Dein inneres Kind künstlerisch erwecken

Unsere Kindheit prägt zeitlebens unsere Gefühle, unser Erleben und Verhalten. Mit der Kunst als Ausdrucksform können wir die alten Verletzungen unseres „inneren Kindes“ versorgen und die Heilung unterstützen.

von Ulrike Hinrichs

  • Wie wäre es, wenn du kein Projekt mehr wärst, das du verbessern musst?
  • Wie wäre es, wenn du mit all deinen hellen und dunklen Seiten genau richtig so bist?
  • Wie wäre es, wenn deine Aufgabe vor allem darin besteht, gut für dich zu sorgen?

Dein „inneres Kind“ kann dir beim heilenden Umgang mit dir selbst hilfreich zur Seite stehen. Das „innere Kind“ ist kein Therapiekonzept. Es gibt auch keine einheitliche Definition. Sinnbildlich verkörpert das „innere Kind“ die in der Kindheit gesetzten Muster in unserem Fühlen, Denken und Handeln. Das „innere Kind“ steht metaphorisch für unsere Erlebniswelten. Wir können das „innere Kind“ wie einen inneren Anteil betrachten, der seinerseits aus „vielen“ besteht. Das „innere verletzte Kind“ spiegelt unsere Wunden und unser erfahrenes Leid. Das „magische Kind“ oder auch „Sonnenkind“, wie Stefanie Stahl es in ihrem Buch Das Kind in dir muss Heimat finden nennt, zeigt unsere authentischen kindlichen Impulse von Neugier, Abenteuerlust, Spontanität und Kreativität.

Traumatische Bindungserfahrungen

Das „innere Kind“ können wir uns je nach Situation und Problem in einem unterschiedlichen Alter vorstellen. Das verletzte innere Kind meldet sich vor allem dann, wenn wir in emotionalen Stress geraten. Wenn frühe Bindungserfahrungen etwa von Gewalt, emotionaler Vernachlässigung, Abwesenheit der Bezugsperson, chaotischen Familienstrukturen (Unsicherheit) oder unvorhersehbaren Reaktionen der Eltern geprägt waren, dann wirkt sich das grundlegend auf unser Leben und die Beziehungen aus.

Unser emotionales Gedächtnis aus der Kindheit wird besonderes in Krisenzeiten getriggert. Unter Ausschluss unseres präfrontalen Cortexes, der zuständig für planerisches Denken ist, fallen wir auf uralte Überlebensmuster zurück. Das sind zunächst Angriff oder Flucht. Ist beides nicht möglich, so kommt es zur Erstarrung, bei chronischer Bedrohung zum Totstellreflex. Erstarrung und Totstellreflex werden oft synonym verwendet und sehen auf den ersten Blick sehr ähnlich aus. Bei der Erstarrung sind Betroffene allerdings weiter unter dem Einfluss eines extrem hohen Energielevels (hohe Anspannung), um die Chance zum Angriff oder der Flucht aufrechtzuerhalten. Hält die Bedrohung jedoch dauerhaft an, kommt es zu einem inneren Zusammenbruch. Der Totstellreflex zeigt sich in einem tiefgreifenden Aufgeben aller Impulse zur Selbstbehauptung. Dieser kann sich auch in einer Form der Unterwerfung und Überanpassung ausdrücken, was zur Selbstaufgabe und einem Verlust der eigenen Identität führt. Charakteristisch für alle Überlebensstrategien ist, dass Gefühle abgespalten werden (Dissoziation).

Erlernte Stressmuster

Neben unseres eingebauten Überlebensprogramms kommen in Stresssituationen auch die erlernten Muster aus der Kindheit auf den Plan. Wenn man in toxischen Familienstrukturen aufgewachsen ist, dann ist eine häufige Folge, sich nicht fühlen zu können oder seinen Gefühlen nicht zu vertrauen. Denn wenn ein Kind lernen musste, Gefühle und Schmerz zu unterdrücken, dann begreift es schnell, dass Fühlen sehr gefährlich ist. Betroffenen fällt es dann auch im späteren Leben besonders schwer, sich zu fühlen und selbstfürsorglich mit sich umzugehen.

Doch das Unterdrücken, Ignorieren oder Analysieren von Gefühlen bringt diese nicht zum Verschwinden, so auch die Psychologin Stephanie Konkol in ihrem empfehlenswerten Buch Die tiefe Ruhe deiner kraftvollen Präsenz. Sie brodeln unter der Oberfläche weiter und entladen sich in Stresssituationen oft explosionsartig. Weitere Anzeichen für ein „verletztes inneres Kind“ durch traumatische Bindungserfahrungen sind z.B.: fehlendes Vertrauen, große Verlustangst, Angst vor Nähe, Selbstsabotage, Machtstreben, Kontrollverhalten und Perfektionismus. Zum Perfektionismus siehe auch meinen Beitrag auf Tiefgang Tschüss Perfektionismus

Kunst hilft dir, das innere Kind zum Leben zu erwecken.

Was hilft, um das verletzte „innere Kind“ zu unterstützen? Für viele Menschen ist das „innere Kind“ ein schwer greifbares Konzept. Die wichtigste Erkenntnis ist erstmal, dass du deinem „inneren Kind“ nicht mit klugen, rationalen Argumenten kommst. Denn das verstehen Kinder nicht. Versorge es stattdessen so, als wärst du selbst die liebende Mutter und der liebende Vater. Wenn du mit deinem kindlichen Anteil in Kontakt kommen möchtest, dann musst du ihm kindgerecht begegnen. Daher ist es überaus hilfreich, wenn wir uns das „innere Kind“ bildlich vorstellen und es im künstlerischen Prozess sichtbar machen.

Kreativer Impuls für dein „inneres Kind“

Wenn du in einer Krise steckst, bei der du dein „inneres Kind“ mit einbeziehen möchtest, dann suche dir ganz intuitiv ein Kinderfoto von dir. Wie alt du darauf bist, ist unbedeutend. Das Foto, das dir begegnet, wird das richtige sein. Vertraue auf dein Unbewusstes und deine Intuition. Mit dem Foto kannst du kreativ arbeiten, indem du eine Kopie davon machst, die du für eine Collage nutzen kannst.

Siehe zur künstlerischen Arbeit mit Kinderfotos auch meinen Artikel auf Tiefgang: Kunst als Reiseführer für die Seele

Du kannst sodann einen Altar für dein „inneres“ Kind gestalten, wie wir es in meiner Frauengruppe „Frauenbilder“ gemacht haben. Damit du dir das besser vorstellen kannst, ist im Header ein Ausschnitt von meinem dreidimensionalen Altar abgebildet. Du brauchst neben deinem Kinderfoto einen Pappkarton (z.B. ein Schuhkarton), alte Zeitschriften, Klebe und eine Schere. Wenn du magst, dann kannst du auch Federn, Perlen, Steine, Muscheln, Stöcke, Stoffe usw. verwenden. Und dann leg intuitiv los.

  • Was braucht dein „inneres Kind“?
  • Welche Helfer:innen könnte es an seiner Seite haben?
  • Welche Ressourcen möchtest du ihm mitgeben?

Bei meinem Altar war es meine Oma, die schützend hinter der „kleinen Ulrike“ schwebt (Bild Header). Und ein Bild von Purzel, dem Dackel meiner Großeltern, durfte auch nicht fehlen.

Was braucht dein „inneres Kind“? Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass allein die kreative Arbeit an einem solchen Altar auch deinem „inneren Kind“ Glücksgefühle verschaffen wird. Denn Kinder lieben es, kreativ zu sein. Und dann horch genau hin, was es dir zu sagen hat.

Mehr Praxisbeispiel zur Selbstfürsorge findest du in meinem Buch Gymnastik für die Seele: Mit Pinsel und Farbe zu mehr Selbstmitgefühl.

Ulrike Hinrichs: Gymnastik für die Seele

Mit Pinsel und Farbe zu mehr Selbstmitgefühl

ISBN 978-3-99165-010-2

Buschmiede – Happy Balance

20,00 EUR

Mit 50 Praxisübungen und 73 farbigen Abbildungen

Das Cover-Bild stammt von der Harburger Künstlerin Yvonne Lautenschläger

Ulrike Hinrichs ist Gesprächstherapeutin, Kunsttherapeutin (M.A), Anwenderin Positive Psychologie und Autorin www.ulrikehinrichs.com

 

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