Hamburgs Ruf als Musikmetropole ist unbestritten. Doch jenseits des Glanzes, den das Reeperbahn Festival auch dieses Jahr wieder auf die Stadt wirft, verbergen sich die komplexen Herausforderungen einer Branche, die sich in einem tiefgreifenden Wandel befindet.
Beim jüngsten Musikdialog, zu dem Hamburgs Senator für Kultur und Medien, Dr. Carsten Brosda, die Spitzenvertreter*innen der deutschen Musikwirtschaft geladen hatte, wurde genau diese Zukunft leidenschaftlich und fundiert diskutiert. Es war eine Zusammenkunft, die in ihrer Essenz das Motto des Festivals „Imagine Togetherness!“ spiegelte: der Versuch, die drängenden Fragen der Branche in Solidarität zu beantworten.
In einer Welt, in der sich die Wertschöpfungsketten durch Streaming-Dienste verschoben haben und der wirtschaftliche Druck auf Live-Veranstaltungen wächst, steht die Musikbranche vor einem Scheideweg. Was sich wandelt, ist das gesamte Ökosystem: die Art und Weise, wie Musik konsumiert, finanziert und verbreitet wird. Festivals fungieren in diesem Wandel als ein entscheidendes Korrektiv, eine Art „Hochgebirge“, das es zu bezwingen gilt.
Ein zentraler Pfeiler der Konferenz war die erste umfassende, spartenübergreifende Studie zur Lage der Musikfestivals in Deutschland. Die Untersuchung, ein Gemeinschaftsprojekt der Initiative Musik, der Bundesstiftung LiveKultur und des Deutschen Musikinformationszentrums (miz), liefert handfeste Beweise dafür, dass Festivals mehr sind als nur kurzlebige Veranstaltungen. Ihre ökonomische, kulturelle und soziale Bedeutung ist immens. So zeigen die Daten, dass bundesweit jährlich rund 51.000 Konzerte auf Festivals stattfinden. Eine erstaunliche Zahl, die die Vitalität der Szene unterstreicht. Doch die wahre Bedeutung liegt in den Details: Fast 40 Prozent dieser Auftritte bieten Nachwuchskünstler*innen und -ensembles eine essenzielle Bühne, und 60 Prozent der Festivals beleben Gemeinden mit weniger als 100.000 Einwohner*innen. Dies ist keine Nebensache, sondern ein handfester Beweis für ihren Beitrag zur kulturellen Vielfalt und zur nachhaltigen Entwicklung der Musiklandschaft, insbesondere in nicht-urbanen Regionen. Die Festivals erweisen sich als die tragenden Säulen der musikalischen Demokratie.
Die Studie zeigt vor allem, dass die wirtschaftliche Lage vieler Festivals angespannt ist: Die durchschnittlichen Einnahmen von rund 313.000 Euro stehen Ausgaben von etwa 296.000 Euro gegenüber. Doch die Marge ist trügerisch, denn nur 15 Prozent der Festivals erzielen tatsächlich Gewinne, während ganze 30 Prozent mit einem Verlust abschließen. Die Finanzierung ist dabei eine Gratwanderung: Der größte Kostenfaktor sind die Künstler*innenhonorare, die durchschnittlich 38 Prozent der Ausgaben ausmachen. Auf der Einnahmenseite dominieren bei den Popularmusikfestivals Ticketverkäufe (39 Prozent), während sich Klassikfestivals primär über öffentliche Zuschüsse (40 Prozent) finanzieren.
Ein weiteres spannungsgeladenes Detail der Studie ist die Gagenverteilung, die die stark hierarchisierte Struktur der Honorierung im Festivalbereich schonungslos offenlegt. Während Hauptacts und Headliner im Schnitt 7.323 Euro pro Auftritt verdienen, erhalten Nachwuchskünstler*innen durchschnittlich lediglich 522 Euro – eine Spanne, die das ungleiche Gewicht der Marktteilnehmer*innen aufzeigt und die drängende Frage nach den Entwicklungschancen für neue Talente unterstreicht.
Der Bogen von den Festival-Erkenntnissen zur Solidarität in der Branche war kurz. Der Direktor des Reeperbahn Festivals, Detlef Schwarte, sprach in einem eindringlichen Impulsvortrag einen direkten Appell an alle Beteiligten aus: „Es braucht eine zukunftsstrategische Diskussion darüber, wer welchen Beitrag zur Zukunft des Musikökosystems leisten möchte oder auch leisten muss.“ Diese Worte verdeutlichen, dass es nicht mehr nur um das bloße Überleben geht, sondern auch um eine bewusste Gestaltung der Zukunft. Dr. Carsten Brosda untermauerte diese Botschaft mit den Worten: „Nur gemeinsam können wir den Wandel in der Branche erfolgreich meistern.“
Das, was an der Reeperbahn auf den Bühnen geschieht, ist die sichtbare Spitze dieses Eisbergs. Aber das, was im Hintergrund diskutiert wird, hat das Potenzial, die Art und Weise, wie Musik gemacht und erlebt wird, grundlegend zu verändern. Es ist die Aufgabe auch von uns Musikjournalist*innen, diese komplexen Zusammenhänge zu entwirren und die fachliche Tiefe der Diskussionen für ein breites Publikum erfahrbar zu machen. Ob es sich um das Reeperbahn Festival oder die bald stattfindende SuedKultur Music-Night handelt, es geht immer um das gleiche Prinzip: Die Musikbranche als ein empfindliches, vernetztes Ökosystem zu verstehen, in dem Solidarität und Zusammenarbeit die einzigen Wege sind, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.
