Künstlersozialkasse: Sozialgericht Hamburg prüft Urteil des Bundessozialgerichts

Kunstunterricht für sozial Benachteiligte, Flüchtlinge oder Behinderte ist keine Kunst?

Ob manch` Arbeit Kunst oder eher Sozialarbeit ist: hinter dieser Tür soll es sich klären. (Foto: Justiz Hamburg)

Kunst & Kultur für geflüchtete, behinderte oder sozialschwache Menschen? Tolle Sache, sagen die Kommunen und fördern diese Projekte. Die Künstlersozialkasse sieht das aber ganz anders. In Hamburg geht es nun sogar vor Gericht.

Ein Beitrag aus aktuellem Anlass von Rechtsanwalt Andri Jürgensen, Kanzlei für Kunst, Kultur und Medien:

„Wer als freischaffender Künstler Musik-, Tanz- oder Schreibworkshops durchführt und die Aufnahme in die Künstlersozialkasse (KSK) begehrt, muss seine Schüler unterteilen: In normal besetzte Gruppen und Gruppen, die sich vor allem an Kinder aus sozial schwachen Stadtteilen, bildungsfernen Familien, solchen mit Migrationshintergrund oder gar mit Behinderungen richten andererseits. Denn nur der Unterricht für Kinder ohne soziale Komponente ist auch Kunst im Verständnis der KSK. Workshops für sozial benachteiligte Jugendliche, Ausländer oder Kinder mit Behinderungen werden als soziale Arbeit eingestuft – mit diesen Projekten kommt man als Künstler nicht in die KSK. Das gilt selbst dann, wenn die Unterrichtsinhalte vollkommen identisch sind!

Kunstunterricht nur ohne soziale Ader

Die Auffassung der KSK stützt sich auf zwei Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) aus dem Jahre 2009 zum Kindertanz und zur musikalischen Früherziehung. In diesen Urteilen hatte das BSG eine Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung vorgenommen: War bis dato die Zielrichtung des Unterrichts irrelevant, solange nur mit künstlerischen Mitteln gearbeitet wurde, spielte fortan die Zielrichtung die entscheidende Rolle. Nur wenn der Unterricht ausschließlich dem eigenen Schaffen von Kunst durch die Schüler dient, handelt es sich auch um Kunst im Sinne der KSK. Wenn die Kunst aber ein Mittel ist, um andere Ziele (sozialer oder allgemein- pädagogischer Art) zu erreichen, fällt die Tätigkeit aus dem Kunstbegriff der KSK heraus.
Die Folge: Tanz- oder Theaterprojekte, Mal- und Schreibworkshops, die auf die Integration von zugereisten Kindern, dem Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile oder der Inklusion von Behinderten zielen, fallen aus dem Raster der KSK, auch wenn es faktisch eine rein künstlerische Arbeit ist. Die Gesellschaft lässt die unterrichtenden Künstler, die für diese Arbeit meist auch schlecht bezahlt werden, bei der sozialen Absicherung im Regen stehen.

Das Urteil des Bundessozialgerichts hat dann seine Berechtigung, wenn eine Lehrkraft mit einer Gruppe z.B. bestimmte soziale Verhaltensweisen einüben will und sich dafür etwa eines Rollenspiels bedient oder wenn gezielt Musiktherapie als Therapiemittel eingesetzt wird. Die KSK aber knüpft in ihrer Verwaltungspraxis allein schon daran an, ob sich ein künstlerischer Workshop vorwiegend an Ausländer, Behinderte, sozial Benachteiligte oder Alte richtet – losgelöst von den eigentlichen Inhalten des Workshops.

Der Ball liegt beim SG Hamburg

Dem SG Hamburg liegt die Klage einer selbständigen Tanzlehrerin vor, welche die Zuschüsse der KSK zur Kranken- und Rentenversicherung in Höhe von 50 % der gesetzlichen Beiträge beantragt hatte. Ihr Antrag wurde von der KSK abgelehnt, da sie für eine private Stiftung in Hamburg Bühnenprojekte an allgemeinbildenden Schulen durchführt, wobei Schulen aus wirtschaftlich benachteiligten Stadtteilen im Fokus stehen. Das Argument der Klägerin: Ob sich ein künstlerischer Workshop an normale Schüler oder an solche aus benachteiligten Stadteilen richtet, kann für sich keinen Unterschied bei der Versicherungspflicht machen. Denn sie, die Lehrerin, arbeitet mit beiden Gruppen vollkommen identisch.“

(02. Jun. 2017, RA Andri Jürgensen)

Weiterführende Links:

kskforum.de

www.kunstrecht.de

Termin für die mündliche Verhandlung am Sozialgericht Hamburg, Dammtorstraße 7, 20354 Hamburg, ist der 8. Juni 2017, 10 Uhr im Zimmer 202.

Zur Tragweite des Gerichtsverfahrens und den Hintergründen in der Auslegung der KSK werden wir weiter berichten.

 

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