Von ‚Gastarbeitern‘ und Wegbereitern

50er Jahre: Ankunft von Gastarbeitern am Bahnhof Hamburg-Harburg (Foto: Staatsarchiv HH)

Gast-Arbeiter war von jeher ein irreführender Begriff. Nun wird aufgearbeitet und erste Zwischenergebnisse werden in Harburg präsentiert.Warum sind seit den 1950er-Jahren „Gastarbeiter*innen“ nach Harburg gekommen und hiergeblieben? Wie haben sie gelebt und gearbeitet? Und inwiefern waren die „Gastarbeiter*innen“ von damals die Wegbereiter*innen für die heutige migrantische Vielfalt in Harburg? Diesen Fragen widmet sich ein Temporary History Lab, das am 6. September 2023 um 16 Uhr im Harburger Rathaus durch Bezirksamtsleiterin Sophie Fredenhagen eröffnet wird.

„Von „Gastarbeitern“ und Wegbereitern ist keine klassische Ausstellung“, erklärt einer der Initiatoren, Nils Steffen, gegenüber „Tiefgang“. „Wir verzichten bewusst auf den Begriff, weil er suggeriert, dass Ergebnisse präsentiert werden. Stattdessen wird es ein Temporary History Lab: Wir präsentieren Fragmente, Geschichten und Fragen – und wollen damit einen Impuls setzen, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die ihre eigene Migrationsgeschichte in Harburg erzählen möchten. Dahinter steht natürlich die Erkenntnis, dass die Migrationsgeschichte im Hamburger Süden bislang absolut unzureichend erforscht ist.“

Aus Italien, Spanien, Portugal, Griechenland und der Türkei kamen Menschen, um hier zu arbeiten. Seit den 1950er Jahren wurden sie als sogenannte Gastarbeiter*innen angeworben. Einige gingen zurück, andere blieben hier – und sie alle trugen einen Teil zu Deutschlands Wohlstand bei. „Doch wir wissen viel zu wenig von ihnen und ihren Geschichten“, sagt Nils Steffen, Historiker an der Universität Hamburg und Initiator des Projekts. Mit Studierenden der Public History hat er sich auf die Suche nach historischen Spuren der sogenannten Gastarbeiter gemacht – und wenig gefunden. Projektpartner Stephan Kaiser vom Kulturhaus Süderelbe betont: „Migrationsgeschichte ist im Hamburger Süden zwar ein wichtiges Thema, aber eines, das bislang kaum erforscht ist.“

Fast 50% der Harburger*innen haben eine Migrationsgeschichte. Aus den „Gastarbeiter*innen“ von damals, ihren Kindern und Enkeln sind heute vielfach Gastgeber:innen geworden. Das Temporary History Lab bringt Vergangenheit und Gegenwart zusammen. Spuren aus der Geschichte treffen auf Stimmen von heute. Die Geschichtsstudierenden haben hierzu Interviews mit Unternehmern aus der Region geführt. Das Projektteam lädt die Besucher*innen ein zum Entdecken, Nachdenken und Mitmachen: Gesucht werden Erinnerungen, historische Dokumente und Fotos zur Migrationsgeschichte im Bezirk seit den 1950er Jahren. Hierzu besteht Gelegenheit bei zwei offenen Treffen: „Erzähl deine Geschichte!“ heißt es am 18. und 28. September, jeweils von 15 – 18 Uhr.

Zwei besondere Veranstaltungen begleiten das Lab:

  • Am Abend des 8. September lesen die Daughters und Sons of Gastarbeiters um 18:30 Uhr im Großen Saal des Harburger Rathauses. Das Literaturkollektiv mit Autor:innen unterschiedlicher Herkunft setzt sich künstlerisch-performativer Form mit ihren Familiengeschichten auseinander. Die erzählten Geschichten leisten einen Beitrag zur Erinnerungskultur in Deutschland und festigen damit das Selbstverständnis der Einwanderer in der deutschen Gesellschaft. Eintritt frei.
  • Musiker und Filmemacher Nedim Hazar feiert am 26. September um 18 Uhr im Jola (Kulturhaus Süderelbe, Am Johannisland 2, 21147 Hamburg) die Hamburg-Premiere seines neuen Kinofilms „Deutschlandlieder – Almanya Türküleri“. Der Film erzählt von den Gefühlen der Menschen, die nach Deutschland kamen: Von der Ankunft der ersten türkischen „Gastarbeiter*innen“ bis heute – Lieder von Liebe und Verlust, von schlechten Arbeitsbedingungen und Ausländerfeindlichkeit, Lieder von wachsendem Selbstbewusstsein und wehrhaftem Hip-Hop, ohne den keine deutsche Hitparade mehr denkbar ist. Eintritt frei.

Die kostenlose Ausstellung kann bis zum 29. September 2023, montags bis donnerstags von 8 bis 16 Uhr und freitags von 8 bis 14 Uhr (am Freitag, 08. September 2023 im Rahmen des Harburger Rathausfestes bis zum Ende der Lesung) im Harburger Rathaus besichtigt werden. Ein barrierefreier Zugang zu einem Teil der Ausstellung ist über den Innenhof des Rathauses per Fahrstuhl möglich. 

„Von ‚Gastarbeitern‘ und Wegbereitern“ ist ein Projekt des Arbeitsfeldes Public History der Universität Hamburg in Zusammenarbeit mit dem Kulturhaus Süderelbe. Es wird unterstützt durch die Landeszentrale für politische Bildung Hamburg, das Bezirksamt Harburg, die Lokalen Partnerschaften Harburg & Süderelbe sowie Unternehmer ohne Grenzen e. V.

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