Die Bundesregierung will noch vor der Sommerpause eine Reform des Wissenschaftsurheberrechts beschließen. Viele befürchten dramatische Folgen für Wissenschaftsverlage und die Presse. Auch die TU Hamburg-Harburg hat sich geäußert.
Es liegt derzeit ein Reformentwurf beim Bundesjustizministerium vor, der das wissenschaftliche Urheberrecht an sein digitales Umfeld anpassen will. Schnelle Verfügbarkeit von wissenschaftlichen Texten, pauschale Vergütung seiner Urheber. Damit zöge es einen Schlussstrich unter das bisherige Modell, nach dem Universitäten und Bibliotheken erst Lizenzen mit Verlagen abschließen müssen, bevor sie deren Erzeugnisse nutzen und verbreiten dürfen.
Nach künftiger Gesetzeslage könnten die Bibliotheken Bücher nach Belieben einscannen und für Forschung und Lehre 15 Prozent davon anbieten, und zwar ohne dafür an die Urheber zu zahlen. Das wirft natürlich die Frage auf, welcher Anreiz für Verlage noch bestehen soll, Lehrbücher und Zeitschriften zu verlegen, die hinterher in wesentlichen Teilen gratis kursieren.
Gratis im Namen der Wissenschaft
Der Gesetzentwurf geht noch in einem anderen Punkt weiter und erlaubte es jedem, einzelne Zeitungsartikel der Allgemeinheit zu Bildungszwecken kostenlos zur Verfügung zu stellen. Anders als für wissenschaftliche Publikation, die der Staat teilweise selbst finanziert, dürfen diese Zeitungstexte vollständig benutzt werden. Wer dann einzelne Zeitungstexte lesen möchte, könnte sie sich von der Bücherhalle oder Uni-Bibliothek frei nachhause senden lassen. Nicht nur das „Hamburger Abendblatt“ hätte ein Problem.
Hier zu den wesentlichen Punkten des „Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft“ (UrhWissG):
„Werke der Literatur, Wissenschaft und Kunst genießen den Schutz des Urheberrechts: Die Rechtsordnung gewährt den Urhebern und Werkmittlern Rechte, um die Ergebnisse des kreativen Schaffens zu kontrollieren und zu verwerten. Zugleich bestimmt das Urheberrecht die Schranken dieser Rechte: Sie regeln, welche Nutzungshandlungen gesetzlich erlaubt sind, ohne dass es einer Zustimmung des Rechtsinhabers bedarf. Gesetzlich erlaubte Nutzungen sorgen insbesondere dafür, dort Zugang zu geschützten Inhalten zu schaffen, wo vertragliche Systeme aus unterschiedlichsten Gründen keinen ausbalancierten Interessensausgleich zu schaffen vermögen.
Der vorliegende Entwurf setzt die Maßgabe des Koalitionsvertrages um, eine „Bildungs- und Wissenschaftsschranke“ zu schaffen. Er regelt also neu, welche urheberrechtlichen Nutzungshandlungen im Bereich Bildung und Wissenschaft gesetzlich erlaubt sind, ohne dass es einer Zustimmung der Urhebers und sonstiger Rechtsinhaber bedarf. Durch den Entwurf sollen das Urheberrechtsgesetz, das Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek und das Patentgesetz geändert werden.
Der Entwurf
- regelt die künftigen Nutzungsbefugnisse für Unterricht, Forschung und Wissensinstitutionen möglichst konkret;
- verzichtet so weit wie möglich auf unbestimmte Rechtsbegriffe;
- weitet die Nutzungsbefugnisse aus, soweit unionsrechtlich zulässig und fachlich geboten;
- koppelt die erlaubten Nutzungen i. d. R. an einen gesetzlichen Anspruch der Urheber auf angemessene Vergütung, der über Verwertungsgesellschaften geltend zu machen ist;
- enthält erstmals eine urheberrechtliche Regelung zum „Text and Data Mining“;
- regelt unter anderem die „Anschlusskopie“ bei der Nutzung von Terminals;
- bereinigt die vorhandenen Schranken-Vorschriften und
- fügt erstmals eine plausible Binnenstruktur in den hochkomplexen Abschnitt 6 des Urheberrechtsgesetzes zu den Schrankenbestimmungen ein.
Ergänzend sollen im Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek den Pflichtexemplarbibliotheken die Aufnahme elektronischer Pflichtexemplare in ihren Bestand sowie das sogenannte „Web-Harvesting“ (Archivierung frei zugänglicher Internet-Inhalte) und Zitationsarchive für bestimmte Web-Inhalte erlaubt werden. Durch eine Neuregelung im Patentgesetz soll das Deutsche Patent- und Markenamt die sogenannte Nichtpatentliteratur besser nutzen können als bislang.“
Quelle: www.bmjv.de
Der Kanzler der Technischen Universität Hamburg-Harburg, Klaus J. Scheunert, hat wie viele andere Institutionen den Entwurf kommentiert bzw. sich gemeinsam mit den Universitätskanzler*innen von Hamburg, Schleswig-Holstein, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern der Einschätzung der Kanzler*innen der Uni Dortmund angeschlossen. Diese begrüßen den Gesetzesentwurf, da er grundsätzlich geeignet sei, „der in hohem Maße durch Digitalisierung geprägten Lehre und Forschung an den Hochschulen einen angemessenen und rechtssicheren Rahmen zu geben. Besonders hervorzuheben sind die klaren Vorgaben im Gesetzestext, die in der Praxis eine erhebliche Erleichterung und Entlastung von juristischen Detailproblemen bedeuten werden. Jahrelange Rechtsstreitigkeiten mit ungewissem Ausgang, wie sie in den vergangenen Jahren den Arbeitsalltag an den Hochschulen stark belastet haben, können so in Zukunft vermieden werden. Durch die ausdrückliche Berücksichtigung von Text- und Datamining (§ 60d rhWissG-RefE) wird auch aktuellen Entwicklungen in der Forschung Rechnung getragen.“
Kaum noch gedruckte Lehrbücher?
Aber es gibt auch Kritik: „Wenn Lehrbücher in Lehrveranstaltungen durch frei zugängliche oder selbst erstellte Materialien faktisch ersetzt werden, dürften Studierende kaum noch daran interessiert sein, gedruckte Lehrbücher für ihr Studium zu erwerben. Insofern besteht die Gefahr, dass Verlagspublikationen gerade kleiner und mittlerer Wissenschaftsverlage auf längere Sicht massiv an Bedeutung verlieren. Diese Verlage aber sind ein wichtiger Bestandteil der wissenschaftlichen Publikationslandschaft.“
Auch die Bundestagsfraktion der CDU übt harsche Kritik, da die Novelle die Verlage und Autoren ihres Existenzrechts beraube. Der Bundesrat hingegen sieht die Pressefreiheit gefährdet. Kommt das Gesetz also überhaupt? Maas scheint es selbst unklar: Mal sagt er, es sei völlig offen, wie sich der Bundestag entscheide. Und sollte es kommen, dann nur in stark veränderter Form. Im „heute journal“ wieder hörte man: „Wichtig wäre, dass wir das Gesetz vor der Sommerpause verabschieden werden“. Wenn also dürfte es wieder ein Gesetzessüppchen von viele Köchen werden. Und hier liegt schon eines der grundlegenden Urheberrechtsprobleme.
(21. Jun. 2017, hl)