Serie: was war 2020 und was kommt 2021? – Autor Wilfried Abels

Aufstehen, Krönchen richten, weiter

Wilfried Abel

War 2020 einfach nur für die Tonne? Wir haben bei Kulturschaffenden nachgefragt. Heute der Harburger Autor und awsLit-Mitverleger Wilfried Abels.

Wie hat sich die Pandemie im Arbeitsalltag 2020 bemerkbar gemacht?

Mein beruflicher Alltag war dieses Jahr durch das Thema Digitalisierung geprägt. Durch den Shutdown im Frühjahr wurde das Thema Homeoffice bei mir, wie überall, extrem wichtig. Da ich von meinem Beruf her stark in die Technik eingebunden bin, bedeutete dies, dass ich durch den Lockdown eher mehr als weniger zu tun hatte. Viele Entwicklungen, wie verteiltes Arbeiten, Videokonferenzen, Cloud-basierte Dienste, die schon lange auf Sparflamme bei uns liefen, waren schlagartig von zentraler Bedeutung. Die damit verbundenen technischen Probleme zu lösen hat einen Großteil meines beruflichen Alltages geprägt.

Beim Thema Schreiben war es genau das Gleiche. Bei awsLiteratur kämpften wir das Jahr über genauso mit der Frage, wie wir unter Corona-Bedingungen weiterhin zusammenarbeiten konnten. Die regelmäßigen Treffen schlagartig zu virtualisieren, stellte uns vor etliche Hürden. Dabei gab es gar nicht mal grundsätzliche Probleme. Verlagsarbeit ist relativ gut über das Internet zu koordinieren. Nur waren wir natürlich nicht die einzigen, die da experimentierten. Deshalb ruckelten die Verbindungen häufig. Server kamen an ihre Grenzen und die eigene Technik wollte auch nicht immer, wie sie sollte. Diese ganzen „Kinderkrankheiten“ in Griff zu kriegen, war die Hauptschwierigkeit.

Wie weit werden die Nachwirkungen nachhallen?

Gute Frage. Ich denke, dass es noch lange dauern wird, bis sich alles wieder halbwegs normalisiert haben wird. Und wie die Kulturbranche das alles überleben wird, ist, glaube ich, noch gar nicht absehbar. Es ist ja nicht so, dass diese Branche große Polster gehabt hätte, von denen sie hätte lange Überwintern können. Insofern fürchte ich, dass dort ein heftiger Kahlschlag stattfinden wird.

Andererseits ist noch nicht absehbar, was für neue Entwicklungen stattfinden werden. In diesem Jahr wurde ja überall extrem viel mit Online-Formaten geübt und herumgespielt. Ich denke, davon wird einiges übrigbleiben, auch wenn Präsenzveranstaltungen wieder möglich sein werden. Ich habe mich die letzten zehn Jahre sowohl mit Präsenz- als auch mit Online-Veranstaltungen beschäftigt. Und wenn ich bei dem ganzen Drama vielleicht einen Hoffnungsschimmer am Horizont sehe, dann ist es der, dass vielleicht diese beiden Arten des kulturellen Austausches einen Weg zueinander finden.

Was waren 2020 die gravierendsten Entwicklungen?

Nun, das, was ich persönlich am stärksten erlebt habe und wovon ich am meisten betroffen war, war die „Zwangsdigitalisierung“ in Deutschland. Ich hätte mir Anfang letzten Jahres nicht im Traum vorstellen könne, wie heftig in 2020 auf allen Ebenen kurzfristig auf digitale Medien umgestellt wurde. Von meinen Kindern im Home-Schooling, über meinem Beruf an der TU, bis hin zu all den Onlinepräsentationen im kulturellen Bereich. Dass ich noch zu meinen Lebzeiten in Deutschland eine, wenn auch zwangsweise, flächendeckende Akzeptanz digitaler Medien erlebe, hätte ich nicht zu hoffen gewagt.

Was hat 2020 an neuer Kreativität hervorgebracht?

Ich hatte den Eindruck, dass 2020 ein extrem kreatives Jahr gewesen ist. Und zwar auf allen Ebenen. Bei allem Leid, dass das Jahr hervorgebracht hat, war ich doch fasziniert, was auf einmal alles ging, was noch Wochen vorher undenkbar gewesen war. In Verwaltungsprozessen, im Schulsystem, aber auch gerade im kulturellen Bereich.

Ich spürte in diesem Jahr an allen Ecken und Enden, wie Menschen auf einmal mit einer geradezu kindlichen Begeisterung Dinge angefangen und ausprobiert haben. Es ist ja nicht so, dass man eine Online-Lesung einfach dadurch macht, dass man einen Laptop hinstellt und ins Mikrofon spricht und dann die eins-zu-eins wie analog abgehaltene Lesung ins Internet stellt. Das kann man zwar machen. Der Erfolg von so etwas ist aber überschaubar. Doch die zentralen Fragen sind ja: Wie motiviere ich Zuhörer in einer digitalen Umgebung? Wie präsentiere ich meine Werke? Wie trete ich mit ihnen in einen Dialog?  Und hier spürte ich überall eine enorme Kreativität. Während ich die letzten Jahre häufig das Gefühl hatte, dass Menschen sich in ihrer Kreativität gebremst haben, um auch ja ernsthaft zu wirken und sich keine Blöße zu geben, so spürte ich diese Angst in diesem Jahr nicht. Es war halt für alle eine neue Situation, an die sich alle irgendwie anpassen mussten. Alle standen wie der Ochs vorm Berg und keiner hatte Angst mit unkonventionellen Projekten hinzufallen. Was funktioniert hat, wurde weiter gemacht. Und wenn was nicht klappte, hieß es einfach: „Aufstehen, Krönchen richten, weitergehen“.

Was war das persönlich einschneidenste Erlebnis in 2020?

Nun, das war meine eigene Corona-Erkrankung im Frühjahr (siehe auch ´Tiefgang` “Wir passte nicht ins Raster!“). Im Nachhinein bin ich froh, dass ich mir damals noch nicht so viele Gedanken über die Krankheit gemacht habe. Ich hatte da eine gewisse Naivität. Über Todesraten und Langzeitschäden habe ich mir da keine großen Gedanken gemacht. Ich dachte einfach: „Naja, jetzt geht es mir halt schlecht, aber ich werde schon wieder gesund.“ Das stellte sich ja auch im Nachhinein als richtig heraus. Aber mit meinem jetzigen Wissen würde ich da wohl nicht mehr so locker ran gehen.

Was ist für 2021 absehbar?

2021 wird bestimmt durch das Impf-Thema geprägt werden. Ich glaube  die Frage, wie zwischen Geimpften, Nocht-Nicht-Geimpften, Nicht-Geimpft-Werden-Könnenden und Impfunwilligen umgegangen wird, wird das Jahr massiv prägen. Sukzessiv wird hoffentlich wieder eine gewisse Normalität zurückkehren.

 Was wäre in 2021 wünschenswert?

Ich hoffe, dass die Menschen noch ein bisschen die Ruhe bewahren und sich gedulden. Ich hoffe, dass die Menschen nicht noch auf den letzten Metern ungeduldig werden und uns in eine dritte Welle rein treiben. Und dann hoffe ich natürlich, dass irgendwann wieder viel Normalität zurückkehrt, dass wir uns wieder treffen können, dass man sich wieder umarmen kann. Ich wünsche mir, dass man wieder real mit Menschen Lesungen und Museen besuchen kann, dass man wieder feiern kann oder einfach abends gemütlich irgendwo zusammen hocken und gemeinsam relaxen kann.

Und für die gesamte Kulturbranche hoffe ich, dass es bald schon wieder irgendwie losgehen kann. Ich hoffe, dass wir wieder Lesungen veranstalten können. Wir haben letztes Jahr trotz Corona erfolgreich einige Bücher veröffentlicht und ich wünsche all unseren Autoren, dass sie 2021 wieder Gelegenheit haben werden, ihre Werke auch real vor Menschen zu präsentieren. Ich hoffe da sehr, dass es wieder eine Suedlese 2021 geben wird.

Was wird von 2020 bleiben?

Gute Frage, ich denke 2020 wird langfristige Folgen haben. Den Menschen ist schmerzlich klargeworden, wie angreifbar unsere moderne mobile Gesellschaft ist. Die Erfahrung, dass so ein kleines unsichtbares Virus in der Lage ist, innerhalb weniger Wochen global die Gesellschaft lahm zu legen, wird noch sehr lange im Gedächtnis bleiben.

Auch wenn ich nicht glaube, dass man die Globalisierung ernsthaft zurückdrehen wird, so denke ich schon, dass das Thema Versorgungssicherheit und Verletzlichkeit von Lieferketten eine ganz neue Wichtigkeit erlangen wird.

 

Wilfried Abel,

Jahrgang 1971, ist Hobbyautor. Er schreibt hauptsächlich Kurzgeschichten aus dem fantastischen Bereich und hat erfolgreich an mehreren Schreibwettbewerben teilgenommen. Unter anderem wurde seine Kurzgeschichte „Wenn der Mond im Blut erwacht“ in der Anthologie „Schattenfeuer“ des DrachenStern Verlags veröffentlicht. Als Autor und bekennender Computer-Nerd ist die Verbindung zwischen Technik und Literatur bei ihm ein zentrales Thema. Der seit 2016 existierende Verlag awsLiteratur des Kulturvereins „Alles wird schön e.V“ wurde von ihm initiiert und wird bis heute von ihm geleitet.

www.aws-literatur.de

 

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