bzw. am meisten geschätzt?

Strasser: Enorm geschätzt habe ich die Möglichkeit, mich mit vielen Fantastinnen und Fantasten derselben Illusion widmen zu können – jede und jeder sollte fünf Jahre träumen dürfen, bevor man dann doch die Ausbildung zum Versicherungskaufmann dranhängt! Und so banal es klingt: Das Wichtigste, was ich gelernt habe, war, mit Kritik umgehen zu können. Obwohl die Seminare oft ungemein spannend waren, bildeten sie meiner Wahrnehmung nach eher einen inspirativen Nährboden für eigene Schreibversuche, und die diskutierte man wiederum in teils privaten, teils universitären Textwerkstätten. Nun muss man erst einmal lernen, gut zu kritisieren – was überdies auch nicht jeder Person bei jedem Text gelingen kann. Herauszuhören, was einem wirklich etwas bringt (so unbequem die jeweilige Wahrheit im entsprechenden Moment auch sein mag), das produktiv umzusetzen, natürlich auch: das eigene Urteil zu schärfen und gelungen zu kommunizieren, das sind meine elementaren Errungenschaften. Und bevor das zu abseitig klingt: Ich hatte bislang den Eindruck, dass sich gerade die auf dem verminten Feld der Textbesprechung erworbenen Fähigkeiten wunderbar auf eine Vielzahl von Lebensbereichen übertragen lassen.

TG: Klingt nach guter Schule für´s Leben.

In deinem Debütroman erzählst du die Geschichte eines Musikers. Selber warst du Mitglied bei der literarischen Boyband „Text´, Drugs and Rock´n´Roll“. Ist die Musik dein favorisiertes Thema?

Strasser: Ja! Na, vielleicht nicht das einzige. Aber klassische Musik ist tatsächlich so etwas wie ein immer wiederkehrendes Faszinosum, an dem ich mich problemlos auch zwanzig Jahre am Stück abarbeiten könnte. Ach, länger. Wer weiß. Die Boyband hat übrigens nur qua Name etwas mit Musik zu tun – die Selbstzuschreibung war einfach unser gewiefter Marketingtrick, um jemanden zum Zuhören zu bewegen, während wir zu viert unsere Texte vorlasen. Hat ganz gut funktioniert, aber ohne Instrumente oder Gesang (nur einer von uns hat manchmal gerappt, hauptsächlich, um seine mangelnde Eignung dafür zu untermauern). Musik jedenfalls: Rein effektbezogen hat die Literatur ja das bereits auf vielfache Weise beschriebene Dilemma, erst durch die Sprachregionen des Hirns zu müssen, ehe sie im emotionalen Bereich Wirkung entfalten kann. Das richtige Stück hingegen spricht unmittelbar zur Seele und kitzelt trotzdem die intellektuellen Regionen, worauf viele Autorinnen und Autoren (mich eingeschlossen) auf ewig neidisch sein werden. Trotzdem oder deswegen hat Musik oft eine dämonische Komponente, zehrt an ihren Erschaffern, formt eigenwillige Lebensläufe, kann im Extremfall zu einem Kommunikationsvakuum außerhalb der Töne führen, schon das ist spannend. Und zugleich gibt’s wiederum nichts anderes, in dem man sich zuweilen so sehr auflösen möchte, wuchtige Transzendenzerfahrungen sind das, die alles mögliche können: Verbinden, entheben, glauben machen, nicht selten Sinn stiften. Musik! Gibt’s denn überhaupt noch ein Thema sonst? (nun ja, natürlich schon, aber es ist auf jeden Fall ein Liebling)

TG: Fast möchte ich widersprechen, weil ich glaube, dass Sprache eigene Klangfarben hat, die ebenfalls unmittelbar Resonanz erzeugen – und emotional ansprechen oder auch nicht. Aber Musik ist trotzdem was anderes, da stimme ich natürlich zu.

Hast du als Stadtschreiber während deines Aufenthaltes besonderes Interesse an der musikalischen Szene? Kennst du legendäre Clubs in Hamburg bisher nur vom Hörensagen oder warst du schon mal hier (ich meine drüben in Hamburg)? Gibt es einen besonderen Ort, der dich magisch anzieht?

Strasser: Ich war einmal im Golden Pudel Club und einmal in der Elbphilharmonie. Das ist also noch stark ausbaufähig – wobei ich auch da meinem strengen Der-Nase-nach-Prinzip folgen und sehen werde, wo es mich hintreibt. In der Studienzeit war der Weg aus Hildesheim nicht allzu weit und die ein- oder andere Kneipe mag mir untergekommen sein, ihre musikalischen Höhepunkte sind mir bislang entgangen. Legenden, die es zu besuchen gilt, spektakuläre Must-sees und Geheimtipps – immer her damit!

TG: Dieses Insider-Wissen teilen wir erst mit dir, wenn du zu uns über die Elbe kommst! – Du bist sehr vielseitig, schreibst auch Artikel, Drehbücher, Programmtexte und:  moderierst… Was ist das für ein Format?

Strasser: Das ich moderiere? Es gibt mehrere. Regelmäßig WG-Lesungen im Rahmen der zwischen/miete Köln – sechsmal im Jahr bitten wir junge Autorinnen und Autoren in Wohngemeinschaften in der Stadt und ich spreche mit ihnen zwischen Putzplan und Altglaslager. Im Literaturhaus Köln habe ich etwa in derselben Frequenz klassische Lesungen moderiert, also die Lesungsteile gerahmt und Gespräche mit den Schriftstellerinnen und Schriftstellern angestoßen, ich hoffe, dass das weiterhin so gut klappt. Und dann kommen natürlich immer wieder Moderationen außerhalb Kölns hinzu, auf Festivals oder in Kultureinrichtungen. Ich habe dabei den Eindruck gewonnen, dass jemand, der sich über Jahre um einen Stoff und eine Sprache dafür bemüht hat, immer eine äußerst spannende Gesprächspartnerin bzw. einen äußerst spannenden Gesprächspartner abgibt: Da wird scharf gedacht und sorgfältig formuliert, stets geht es wirklich um etwas, und nicht selten sind es wirklich beglückende Begegnungen, weil sie in gemeinsames Nachdenken ausarten, gemeinsam mit dem Publikum. Die Rolle des Moderators besteht übrigens meiner Erfahrung nach darin, ab einem gewissen Zeitpunkt der Sache bloß nicht mehr im Weg zu stehen. Leidenschaftlich und konzentriert zuhören wollen, das ist schon der Großteil des Jobs, denke ich.

TG: Magst du vielleicht noch etwas zu deinem Debütroman sagen?

Strasser: „Hasenmeister“ erzählt von einem jungen Violinisten, der sich in einer Übezelle eingeschlossen hat. Vor der Tür wartet das Chaos: Seine ihn manisch suchende Geliebte, Karrieretrümmer, eine mysteriöse Lehrerin und eine diabolische Vaterfigur. Der Protagonist verheddert sich in Erinnerungen, während er eigentlich nach einem Ausweg sucht. Und erzählt dabei eine hoffentlich interessante Menge über Musik und Medizin, Ambitionen und Scheitern und den Hang des Lebens, tragisch zu verlaufen, wenn man sich mit tragischer Materie befasst.

TG: Gibt es Themen, die dich besonders beschäftigen?

Strasser: Klar, viele. Mein Steckenpferd in dieser Hinsicht ist zugleich der Grund, warum ich im literarischen Bereich arbeite: Kommunikation. Ich glaube, dass wir noch und immer wieder schlecht kommunizieren, uns unzureichend austauschen, den Dialog abbrechen lassen – und dass darin häufig genug der Grund für privates Unglück wie politische Irrwege liegt. Konkret meine ich, dass sich zum Beispiel rechtsnationale Strömungen aus einer Frustration, einem Gefühl des Nicht-verstanden-werdens speisen – und dass eine gelingendere Kommunikation der Anfang sein kann, um diese Strömungen aufzufangen. Klar, dass Sprache dabei das Basismedium sein muss, weshalb ich einen versierten wie verantwortungsvollen Umgang damit enorm wichtig finde. Und so hängen viele Themenfelder, für die ich mich interessiere, am Ende mit der Sprache zusammen, damit, wie wir über etwas nachdenken können, so differenziert und klar wie möglich. „Wir müssten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren“, hat Büchner in „Dantons Tod“ verlangt. Recht martialisch, aber wenn wir das könnten, uns dem wenigstens annähern könnten, dann gäbe es viele Probleme nicht, davon bin ich naiv wie leidenschaftlich überzeugt.

TG: Wenn Geldverdienen kein Thema wäre, was tätest du dann am liebsten?

Strasser: Dazu hatte ich neulich mit einem Freund in Köln einen sehr norddeutschen Dialog, den ich an dieser Stelle ungekürzt zitieren möchte.

Freund: Wenn Geldverdienen kein Thema wäre, was tätest Du dann am liebsten?
Tilman: Eigentlich dasselbe wie jetzt.

Freund: Ich auch.

Tilman: Vielleicht ein bisschen weniger Routine hier.

Freund: Joah.

Tilman: Und ein bisschen mehr Experiment da.

Freund: Joah.

(Pause)

Freund: Und: Von Dezember bis März würd ich nicht in Deutschland wohnen.

Tilman: Zu kalt?

Freund: Zu kalt.

TG: Hört sich für mich geradezu norddeutsch an. Vielen Dank für den Moment! Wir wünschen dir einen guten Aufenthalt bei angenehmer Hitze, anregende Gespräche – und natürlich allzeit viel Tinte unterm Federkiel!

(Das Interview für ´Tiefgang` führte Sonja Alphonso)

Lesung: im Rahmen der „Harburger Auslese“ in der Kulturwerkstatt Harburg, Kanalplatz 6, 21079 HH am Mo., 22. Okt.. Weitere Lesungen sind geplant.

 

HASENMEISTER

Gebunden, 240 Seiten, € 24,95; Salis Verlag; ISBN: 978-3-906195-25-4

Zur Person: Tilman Strasser, geboren 1984 in München. Studierte in Düsseldorf Germanistik und in Hildesheim Kreatives Schreiben. Während des Studiums moderierte er Lesebühnen, Poetry Slams und Radiosendungen, organisierte ein Theaterfestival und leitete ein Online-Magazin. Inzwischen schreibt er Drehbücher und Zeitungsartikel. Für die Arbeit an »Hasenmeister« erhielt er unter anderem das Literaturstipendium der Stadt München. Er lebt bevorzugt in Köln, manchmal auch in Berlin.

 

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