Rainer Jogschies´ Gedanken zur „großen“ und „kleinen“ Politik:

Wie in Bayern so in Harburg

Ob "große" oder "kleine" Politik: Hauptsache die "Performance" stimmt. (Foto: Bezirksamt Harburg)

Die „große“ und die noch kleinere „Politik“ – in Harburg und in Bayern: Woher kommt bloß die „Glaubwürdigkeit“ der Männer „für höhere Aufgaben“?

Gastbeitrag von Rainer Jogschies

Alles läuft bestens für die „etablierten“ Parteien der Bundesrepublik. Am schnellsten laufen deren Wähler, nämlich weg.
Das ist durchaus keine neue Entwicklung. Schon gar nicht hat es mit einer „Alternative“ für Deutschland zu tun. Alles Tamtam.
Die fortwährende tumbe Dreistigkeit, Wähler als Volldeppen zu behandeln, hat Tradition. Und sie lebt fort, im „Großen“ wie im lähmenden, ganz Kleinen.

Aber in den „großen“ Parteien mit ihrem sehr eigenen Realitätssinn stört das offenbar niemanden ernstlich – sie gestehen neuerdings unumwunden „Fehler“ bei ihrer „Performance“ ein und machen weiter so. Ob ein unfähiger „Spitzenbeamter“ beim öffentlichen Versagen auch noch von Sozialdemokratin Nahles befördert werden soll, oder ob eine CDU-Wissenschaftsministerin, die bei ihrer Doktorarbeiten betrog (bevor sie die Aufsicht über deutsche Hochschulen übernahm), beim Entdecktwerden auf eine sehr annehmlichen und einkömmlichen Posten beim Vatikan gehievt wurde, der eigentlich nur wirklich und nicht plagiatös Promovierten vorbehalten ist – man nimmt sich, was man kriegen kann und plustert sich dabei noch auf.

Und im Kleinen war es nie anders. Und es ist nach wie vor so: Da gab es im September 2018 beispielsweise eine „Wahl“ für das Amt des Bezirksamtsleiters in Harburg, einem Hamburger Bezirk voller sozialer und gesellschaftlicher Probleme. Sie waren in Jahrzehnten der bürokratischen Misswirtschaft unter der Aufsicht vorwiegend von Sozialdemokraten unübersehbar aufgehäuft worden: von einer schlimmer als durch die alliierten Bombardements zerstörten Innenstadt bis hin zur Verschlammung ganzer Dörfer mit giftigem Elbschlick, von Millionenverschwendung für Parkhäuser und Fußgängertunnels bis hin zur Milliardenausgaben für die Schließung von S-Bahn-Stationen. Alles über Jahrzehnte „geheim“ gehalten von einer selbstgefälligen Verwaltung so geschickt eingefädelt wie in Schilda und von der Mehrheitsfraktion und Koalierten oft binnen Sekunden abgenickt.

In diesem Herbst  sollte allerdings anders sein: Die Abgeordneten der Bezirksversammlung wollten erstmals das Bezirksverwaltungsgesetz berücksichtigen und den ebenso wichtigen wie lukrativen Posten nicht einfach wieder unter Parteifreunden verschachern, sondern – wie gesetzlich gefordert – öffentlich ausschreiben. Dass die Wahl wiederum bloß auf ein zudem noch eigenes „Verwaltungsgewächs“ fiel, die frühere Jugendamtsleiterin Sophie Fredenhagen, verwunderte Harburger schon nicht mehr.

Aber dass sich kurz vor der endgültigen Bestätigung durch die Bezirksversammlung noch jemand „seinen Hut in den Ring warf“, der Verwaltungsrichter Klaus Thorwardt, roch schon fast nach „Gegenkandidat“. So ist es in einer Demokratie nicht unüblich – außer offenbar in vielen deutschen Parlamenten bis hin zum Deutschen Bundestag, als beispielsweise die CDU vor kurzem ihren Fraktionsgeschäftsführer anders „wählte“ als von der Kanzlerin gewünscht.

Der weithin unbekannte Hutwerfer Thorwardt hatte zwar die Ausschreibungsfrist versäumt und sich lieber gleich „in den Ring“ begeben. So musste für ihn erst noch sein Nachbar, der frühere Marmstorfer SPD-Vorsitzende Rafael R. Pilsczek, „eine Lanze“ brechen, wie das Lokalblatt „Der neue Ruf“ berichtete. Pilsczek war zwar jahrelang „in der (politischen) Versenkung verschwunden“ gewesen, wie die Lokalreporter dessen Auftauchen kommentierten. Nur sah sich der selbsternannte „Qualitätsjournalist“ und Inhaber einer Sinstorfer Agentur für „reelle PR-Beratung“ Pilsczek „veranlasst, sich zum politischen Tagesgeschäft im Bezirk zu äußern“.

Denn sein Nachbar Thorwarth war von seiner Partei nicht mal gefragt worden! Obwohl laut Lanzelot Pilsczek „der es machen würde“ – und selbstverständlich nur „zum Wohle Harburgs und der SPD“. Seit „geraumer Zeit“, nämlich „schon seit zehn Jahren“ stünde der Hutlose „für höhere Aufgaben bereit“.

Da spielten Formalia wie eine Ausschreibung doch keine Rolle. Man solle doch nicht „auf Formalia mehr Gewicht“ legen als „auf Fachkompetenz“, so „erläuterte“ Rafael R. Pilsczek es den „Ruf“-Lesern: „Die Fachkompetenz in den so genannten ´harten´ Themen besitze Thorwardt als Richter ohne Wenn und Aber, und die ´weichen´ Themen könne sich Thorwardt – ´er hat ein großes Herz´ – natürlich erarbeiten.“

Und der „Ruf“ hallte weiter: „Im Grunde, fuhr er fort, gehe es darum, dass die Parteien in Deutschland- und ergo auch in Harburg – Akteure von Format benötigten, ein Kriterium, dem Thorwardt gerecht werde. Anderenfalls wäre die Glaubwürdigkeit von Politik in Gefahr.“

Die „Glaubwürdigkeit von Politik“ wurde gewahrt – Ego statt „ergo“

Sophie Fredenhagen wurde mit knapper Mehrheit „gewählt“ – obwohl nicht einmal bekannt war, ob auch sie „ein großes Herz“ hat. Mit wenigen Stimmen Mehrheit von SPD und Grünen ist die Beamtin von nun an bestens versorgt – denn auch wenn sie vor Ablauf ihrer Amtszeit aufgäbe und eine Kita statt des Bezirksamtes leitete, würde sie immer wieder auf der zweithöchsten Stufe der Hansestadt „besoldet“. Da könnte sie auch gleich „für höhere Aufgaben“ bereit stehen wie Staatsrat, das bisschen „Fachkompetenz“ hätte sie wohl schnell drauf… Und obwohl der Gedanken des Bezirksverwaltungsgesetzes war, dass Bürger auf Zeit als Leiter der Behörden gewählt würden und nicht Beamten aus deren Reihen, in die sie womöglich selber zurückkehren werden.

Egal, ob „Lanze“ gebrochen oder der Gedanken der Bürgerbeteiligung.

Die „Glaubwürdigkeit von Politik“ zumindest in Marmstorf und Sinstorf war schon dadurch gewahrt, dass Thorwardt sich „selbstverständlich“ bereit gehalten hatte – falls die formelle „Wahl“ der Kandidatin gescheitert wäre, so eilte ihm der „Ruf“ voraus.

So wie Donald Trump ja vor seiner Wahl auch angekündigt hatte, er würde sein Unterliegen bei jener Wahl, der er sich gestellt hatte, „nicht anerkennen“.

So ist derzeit wohl die große und die noch viel kleinere Politik, die unter Parteifreunden nach besten Kräfte demoliert wird: Ego statt „ergo“.

Immerhin haben Wähler noch eine Wahl in der Bundesrepublik – wenn auch keine sehr große angesichts solcher Parteien und Kandidaten. Sogar die Wahl, gar nicht zu wählen.

Was „große Politik“ ist, bestimmen allerdings immer noch Parteien, die zusehends kleiner werden in der Wählergunst, so wie zuletzt in Bayern. Die größer werden wie AfD oder Grüne, verdanken es laut neunmalkluger Kommentatoren den „Protestwählern“. Wer seine Stimme nicht bei denen abgibt, die ihn verarschen, der ist nicht ernstzunehmen, sondern Protestiert bloß?

So, als hätten Männer für „höhere Aufgaben“ und „Qualitätsjournalisten“ von allem Ahnung, nur nicht von der Wirklichkeit, nicht mehr gefragt worden zu sein?

Weiterführend zur Politik in Harburg und ihren kleinen Helden sowie den großmäuligen Tätern siehe

Rainer Jogschies: 21 Hamburg 90. Reportagen aus einem Stadtteil

Zur Bundespolitik und ihrer vermeintlichen Bürgernähe, siehe Klaus Paffrath/Johannes Goettsche: Kanzlerbonus. Roman

Und: nachttischbuch.de

 

 

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