Hausbrucher Fotograf dokumentiert städtebauliche Improvisationen:

Ästhetik des Behelfsheims

Dauerhafte Provisorien mit ganz eigenem Charme und Charakter: Behelfsheime. (Foto: Philip Meuser)

Manches im Stadtbild war nur übergangsweise, quasi als Notbehelf, gedacht und überdauerte doch länger. Hier findet sich oft eine Ästhetik der ganz eigenen Art. Eine Fotoausstellung nahm sich dem nun an – mit Erfolg!

Am 19. September 2020 und in Anwesenheit der Fotografen Enver Hirsch und dem in Hausbruch lebenden Philip Meuser wurde die Foto-Ausstellung „Behelfsheim“ in der FREELENS Galerie, Alter Steinweg 15 am Hamburger Großneumarkt eröffnet.

Während und kurz nach Ende des zweiten Weltkriegs entstanden im zerstörten Deutschland hundert-tausende von Behelfsheimen, auch in-mitten von Kleingartenvereinen, da diese vom Bombardement der Alliierten weitgehend verschont geblieben waren. Konstruiert aus Trümmern oder einfachsten Baumaterialien, haben die meisten dieser Häuser seit ihrer Entstehung eine stetige bauliche Veränderung erfahren um sie strukturell oder räumlich aufzuwerten.

Die Zeit der Behelfsheime geht nun langsam dem Ende entgegen, da die Wohnform nicht länger geduldet wird: Wohnraum in der Stadt ist knapp und Kleingärten bieten sich der Stadt als Nachverdichtungsflächen an. Zwar wurden die ErstbewohnerInnen und ihre Nachkommen mit einem lebenslangem Bleiberecht ausgestattet, nach deren Auszug oder Tod werden die Häuser jedoch meist abgerissen oder auf die Größe einer Kleingartenlaube zurückgebaut.

Das Fotobuch „Behelfsheim“ beschäftigt sich mit dem Innen und Aussen dieser letzten existierenden Behelfsheime. Es verbindet künstlerisch-dokumentarische Fotografien mit historischen Grafiken, dem Protokoll einer surrealen Podiumsdiskussion und ordnet das Phänomen architekturgeschichtlich ein.

Hirsch und Meuser dokumentieren einen Häusertyp und dessen Materialität, bei dem Nachkriegsgeschichte sichtbar wird und schaffen die letztmögliche Dokumentation eines Provisoriums, das die Zeit bis heute überdauert hat.

Foto: Enver Hirsch

Zur Ausstellung wurde auch das Buch dazu vorgestellt. Die „taz“ urteilte: „Buch ist aber mehr als eine fotografische Bestandsaufnahme pittoresker Baurelikte: Hirsch und Meuser plädieren für ein anderes Verständnis von Stadt und Wohnen. Viele der vormaligen Behelfsheime haben sich zu stattlichen Wohnsitzen gemausert, es wurde angebaut und aufgestockt, was das Herz begehrt. Meuser sieht sie als aktuell – nicht nur in Hamburg – bedrohte, aber berechtigte Wohnform in einer vielfältigen Stadt, die mehr bieten muss als die Wahl zwischen Geschosswohnungsbau und unerschwinglicher Elbvilla.“

Enver Hirsch, geboren 1968 in Hamburg, studierte von 1989 bis 1992 Fotografie am Bournemouth and Poole College of Art and Design. Seit 1994 wird seine Arbeit international ausgestellt und in Büchern und Magazinen veröffentlicht. 2018 co-kuratierte er die Off-Triennale-Ausstellung »Sightseeing the Real«. In seinen persönlichen Projekten beschäftigt er sich meist mit den absurden Spuren, die Menschen im Laufe ihres urbanen Lebens zurücklassen. Enver Hirsch lebt und arbeitet in Hamburg.

Philipp Meuser, geboren 1986 in Hamburg, hat Fotografie an der HAW Hamburg studiert. Er hat dokumentarische Fotoprojekte in Israel, Spanien, den USA und Deutschland realisiert. Seine Arbeiten werden international ausgestellt und erscheinen in zahlreichen Magazinen. 2018 co-kuratierte er die Off-Triennale-Ausstellung »Sightseeing the Real«. Er ist Teilnehmer bei »Parallel-European Photo Based Platform« und erhielt zuletzt ein Arbeitsstipendium der Claussen-Simon-Stiftung. Philipp Meuser lebt und arbeitet in Hamburg-Hausbruch. Einige Werke von ihm – etwa „Schierspassage“ aus dem Hamburger Gängeviertel – sind in der Kunstleihe Harburg www.kunstleihe-harburg.de zu sehen und leihbar.

Das Fotobuch Behelfsheim, 2020

Foliengeprägtes Leinen-Flexcover, fadengeheftet, 21 x 25,5 cm, 148 Seiten, 2 Ausklappseiten, 51 Farbabbildungen, 53 historische Illustrationen, Texte von Holger Fröhlich, Julia Lauter & Jan Engelke (Englisch/Deutsch); Erste Auflage, 500 Exemplare; ISBN 978-3-00-065630-9, Veröffentlichung: September 2020; Preis: 35,00 €

Eine Rechnung mit ausgewiesener Mehrwertsteuer liegt bei.

 

Ausstellung:

  1. SEPTEMBER – 17. DEZEMBER 2020 Enver Hirsch & Philipp Meuser: Behelfsheim; FREELENS Galerie, Alter Steinweg 15, 20459 Hamburg, https://freelens.com/

Weiterführend: www.enverhirsch.com; www.philippmeuser.de

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