Die Söhne des Bürgertums

"Wohnen sie bei ihren Eltern, allein oder in Beziehungen?". Die AfD will forschen lassen. (Bild: anonymus.kollektiv)

Politik und Kultur könnten viel gemein haben. Nämlich den Austausch über verschiedene Perspektiven und Aspekte zu ein und demselben Umstand.

Bei der Politik etwa über den Zustand der Gesellschaft. Bei der Kunst und Kultur etwa um den Zustand der Ästhetik.

Nach der Bundestagswahl aber zeigt sich wieder: Politik scheint der Diskurs über Aspekte und Perspektiven abhanden zu kommen. Schuld sind eh immer die anderen. Die eigene Überzeugung oft eine Sache des „Preises“. Das werden wir nun in den Koalitionsverhandlungen wieder zugenüge erleben. Um so interessanter, dass eine Partei, die dem Vorurteil unterliegt, es so genau nicht mit Tatsachen zu nehmen, nun eine Studie einfordert. Und zwar eine zur „Soziologie der linken Gewalttäter in Hamburg“. Ja, genau. Es geht um die G-20-Krawalle und damit irgendwie auch immer um das Thema Rote Flora. Und nein, es kommt nicht von André Trépoll der Hamburger CDU, der gerne über die Zukunft der Roten Flora einen Volksentscheid herbeiführen will – oder zumindest bis zur Bundestagswahl wollte. Nein, der Wunsch kommt von der Alternative für Deutschland (AfD).

AfD und Studie? Das überrascht auf den ersten Blick. Und doch findet sich dies in einem Antrag der ´Drucksache 21/10381` der Hamburger Bürgerschaft.

Weniger erstaunlich, dass im Grunde die Antwort gleich mit geliefert wird:

„Ähnlich wie 1968 und den Folgejahren kann man (…) auch bei den heutigen Gewalttätern eine bürgerliche Herkunft vermuten. Es sind nicht diejenigen, die für 3,50 Euro als Tellerwäscher oder Landarbeiter schuften müssen, sondern eher diejenigen, die sich schicke Marken-Klamotten leisten können – egal, ob aus eigenem oder elterlichem Einkommen. Pier Paolo Pasolini, der italienische Filmemacher und Kommunist, hat über die 68er-Demonstrationen gesagt: „Die Söhne des Bürgertums bewerfen die Söhne der Arbeiterklasse mit Steinen“. Die Söhne der Arbeiterklasse sind die Polizisten, die für ein mäßiges Gehalt ihre Köpfe hinhalten, um den Rechtsstaat zu beschützen. Die Söhne des Bürgertums sind die Gewalttäter, die Kriminellen und Marodeure, die Steine und Flaschen auf die Polizisten werfen.“

Dennoch soll zu den Tätern erforscht werden, „welche Schulbildung, Studium und/oder Berufsausbildung haben sie? Wie kann ihre familiäre Herkunft soziografisch typisiert werden? Welche Berufe et cetera üben sie aus oder aus welchen Quellen finanzieren sie sich sonst? Wohnen sie bei ihren Eltern, allein oder in Beziehungen? Wie ist die Zusammensetzung nach Alter und Geschlecht? Wo – das heißt in welchen Zusammenhängen, Gruppen oder Institutionen – findet die politische Sozialisation, die Meinungsbildung und die Radikalisierung statt?“

Nun, man könnte auch solchen einen Antrag ignorieren, da er von den parlamentarischen Mehrheiten eh nicht angenommen werden wird. Um eine ernsthafte Bearbeitung des Antrages aber wird es der AfD auch nicht gehen. Und nicht nur ihr nicht. Die Fülle von Kleinen und Großen Anfragen in Bürgerschaft und Bezirksparlamenten ist selten so groß gewesen wie heute. Nicht unbedingt, um Transparenz und Aufklärung zutage zu fördern. Dafür waren diese Instrumente ja eigentlich mal bestimmt. Sondern um mit Mitteln der Demokratie Aufmerksamkeit auf Themenbereiche zu lenken und so im Grunde eben Politik zu betreiben.

Alle wären gut beraten, diese Art von Politik zu überdenken. Nicht nur wegen ihrer unaufrichtigen Art. Denn der Austausch über Wahrnehmungen und Perspektiven gehört ja eigentlich ins Parlament. Da wo geredet und diskutiert werden soll. Sondern auch, weil es die Verwaltung von den wirklich wichtigen Dingen abhält, wenn sie solche Anfragen beantworten muß, die sie natürlich auch immer so formulieren wird, dass sie fast aussagelos werden. Und Aussagelosigkeit wiederum ist dem Diskurs einer Demokratie erst recht abträglich.

Alternativ könnte man natürlich eine Studie zur Soziologie aktueller politischer Taten in Hamburg in Auftrag geben. Sie würde uns vermutlich mehr Aufschluss über echtes gesellschaftliches Wirken und symbolische Nullsummen-Agitation verschaffen. Und richtig: dem Antrag würde vermutlich auch nicht statt gegeben.

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