Zu Gast bei der Künstlerin Brigitte Kranich

Die Magie der Kunst

Eine lebenslange Allianz: Kunst von Brigitte Kranich (links) und HAP Grieshaber. (Foto: Sonja Alphonso)

Die Harburger Kunstleihe hält nicht nur Kunst sondern auch manche Geschichte bereit.  Eine führte uns  nach Toppenstedt.

Es war ein magischer Moment, als Ingrid Wolf-Junker in die Kunstleihe kam, um uns bei Interesse Bilder einer Bekannten zur Verfügung zu stellen: mehrere Werke von Brigitte Kranich.

Die farbigen Linoldrucke waren so ansprechend, dass ich mir umgehend vornahm, die Künstlerin möglichst bald einmal zu besuchen. Davon will ich nun Zeugnis ablegen. Das mag andächtig klingen, und ist beabsichtigt. Denn das, was ich zu sehen bekam, verschlug mir geradezu die Sprache.

Ihr Reich gleicht einem visuellen Schlaraffenland. Bilder in Hülle und Fülle, ich konnte mich endlos satt sehen an Farben von besonderer Qualität. Eine unfassbare Menge hängt von oben bis unten an allen Wänden ihres Hauses, in Regalen stapeln sich ungerahmte Drucke und feine Federzeichnungen oder liegen dicht an dicht in diversen Ständern. Unmöglich, alles bei einem Besuch in Augenschein zu nehmen!

Brigitte Kranichs Bilder bestechen durch Brillanz. Sie verwendet besondere Materialen, die man den Werken auch ansieht. Unverdünnte Künstlerölfarben bester Qualität sowie Papier mit besonderen Eigenschaften, welches eigens auf Bestellung für sie in Japan angefertigt wird. So haben ihre Bilder eine Leuchtkraft, die im Laufe der Jahre nichts an Intensität einbüßt.

Zu diesen hochwertigen Zutaten kommt die schier unerschöpfliche kreative Energie dieser fleißigen Frau. Ich bekam Einblick in ihren Werdegang, der mich ebenfalls staunen ließ.

Sie lebt und arbeitet unter dem Dach eines fast zwei Jahrhunderte alten Fachwerkhauses, das sie 1963 mit ihrem Mann bezog, der Rechtanwalt war. Sie war auch schon zu der Zeit kreativ, malte allerdings nur zum Privatvergnügen – für sich und ihn. Jedes Jahr bekam er einen Kalender mit 52 Linoldrucken. Dann verstarb er sehr früh und sie stand mit ihrer kleinen Tochter quasi vor dem Nichts, keine Rente, nur 50 DM Kindergeld. Unterstützung bekam sie nicht. Die Familie legte ihr sogar nahe, die Tochter in ein Heim zu geben.

Doch Brigitte Kranich schaffte, was kaum jemand für möglich hält: Sie ernährte nicht nur sich und das Kind mit ihrer Kunst, sondern finanzierte ihrer Tochter später sogar ein Jurastudium in Deutschland und ein weiteres in den USA.

Und das alles als Autodidaktin, aus eigener Kraft und ohne Studium!

Allerdings kam sie schon in jungen Jahren in den Genuss, viel mit Kunst und Literatur in Kontakt zu kommen. Besonders prägend war offensichtlich ihr erster Besuch einer Ausstellung von HAP Grieshaber, der nicht reproduzierbare Drucke von Holzschnitten anfertigte, in der sogenannten verlorenen Form.

Brigitte Kranich entwickelte diese Technik weiter und Ihre Linolschnitt-Malerei zeichnet sich durch leuchtende, differenziert aufgetragene Farben aus.

Bei dem Hochdruckverfahren wird eine zu Beginn ca. fünf Millimeter dicke Linolplatte eingefärbt und auf Papier gedruckt. Dann wird ein Teil der Oberfläche abgetragen, die erhabene Fläche wieder eingefärbt und gedruckt. Mit jedem Arbeitsschritt gewinnt das Bild durch die übereinander aufgetragenen Farbschichten an Tiefe, während die Druckplatte nach und nach weniger wird. Durch die besondere Technik des Einwalzens der Ölfarbe entstehen Unikate.

Montags druckt die 85jährige Künstlerin immer noch. Wie aufwendig die Produktion ist, kann man nur erahnen, wenn man erfährt, dass bis zu 30 Arbeitsschritte nötig sind. Bei einem großformatigen Bild kann trotz geringer Auflage eine durchgehende Arbeitszeit von 20 Stunden anfallen.

Selbst Blinde können sich ein Bild von der kreativen Energie machen, die in ihr steckt. Einmal machte Brigitte Kranich nämlich sogar eine Ausstellung für den Blindenverein in Nordrhein-Westfalen, und zwar mit Collagen aus Resten von Druckstöcken. Daraus entstanden Bilder zum Ertasten.

Ich bin tief beeindruckt von so viel Persönlichkeit und Schaffenskraft. Es gäbe noch viel mehr zu erzählen: von ihrem Haus und Garten, Tieren, Märchengestalten und lyrischen Texten, die verzaubern.

Vielleicht bei anderer Gelegenheit, z. B. bei einem Besuch in der Kunstleihe oder persönlich bei der Künstlerin zuhause in Toppenstedt, nach Vereinbarung.

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