Der SuedLese- und Bestseller-Autor Wladimir Kaminer im Interview

„Russendisko in der Elbphilharmonie“

Wladimir Kaminer lebt seit 1990 in Berlin und wurde mit dem Buch „Russendisko“ landesweit zum Kult-Autor. Im April kommt er zur SuedLese nach Harburg. Grund genug, mal einiges im Vorfeld zu klären …

Tiefgang (TG): Mal eine nicht ganz so ernst gemeinte Frage zu Beginn: vor kurzem eröffnete die Elbphilharmonie, würden Sie dort auch mal gerne lesen?

Wladimir Kaminer: Lesen? Oder ob ich dort auflegen will? Ich habe neulich ein paar Bilder von dem Bau gesehen. Das wäre sicher toll, wenn ich dort lesen oder besser noch Platten auflegen dürfte. Wenn wir dort mal die `Russendisko´ machen. Warum nicht? Das würde sicher viel Spaß machen und wäre sicher auch für Hamburg ein klasse Event.

TG: Zu Ihrem Buch ´Meine Mutter, ihre Katze und der Staubsauger`, das Sie am 4. April bei der SuedLese vorstellen werden. Kann man es als eine Hommage an die Frau Mutter bezeichnen?

Kaminer: Eine Hommage? Nein. Ich weiß nicht. Eine Hommage würde ich es nicht nennen. Ich habe auch vorher schon über meine Mutter oder meine Schwiegermutter geschrieben. Aber es geht nicht um sie, sondern um die Geschichten, die sie als Menschen erleben. Es passiert so viel in der ganzen Welt, in der Weltpolitik. Und das Leben im Alltag kann dies gut aufzeigen. Meine Mutter ist jetzt 85 Jahre, sie hat viel erlebt und macht ganz viel, interessiert sich, geht in Konzerte … Aber im Supermarkt um die Ecke scheitert sie … Das ist es, worum es ja wirklich geht.

TG: Wie fand Ihre Mutter es denn, dass sie zum Sujet des Buches wurde?

Kaminer: Sie fand es toll. Sie hatte das Buch, glaube ich, als erste gelesen. Sie lachte und wunderte sich, was sie so alles in ihrem winzigen Leben macht. Sie fand es gut, dass ich es so wahrnehme.

TG: Ihre Mutter, Sie sagten es gerade selbst, ist 85, Sie selbst sind Ende 40 und Ihre Kinder dürften auch schon erwachsen sein. Würden Sie das die generationsübergreifende Geschichte einer Familienintegration nennen?

 Kaminer: Naja, das ist eine schwierige Frage. Denn was soll Integration denn sein? Integration setzt ja immer voraus, dass da etwas ist, was integriert. Aber wer oder was soll denn integrieren?

TG: Was halten Sie denn überhaupt von der aktuellen Integrationsdebatte?

Kaminer: Wissen Sie, Anfang der neunziger Jahre in Berlin war die Mauer gefallen, Häuser standen leer oder wurden besetzt, alles war in Aufbruch und hat sich neu erfunden. Wer sollte da wen integrieren? Seitdem hat sich Deutschland immer und immer wieder verändert. Deutschland ist heute ein sehr weltoffenes Land. Viele Leute ziehen hier her und leben hier in ihren Nischen …

TG:  Mir sagte neulich der bekannte Jazzmusiker Gunter Hampel, der Tanz- und Musik-Workshops mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen macht, dass man in Sachen Integration vielleicht bisher vergisst, auch unsere, die deutsche Kultur zu zeigen und nahe zu bringen … Dass man vergisst, sich auch der deutschen Kultur bewusst zu werden.

 

„Trump ist wie die Schlange von Adam und Eva“

 

Kaminer: Ja, da ist was dran. Er hat vermutlich recht. Kultur verbindet und durch sie lernt man die Menschen kennen. Ja, das ist wohl so. Und es ist wichtig.

Wissen Sie, überall auf der Welt spielt Politik verrückt und Menschen flüchten. Und Deutschland steht dabei für Freiheit und ist dabei vielleicht sogar die Speerspitze von gelebter Freiheit in ganz Europa!

TG: … a propos ´verrückt spielen`. Was sagen Sie denn zu Trump – wenn Sie dazu überhaupt etwas sagen wollen …?

Kaminer: Aber ja, will ich. Wissen Sie, ich habe einige Interviewanfragen und schreibe auch einige Kolumnen für verschiedene Zeitungen. Und auf einmal sagen alle, „aber bitte nichts zu Trump und Amerika. Dazu haben wir schon seit Wochen genug“. Und es ist ja so. Jeden Tag haben wir Schlagzeilen nur noch zu Trump.

Aber nun zu Trump: Trump ist ein absolut ungebildeter Mensch. Er ist wie die Schlange von Adam und Eva. Er erzählt den Leuten Lügen und verführt sie. Trump ist ein Verführer. Er ist mit so vielen Firmen und Projekten gescheitert und jetzt ist er drei Wochen im Amt. Man wird sehen, was daraus wird, wenn er seine Versprechungen nicht einhalten kann. Aber dass ausgerechnet Amerika, das immer viel vom Handel gelebt hat, nun dem Protektionismus verfällt … das wird nicht funktionieren.

TG: … vielleicht so etwas wie ein Kulturschock?

Kaminer: Ja, Kulturschock trifft es wohl ganz gut …

TG: Mal zu Ihnen als Kulturmensch. War das Schreiben schon immer Ihre große Leidenschaft?

Kaminer: Das Schreiben? Nein, vielleicht eher das Geschichtenerzählen. Ich bin eher ein Geschichtenerzähler. Denn das ist es, was von Menschen bleibt. Häuser gehen in Schutt und Asche, Menschen sterben. Aber was bleibt, sind ihre Geschichten. Und das ist mir wichtig. Daher sehe ich mich weniger als Literat.

TG: Es gibt ja noch mehr als das Wort und die Sprache. Wie war es mit der Malerei? Können Sie sich an Ihr erstes Bild erinnern, das Sie beeindruckt hat?

Kaminer: Mein erstes Bild? Ja, das hing in unserer Küche. Mein Vater hatte es vermutlich aus einer Zeitung irgendwo ausgeschnitten und an den Küchenschrank geklebt. Es war von (Pieter) Brueghel – eine Schneelandschaft und es verfolgte mich mein Leben lang. Ich dachte immer, so ist meine Heimat. Noch heute denke ich oft an das Bild.

TG: Und Theater? Hat Sie das auch beeinflusst?

Kaminer: Aber ja. Theater war in Russland schon immer sehr wichtig. Wenn man etwas erleben wollte, dann ging man ins Theater. Auch ich mag Theater absolut.

TG: Wie war es mit der Musik? Was hat Sie da beeinflusst oder geprägt?

Kaminer: In der Musik war es seit meiner Jugend die Underground-Musik. Die hat mir erstaunlicherweise meine Mutter immer besorgt. Durch sie bin ich überhaupt zu ihr dazu gekommen. Schon komisch …

TG: Noch mal zu Ihnen als Autor … es gab vor einiger Zeit ein Urteil zu den Urheberrechten von Autoren. Demnach muss die ´Verwertungsgesellschaft Wort` die Tantiemen ausschließlich an den Autor statt wie bisher auch an Verlage ausschütten. Viele Verlage fürchteten um ihre Existenz. Ist das ein Thema zwischen Ihnen und Ihrem Verlag?

Kaminer: Aber ja. Auch ich habe einen Brief bekommen, in dem ich unterschreiben sollte, dass ich auf Forderungen gegenüber meinem Verlag verzichte. Das habe ich auch getan. Verlage haben es schwer und als Autoren können wir froh sein, dass sie ihre Arbeit machen. Sie sind wichtig und müssen auch Entwicklungen mit gehen, die auch Geld kosten. Alle haben mal vom E-Book gesprochen und alle Verlage mussten hier auch Geld investieren. Aber viel gebracht hat es nicht. Heute sind gerade junge Menschen ja keine langen Bücher mehr gewohnt. Sie sind bei Facebook oder Twitter und nach ein bis zwei Sätzen hört es auf. Da ist es wichtig, dass Bücher nach wie vor herausgebracht werden. Daher habe ich großen Respekt vor meinem Verlag und bin froh, dass es ihn gibt.

TG: Das nächste Buch ist schon in Arbeit. Was erwartet uns?

Kaminer: Ja, es heißt „Goodbye Moskau“ und es kommt jetzt Ende Februar heraus. Es ist toll. Und es geht darum, dass dieses Jahr die Russische Revolution 100 Jahre alt ist. Russland ist noch immer und war immer eine Revolution. 100 Jahre feiern die Menschen Revolution. Die Menschen erleben jeden Tag ihre Revolution. Ihre ganz eigene Revolution. Darum geht es.

TG: noch ein typisch hamburgische Schlussfrage: trinken Sie Astra oder Holsten?

Kaminer: Astra. In Hamburg natürlich Astra.

TG: Na, dann treffen wir uns hoffentlich auf ein Astra am 4. April bei der SuedLese. Vielen Dank für das Interview.

Kaminer: Ja, gerne. Auch vielen Dank und bis dahin.

 

Wladimir Kaminer liest am Die., 4. April um 20h in der Bücherhalle Harburg, Eddelbüttelstr. 4, 21073 Hamburg. Vorverkauf 15,- € über die Bücherhalle, Volkshochschule Harburg oder Buchhandlung am Sand.

 

Das Buch:

Wladimir Kaminer: Meine Mutter, ihre Katze und der Staubsauger –  Ein Unruhestand in 33 Geschichten, € 17,99, erschienen: 22.08.2016 , gebundenes Buch mit Schutzumschlag ISBN: 978-3-442-54759-3

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