
Von den eisigen Winden sozialer Isolation bis zur sengenden Hitze des Klimawandels: Die jüngste Förderrunde der Kulturstiftung des Bundes liest sich wie ein Seismogramm unserer Zeit.
Mit 2,6 Millionen Euro für 15 innovative Kunstprojekte setzt die Stiftung nicht nur auf künstlerische Exzellenz, sondern auch auf eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den globalen Herausforderungen, die unsere Gesellschaft prägen. Es ist eine Förderung, die nicht bloß Museen füllt und Bühnen bespielt, sondern Kunst als aktives Agens in der Diskussion um Zerstörung und Wiederaufbau, um Teilhabe und Resilienz versteht.
Die „Allgemeine Projektförderung“ der Kulturstiftung des Bundes ist dafür bekannt, interdisziplinäre und international relevante Projekte zu unterstützen. Doch die aktuelle Auswahl, getroffen von einer unabhängigen Fachjury, geht über das Gewohnte hinaus. Sie zeigt ein beeindruckendes „Problembewusstsein für die gesellschaftlichen Fragestellungen und Herausforderungen im globalen Kontext“, wie die Jury selbst in ihrem Kommentar hervorhebt. Die Kunst wird zum Labor, in dem nicht nur ästhetische, sondern auch soziale und politische Fragen verhandelt werden.
Hamburg im Epizentrum des Zeitgeistes
Besonders erfreulich ist, dass Hamburg in dieser Förderlandschaft eine prominente Rolle spielt – und das auf eine Art und Weise, die weit über das bloße Abbilden von Kunst hinausgeht:
Da sind zum einen die Lessingtage 2026 am Thalia Theater, die sich unter dem Titel „Postpopulismus“ den globalen Herausforderungen von Rechtspopulismus und antidemokratischen Tendenzen widmen. Mit Theaterproduktionen von Größen wie Marta Górnicka, Jakob Skrywanek und dem vielfach ausgezeichneten Milo Rau versprechen sie, nicht nur aufrüttelnde Inszenierungen, sondern auch ein Symposium zu neuen Wegen der Redemokratisierung. Die Lessingtage sind seit jeher ein intellektuelles Kraftzentrum, das gesellschaftliche Debatten auf die Bühne bringt. Dass sie nun mit Unterstützung des Bundes die komplexen Mechanismen des Populismus seziert und nach Auswegen sucht, macht sie zu einem unverzichtbaren Forum im Kampf um eine offene Gesellschaft.
Ein weiteres Hamburger Schwergewicht ist Kampnagel. Die internationale Plattform für zeitgenössische Künste widmet sich im Sommer 2026 mit dem Themenfestival „Hitze.Heat.“ der Klimakrise, speziell mit Fokus auf die internationale Seeschifffahrt. Angesichts Hamburgs Rolle als Welthafenstadt ist dies ein hochaktuelles und brisantes Thema. Kampnagel, bekannt für seine experimentellen und grenzüberschreitenden Formate, wird hier sicher innovative künstlerische Antworten auf die Dringlichkeit der Klimakrise finden – möglicherweise mit multimedialen Installationen, Performances oder Soundscapes, die die Geräuschkulisse der Häfen in ein Mahnmal verwandeln. Es wird darum gehen, die abstrakte Bedrohung physisch und emotional erfahrbar zu machen.
Und schließlich richtet das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MK&G) ab Herbst 2027 die erste deutsche Einzelausstellung des renommierten US-Künstlers Nick Cave aus. Cave, international gefeiert für seine „Soundsuits“ – opulente, performative Skulpturen, die als Schutzraum gegen Gewalt und Diskriminierung dienen – wird mit „HEALLAND“ sicher eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Heilung, Trauma und Widerstand bieten. Seine Werke, oft aus recycelten Materialien gefertigt, sind nicht nur visuell beeindruckend, sondern auch zutiefst sozial und politisch. Die Ausstellung in Hamburg wird eine wichtige Plattform bieten, um Caves visionäre Kunst und ihre Botschaften in den deutschen Diskurs zu tragen.
Die Kunst als Spiegel und Hebel
Die geförderten Projekte sind vielfältig: Von Julia Heywards erster europäischer Einzelausstellung mit bisher unveröffentlichtem Archivmaterial über das Ensemble KNM, das mit „Crippled Symmetries“ zyklische Strukturen in der zeitgenössischen Musik erkundet, bis hin zu Projekten, die sich mit dem Kolonialismus (Museum Ludwig) oder dem jüdischen und queeren Erbe Berlins (Nesterval) auseinandersetzen. Auch die „Weserburg Museum für moderne Kunst“ in Bremen, die mit „Cold as Ice. Kälte in Kunst und Gesellschaft“ soziale Isolation thematisiert, zeigt, wie Kunst zur Metapher und zum Impulsgeber für gesellschaftliche Debatten werden kann.
Die Kulturstiftung des Bundes unterstreicht mit dieser Förderrunde ihre Rolle als wegweisende Institution, die nicht nur künstlerische Qualität, sondern auch Haltung und Relevanz honoriert. Die Jury lobt Projekte, die „Ermächtigungsansätze und Perspektiven für unterrepräsentierte Gruppen im Kulturbetrieb“ umsetzen und „unter aktiver konzeptioneller Beteiligung der Menschen“ entstehen, „um die es geht“. Dies ist ein Paradigmenwechsel: Kunst ist nicht mehr nur für, sondern mit der Gesellschaft.
In Zeiten, in denen die Welt in ihren Fugen knarzt, ist es ermutigend zu sehen, wie die Kunst – auch dank mutiger Förderentscheidungen – zu einem Ort des Refugiums, der kritischen Reflexion und des sozialen Zusammenhalts wird. Hamburg, mit seinen vielfältigen Institutionen und seinem Engagement für Teilhabe und Diversität, beweist dabei einmal mehr, dass es ein kulturelles Epizentrum ist, das den Puls der Zeit nicht nur fühlt, sondern auch aktiv mitgestaltet. Die geförderten Projekte sind nicht nur kulturelle Höhepunkte, sondern auch ein Versprechen: die Kunst, sie wird uns helfen, die Herausforderungen der Zukunft zu begreifen und vielleicht sogar zu meistern. Auf 2026 darf man also gespannt sein.

